Aus drei Gründen sind Experten wegen „Arcturus“ in Alarm-Bereitschaft

Die neue Corona-Variante XBB.1.16, die gerade in Indien für steigende Fallzahlen sorgt, bereitet Forschenden in Deutschland Kopfzerbrechen. Denn auch hierzulande sind schon Fälle aufgetreten. Wir erklären, welche drei Eigenschaften Arcturus gefährlicher macht als bisherige Varianten.

In Indien steigen die Fallzahlen weiter an. Allein im Bundesstaat Maharasthra mit der Hauptstadt Mumbai hätten sich laut Berichten des Portals „ Indian Express “ die Infektionszahlen im Laufe des Monats verzehnfacht und schon weit über die Städte hinaus ausgebreitet. Um einen medizinischen Notstand zu verhindern, wie es in vorigen Wellen der Fall war, will die indische Regierung sogar vorsorglich im April eine Übung zur Bereitschaft der Krankenhäuser durchführen, berichtet das Medium . Sie soll als eine Art Bestandsaufnahme dienen, um zu sehen, ob im Fall einer neuen Welle ausreichend Betten, Medikamente, medizinische Ausrüstung, Sauerstoff etc. vorhanden seien.

Arcturus mittlerweile in vielen Ländern nachgewiesen –  auch in Deutschland

Neben vielen Ländern wie USA, Singapur, Australien, Japan, Großbritannien, Italien, Dänemark und Österreich ist Arcturus auch schon in Deutschland angekommen. Laut Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts seien in der Zeit von 30. Januar bis 12. März sechs Nachweise übermittelt worden. Also noch weit weg von einer besorgniserregenden Entwicklung. Allerdings werden auch kaum noch Proben in Deutschland auf Varianten untersucht, erklärt das RKI.

Deshalb lautet die große Frage, ob Arcturus eine neue besorgniserregende Welle auslösen und auch bei uns die Fallzahlen in die Höhe treiben kann. Möglich wäre es, denn die neue Variante verfügt über drei entscheidende Eigenschaften, die sie potenziell gefährlicher als bisherige Varianten macht.

1. XBB.1.16 breitet sich schneller aus als bisherige Varianten

Bei der neuen Variante Arcturus handelt es sich um eine Rekombination von Omikron-Untervarianten. So stammt XBB laut deutscher Apotheker-Zeitung „ DAZ.online “ wahrscheinlich von BA.2.10 und BA.2.75 ab und hat sich daraus bereits vielfach weiterentwickelt. XBB.1 und XBB.1.5 grassierten bereits weltweit. Letztere ist schon seit Dezember die dominierende Variante in den USA. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die XBB-Familie weltweit auf dem Vormarsch und hat fast überall die zuvor dominanten Varianten BA.5 und BA.2 verdrängt.

Das ist auch in Deutschland der Fall. Laut  aktuellem Wochenbericht  des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt der Gesamtanteil der rekombinanten Omikron-Variante XBB.1 einschließlich aller Sublinien hierzulande bereits bei 61 Prozent. BA.5 liegt dagegen nur noch bei 20 Prozent, BA.2 bei 14 Prozent.

Gegenüber der Variante XBB1.5, die bis zuvor als die sich am schnellsten ausbreitende Variante galt, hätte die neue XBB-Variante einen Wachstumsvorteil von 140 Prozent, schreibt das Blatt weiter. Das sieht auch der Virologe Martin Stürmer so. XBB.1.16 sei eine Variante, die sich äußerst erfolgreich verbreiten könne, sagte er gegenüber dem „ ZDF “.

2. Neue Mutationen am Spike-Protein machen Arcturus ansteckender

XBB.1.16 weist zahlreiche Mutationen am Spike-Protein auf, die auch mit XBB.1.5 übereinstimmen. Allerdings kommen noch weitere neue dazu. Eine davon ist die S486P-Mutation. Sie führt dazu dass das Virus sich noch besser an den ACE2-Rezeptor binden kann und sorgt dafür, dass das Virus noch schneller in die Zellen des menschlichen Körpers eindringen kann. Damit wäre XBB.1.16 noch ansteckender als andere Varianten.

