Interstitielle Cystitis: Ständig Harndrang



Unterleibsschmerzen und ständiger Drang zur Toilette: Betroffene haben ähnliche Beschwerden wie bei einer Blasenentzündung. Doch Antibiotika wirken nicht. Über Diagnose und Therapie des Blasenschmerz-Syndroms

Schmerzen und Harndrang: Die Symptome sind der einer Blasenentzündung ähnlich, doch die Therapie der IC muss anders ausfallen

Es fühlt sich so ähnlich an wie ­eine Blasenentzündung. Doch der große Unterschied ist: Das Blasenschmerzsyndrom, oft kurz IC (interstitielle Cystitis) genannt, verschwindet nicht. Auch nicht mit Antibiotika. Denn die Symptome werden nicht durch Bakterien hervorgerufen. Bei den Patienten ist die innere Auskleidung der Blase, die schützende GAG-Schicht, geschädigt. Deswegen reizen die aggressiven Stoffe im Urin dauernd die Blasenwand.

Die Folge für viele Patienten: stän­dige Unterleibsschmerzen. Zudem müssen sie sehr häufig auf die Toilette, besonders nachts. Dadurch schlafen sie zu wenig, sind jeden Tag müde. Experten gehen von mindestens 120 000 Betroffenen in Deutschland aus, die meisten davon Frauen. "Wahrscheinlich gibt es aber noch viel mehr", meint Professorin Daniela Schultz-Lampel, Chefärztin am Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen.

Unterschiedliche Symptome erschweren die Diagnosefindung

Ein großes Problem bei der IC ist, die Diagnose zu bekommen – und in der Folge die optimale Therapie. Laut einer Versorgungsstudie von 2013, für die 270 Betroffene befragt wurden, dauerte es im Schnitt neun Jahre bis zum richtigen Befund. Die Symptome werden oft von weiteren Beschwerden begleitet, etwa Rückenschmerzen, Darmproblemen, Fibromyalgie, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Depression. Daher erscheinen zunächst viele Erkrankungen möglich, die dann durch umfangreiche Gespräche und Untersuchungen ausgeschlossen werden müssen.

Langsam bessert sich die Situation von IC-Patienten. "Das Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten hat sich stark erweitert, und bald wird es auch ein einheitliches Diagnose- und Therapiekonzept geben", sagt Barbara Mündner-Hensen, die sich seit 25 Jahren mit dem Förderverein ICA Deutschland für die Aufklärung über die Erkrankung einsetzt. Die erste nationale deutsche Therapie-Leitlinie zur IC wird derzeit erarbeitet und wahrscheinlich in den kommenden Monaten veröffentlicht.

Eine Blasenspiegelung bestätigt die Diagnose "Interstitielle Zystitis"

Auch zunehmend mehr Ärzte wissen von der Krankheit, sodass Patienten schneller in spezialisierte Praxen oder Kliniken kommen. "Wer entsprechen­de Symptome hat, sollte bald in ein Beckenbodenzentrum gehen, das ­Erfahrung mit IC-Patienten hat", rät Urologe Thomas Bschleipfer, Chefarzt am Klinikum Weiden. Nach Kriterien des ICA werden mittlerweile Einrichtungen zertifiziert, die eine besonders hohe Kompetenz im Umgang mit der Erkrankung haben.

Zentral für die Diagnose IC ist eine Blasenspiegelung. Dabei kann das Organ unter Narkose auch mit einer Wasserfüllung gedehnt werden, was die Schmerzen für gewisse Zeit lindert. Bei einigen Patienten fallen bei der Untersuchung sogenannte Hunner-Läsionen auf. Diese winzigen Geschwüre, aber auch Schleimhauteinrisse können dann direkt abgetragen werden. "Viele Patientinnen profitieren davon langfristig", sagt Experte Bschleipfer. Gewebeproben aus der Blasenwand werden entnommen, um Krebs auszuschließen. Vor allem suchen Mediziner nach histaminhaltigen Mastzellen, die sich – typisch für IC – vermehren. Finden sie diese, handelt es sich sehr wahrscheinlich um die Erkrankung.

Therapie: Medikamente, Einspülungen oder Blasenschrittmacher

Für IC gibt es verschiedene Therapien. Die meisten wirken jedoch nur bei etwa der Hälfte der Patienten, sodass oft etliche Ansätze versucht werden müssen. Viele zielen darauf ab, die geschädigte GAG-Schicht wieder aufzubauen. In Europa ist seit vergangenem Jahr mit der Substanz Natrium-Pentosanpolysulfat erstmals ein orales Medikament zugelassen, dessen Kosten die Kassen übernehmen. Der Wirkstoff soll nach sechs bis neun Monaten Einnahme zur Bildung einer neuen Schutzschicht in der Blase führen. "Das hilft am besten in einem frühen Stadium", erläutert Urologin Schultz-Lampel.

