Corona

Corona hat ihn lebensgefährlich krank gemacht und dabei verlief die eigentliche Infektion harmlos.

Fünf Wochen nach der Covid-Erkrankung spielt Emilios Immunsystem verrückt. Der damals dreijährige Junge muss auf einer Intensivstation behandelt werden.

Charlotte Bacchi, Mutter

»Ich kann es kaum beschreiben, weil es so schlimm war. Ich wollte ihm irgendwie helfen, aber ich konnte nicht, es war so eine Verzweiflung und Angst. So eine Angst, ich hatte wirklich so Sorgen um ihn, weil er so schlimm aussah. Er sah aus wie ein Gespenst. Er konnte auch gar nicht mehr laufen, er hatte nicht die Kraft dazu. Es war einfach nur furchtbar.«

Für die junge Familie beginnen schlimme Stunden. Emilio ist apathisch, seine Augen sind entzündet, er isst nicht mehr und das hohe Fieber geht nicht runter.

Charlotte Bacchi, Mutter

»Ich bekomme gerade Gänsehaut, weil ich genau diesen Anruf weiß von meinem Mann, dass er auf die Intensivstation muss. Ich kann es gar nicht beschreiben, das war einfach nur furchtbar. Ich war so besorgt.

Reporterin:
Haben Sie Angst, dass das nochmal passieren könnte?

Charlotte Bacchi, Mutter
»Ja, schon. Einige Menschen haben ja zweimal Corona und ja klar, habe ich Angst, dass er es nochmal bekommt und vor allem aber seine kleine Schwester.«

Emilios kleine Schwester Louisa ist anderthalb Jahre alt. Eigentlich sollte sie in diesen Tagen beginnen, zu einer Tagesmutter zu gehen, aber Emilios Krankheit hat Spuren hinterlassen, zu groß ist die Furcht, dass sie sich bei den hohen Inzidenzen auch mit dem Coronavirus anstecken könnte. Die Oma der Kinder wird die Angst um ihren Enkel nicht mehr los.

Imke Kramer, Oma

»An dem Tag, als er ins Krankenhaus kam, war ich hier. Er sah aus wie ein sterbendes Tier. Das Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Es ist immer noch da, auch nachts noch ab und zu. Ich bekomme immer noch nachträglich Panik, dass da etwas Schlimmeres passiert.«

Emilio infiziert sich mit dem Sars-CoV-2-Virus Anfang März 2021. Einen Nachmittag hat er Fieber, danach ist der Junge wieder fit. Erst Wochen später kehrt das Fieber zurück. Niemand erkennt zunächst die lebensbedrohliche Folgeerkrankung.

Imke Kramer, Oma

»Er hatte ja schon fünf, sechs Tage hohes Fieber. Du warst vorher schon beim Kinderarzt, beim Wilhelmsstift, dem anderen Krankenhaus. Es wurde einfach nicht erkannt. Was auch klar ist, weil keiner Erfahrung hatte damit, das kann man niemandem nachtragen, auch den Ärzten nicht, dass sie dieses Pims-Syndrom nicht erkannt haben. Glücklicherweise wurde es im Kinderkrankenhaus Altona erkannt. Es hätte auch anders kommen können.«

Im Altonaer Kinderkrankenhaus wird schnell klar, was mit Emilio ist: Er hat das neuartige postvirale »Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome«, kurz Pims. Es ist eine zeitverzögerte Reaktion auf eine oft symptomfreie oder gar milde Covid-19 – Infektion, die vor allem Kinder und Jugendliche betrifft.

Prof. Philippe Stock, Leiter der Pädiatrie (Altonaer Kinderkrankenhaus)

»Was wir beobachten ist, dass einige Zeit nach der Coronainfektion, so vier bis sechs Wochen später, wo die eigentliche Infektion schon längst wieder vorbei ist, dass der Körper da eine ganz überschießende Immunreaktion ausbildet, die haben wir noch nicht hundertprozentig verstanden, warum es eigentlich dazu kommt, aber so wie wir uns das im Moment vorstellen, spielt wirklich das Immunsystem fast ein bisschen verrückt und greift körpereigenes Gewebe an.«

Bei Emilio war vor allem der Herzmuskel betroffen. Doch die Symptome von PIMS sind vielfältig, auch deshalb ist eine Diagnose oft schwer zu treffen. So können Leber, Niere und insbesondere das Herz betroffen sein. Begleitet wird Pims von hohem Fieber, Kopfschmerzen und Bauchschmerzen. Typisch sind auch ausgeprägte Bindehautentzündungen und Hautausschläge, oft an Händen und Füßen, manchmal am ganzen Körper.

Prof. Philippe Stock, Leiter der Pädiatrie (Altonaer Kinderkrankenhaus)

»Wenn wir uns jetzt mal die Omikron Situation anschauen, wie die Inzidenzen gerade in dem Altersfenster bei den Kindern und Jugendlichen sind, dann kommen wir allein aufgrund der reinen Anzahl in relevante Zahlen, selbst wenn das prozentual gar nicht so häufig ist. Aber wenn wir sagen, eins aus 3000, dann sind es bei 30.000 Infizierten schon 10 Kinder, bei 300.000 sind es 100 Kinder mit Pims und dann kommen wir ganz schnell in relevante Zahlen. «

Einmal erkannt, ist das Multi-Entzündungssyndrom gut behandelbar. Gemeldete Todesfälle gibt es in Deutschland bis jetzt noch nicht. Emilios Herzmuskelentzündung wird mit Cortison behandelt, schnell verbessert sich sein Zustand.

Prof. Philippe Stock, Leiter der Pädiatrie (Altonaer Kinderkrankenhaus)

»Das Thema der Durchseuchung, also lassen wir die Kinder doch durchseuchen, das bereitet mir sehr, sehr große Sorgen, das muss ich ganz klar sagen. Wenn man sich allein die Anzahl der Infektionen jetzt anschaut in der Omikron-Welle, dann werden wir auch relevante Zahlen von PIMS-Fällen bekommen. Insofern, ja, vielleicht ist die primäre Infektion von Corona bei Kindern häufig mild, nicht immer, aber häufig – aber die Folgeprobleme sind noch gar nicht absehbar.«

Emilio hat keine bleibenden Schäden. Nach seinem Krankenhausaufenthalt musste er noch sechs Wochen Medikamente gegen seine Herzmuskelentzündung einnehmen. Die ist komplett ausgeheilt, seine Entzündungswerte sind wieder normal, wie bei jedem anderen Vierjährigen.

Imke Kramer, Oma

»Bis wir dann wirklich wussten, es geht wieder bergauf, er kommt wieder auf normale Station, wir waren täglich da, ich saß dann immer mit Louisa drei Stunden im Auto und habe gewartet, weil man konnte ja auch vor einem dreiviertel Jahr nicht ins Krankenhaus. Nur du, du hast dich reingeschlichen.«

»Ja, auf den Spielplatz.«

»Bis dahin war ich nicht ganz klar, ob ich mich sofort impfen lasse oder nicht. Das war ja im April, da war es für uns noch nicht so weit. Und ab dem Zeitpunkt war klar, dass ich alles mache, damit wir uns alle schützen.«

Eine neue amerikanische Studie mit 293 Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren zeigt, dass der Biontech-Impfstoff vor dem Pims-Syndrom schützen kann. Emilio ist noch zu jung, eine zugelassene Coronaimpfung gibt es für sein Alter in Deutschland zurzeit nicht.











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