Mit Kostendämpfung und Sparen kommt die Gesundheitspolitik nicht weit – ein Interview

Personalmangel, Arzneimittelmangel, Bettenmangel – im Gesundheitswesen zeigen sich derzeit die Folgen von jahrelanger Politik, die geprägt ist durch finanzielle Fehlanreize und Sparmaßnahmen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, in diesem Jahr grundlegende Reformen für den ambulanten und stationären Bereich einzuleiten, um diese Entwicklungen umzukehren. Zugleich mahnt er, dass es in der Medizin nicht zu sehr um Ökonomie gehen darf. Teilen diese Meinung eine Politikwissenschaftlerin und ein Volkswirt bzw. Gesundheitsökonom? Und was bedeuten diese Ankündigungen eigentlich für die Apotheken? Darüber haben wir uns mit Cosima Bauer und Professor Uwe May unterhalten.

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(Video: Armin Edalat / DAZ)

DAZ: Minister Lauterbach spricht derzeit öfter davon, dass wir es im Gesundheitswesen mit der Ökonomisierung übertrieben haben. Was sagen Sie als Volkswirtschaftler und Gesundheitsökonom dazu: Brauchen wir tatsächlich weniger Ökonomie im System?

May: Einige Missstände und Fehl­entwicklungen, die uns heute beschäftigen, sind das Ergebnis einer über­mäßig am Ziel der Kostendämpfung orientierten Politik. Ich denke hier an Lieferengpässe, Abwanderung von Arzneimittelherstellung und der Personalmangel, insbesondere in den Kinderkliniken. Mit ökonomischem Denken hat das wenig zu tun. Daher konkret zu Ihrer Frage: Wir brauchen viel mehr Ökonomie in unserem System!

Bauer: Und Ökonomie ist eben viel mehr als Kostendämpfung bzw. Sparen. Es geht um einen möglichst effizienten Mitteleinsatz und um einen ökonomischen Rahmen, der für alle an der Versorgung beteiligten Akteure anreizverträglich ist. Kurz gesagt: Ökonomie ist der Ansatz, die vorhandenen Ressourcen so sinnvoll wie möglich zum Wohle aller einzusetzen. Wie könnte man es damit übertreiben?

DAZ: Bedeutet denn „mehr Ökonomie“, dass wir für unser Gesundheitssystem auch mehr Geld ausgeben müssen? Und was bedeutet das speziell für die Arzneimittelausgaben?

Bauer: Ob wir mehr oder weniger ausgeben sollten, lässt sich ex ante weder mit Blick auf die Gesundheits- noch die Arzneimittelausgaben sagen. Meine Vermutung wäre allerdings, dass die Gesundheitsversorgung – wenn man sie ganzheitlich im volkswirtschaftlichen System betrachtet – derzeit zumindest in bestimmten Sektoren noch unterfinanziert ist.

DAZ: Das heißt, es gibt Gesundheitsleistungen, für die wir mehr Geld als heute ausgeben sollten?

Bauer: Ja, weil der Nutzen dieser Leistungen gesellschaftlich höher ist als die Kosten. Und natürlich auch um­gekehrt. Um dies zu erkennen, muss man allerdings die Dinge tatsächlich längerfristig auch aus einer gesellschaftlichen beziehungsweise gesamtwirtschaft­lichen Perspektive betrachten. Das tun wir leider viel zu selten, weil die Debatte oft von Sichtweisen einzelner Akteure dominiert wird.

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