Eingesetzt werden auch andere Medikamente. Antidepressiva zum Beispiel sollen die Schmerzen und den Harndrang reduzieren. Infrage kommen zudem Einspülungen in die Blase mit verschiedenen Wirkstoffen. Anfangs erfolgt die Behandlung normalerweise einmal pro Woche, dann in zunehmend größeren Abständen bis zu einer minimalen Frequenz von viermal pro Jahr. Die Kosten in Höhe von etwa 50 bis 80 Euro pro Instillation, wie Urologen sagen, erstatten die gesetzlichen Kassen meistens nicht. "Viele Patienten bekommen damit über Jahre ihre Beschwerden in den Griff. Aber die Selbstzahlung ist eine große Hürde für viele Betroffene", so Schultz-Lampel. Denn ein Teil kann aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht mehr arbeiten.

Eine stärkere Wirkung können Substanzen in der Blase entfalten, wenn sie mithilfe von elektrischem Strom eingebracht werden. Bei der sogenannten EMDA-Therapie wird dazu eine Elektrode eingesetzt. Auch dafür müssen die Patienten die Kosten in Höhe von etwa 200 Euro pro Behandlung selbst zahlen. "Bei dieser Therapie sind die Erfolgsquoten am besten", sagt Bschleipfer. Sie liegen bei über 60 Prozent. Möglich ist außerdem, unter Narkose Botox in die Blase zu spritzen, um diese zu beruhigen. Der Effekt hält bei IC aber oft nur wenige Monate an. Weitere Option: ein Blasenschrittmacher. Im unteren Rücken implantierte Elektroden verändern dann die Schmerzweiterleitung.

Entfernung der Blase: Operation als letzter Ausweg

Wenn alles aussichtslos erscheint, kommt schließlich nur noch die Entfernung der Blase infrage. "Einige ­Patienten haben durch die IC eine so schlechte Lebensqualität, dass sie diesen Eingriff unbedingt wollen. Die Resonanz ist dann grandios", sagt Ärztin Schultz-Lampel. Denn nach der OP sind viele – nach langem Leidensweg – tatsächlich schmerzfrei. Empfohlen wird, sowohl Blase als auch Harnröhre zu entfernen. Der Urin wird danach in einem aus eigenem Darm gebildeten Auffangbeutel gesammelt. Diese Ersatzblase entleeren die Betroffenen selbst: mit einem Katheter durch den Bauchnabel. "Alternativ kann der Urin über ein Stück Darm dauerhaft in einen äußerlich auf die Bauchdecke an­geklebten Beutel abgeleitet werden", erklärt die Expertin.

Solch ein Eingriff bleibt allerdings die Ausnahme. Ein Großteil der IC-Patienten schafft es, die Symptome allein durch Verhaltensänderungen zu lindern. Einigen hilft es beispielsweise, Lebensmittel wegzulassen, die viel Hista­min enthalten oder im Körper freisetzen. Zu Ersteren zählen etwa Parmesan, Sauerkraut, Rotwein und Nüsse, zu Letzteren Erdbeeren, Orangen, Ana­nas und Tomaten. Manche Patienten vertragen außerdem kein Milcheiweiß oder andere Nahrungsbestandteile. Jeder muss selbst herausfinden, worauf er reagiert. Die ICA-Vorsitzende Mündner-Hensen ist überzeugt: "Mit Selbstdisziplin kann man dann viel erreichen."

So erkennen und behandeln Sie eine Blasenentzündung

Im Gegensatz zur eher seltenen IC ist eine Blasenentzündung (Cystitis) meist nach wenigen Tagen überstanden. Typisch für diesen bakteriellen Infekt ist neben Unterleibsschmerzen und Harndrang das Brennen beim Wasserlassen

In leichteren Fällen heilt die Erkrankung von selbst, Schmerzen können mit Ibuprofen gelindert werden. Bei langen und kom­plizierten Verläufen helfen Antibiotika.

Bei etwa einem Drittel der Be­troffenen kehrt der Infekt zurück. Wer sich immer wieder damit plagt, sollte beachten: Zu viel Intimhygiene, ein Diaphragma und Spermizide steigern das ­Risiko.

Bevor über einen längeren Zeitraum Antibiotika genommen werden, rät die Therapieleitlinie, es mit Immunprophylaktika oder dem Zucker D-Mannose zu versuchen. Wer länger Blasentees trinkt, sollte keine mit Bärentraubenblättern nehmen. Unklar ist, ob Cranberry-Produkte tatsächlich die Blase schützen.

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