3. Arcturus kann möglicherweise Immunität umgehen

Die am meisten beunruhigende Eigenschaft  von Arcturus ist aber Folgende: „XBB.1.16 hat noch einmal eine Reihe weiterer Änderungen im Genom, die nicht nur das Spike-Protein betreffen, sondern auch das sogenannte ORF9b-Gen, welches an der Unterdrückung der Interferon-Antwort beteiligt ist“, erläutert Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie der Universität Gießen.

Interferone sind Botenstoffe, welche von infizierten Zellen produziert werden, um andere Zellen vor der Infektion zu warnen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sars-CoV-2 hat allerdings eine ganze Reihe dieser sogenannten Interferon-Antagonisten, und ORF9b gehörte bisher nicht zu den stärksten Vertretern. Dennoch könnte die Variante dadurch die Immunabwehr von Geimpften und Genesenen unterlaufen, was den starken Infektionsanstieg in Indien erklärt.

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Unklar, ob vorhandene Immunität ausreicht, Arcturus auszubremsen

Über den Erkrankungsgrad durch eine Infektion mit  XBB.1.16 ist bisher kaum etwas bekannt. Die ähnliche XBB1.5-Variante zum Beispiel erzeugt nach jetzigem Datenstand keine höhere Krankheitslast bei Infizierten als es andere Varianten getan haben. Zwar wurde seit XBB.1.16 ein Anstieg der Todeszahlen von 17 Prozent aus Indien berichtet, aber wie verlässlich diese Zahlen sind und ob die Infizierten an oder mit Corona gestorben sind, weiß niemand.

Entscheidend wird daher sein, wie gut unser Immunsystem die neue Variante abwehren kann. Der Epidemiologe Timo Ulrichs aus Berlin schließt zwar nicht aus, dass XBB.1.16 die Pandemie nochmal aufflammen lassen könnte. Allerdings wären wir durch die bereits erreichte Grundimmunisierung der Bevölkerung besser aufgestellt als in der Frühphase der Pandemie, betont der Forscher.

Inwieweit uns diese aber bei der möglichen Ausbreitung von XBB.1.16 wirklich hilft, kann derzeit noch niemand beantworten. „Es ist absolut nicht klar, inwiefern die vorhandene Immunität ausreicht, beziehungsweise umgangen wird, aber Aufmerksamkeit ist essenziell“, sagt auch Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) auf Nachfrage. „Da es ein globales Geschehen ist und bleibt, kann man nur zustimmen, wenn der Blick dorthin geht, wo sich neue Varianten ausbreiten oder gefunden werden, wie jetzt in Indien“, betont er.

Infektionszahlen in Deutschland wahrscheinlich viel höher als offizielle RKI-Zahlen

Bisher sind die offiziellen Corona-Fallzahlen in Deutschland weiter rückläufig. Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz liegt laut RKI bei 34,1 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Allerdings werden auch immer weniger Fälle offiziell gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte deshalb deutlich höher sein. Davon geht auch Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes aus: „Das Meldewesen von Corona ist vorbei“, sagte er gegenüber der Deutschen Presseagentur.

Corona selbst sei aber noch nicht vorbei. Daher läge die wahre Inzidenz vermutlich derzeit eher bei 1000 bis 2000 Fällen, schätzt Lehr. „Wir haben noch viele Infektionen. Sie sind harmloser, aber sie sind existent“, sagte er. Seiner Prognose zufolge wird die aktuelle Welle im April ihren Höhepunkt erreichen und dann abebben. „Nicht wegen irgendwelcher Saisonalitäten, daran glaube ich nicht mehr. Sondern weil wieder eine Durchseuchungsrunde vorüber ist.“

Was danach kommt, kann aber auch Lehr nicht abschätzen, das hänge von der Variante ab und wie lange unser Impfschutz anhalte. Dennoch ist auch er davon überzeugt, dass wir mit rund 40 Millionen gemeldeten Infektionen seit Beginn der Pandemie vor gut drei Jahren plus Dunkelziffer eine „relativ große“ Immunität in der Bevölkerung haben – fast jeder dürfte demnach schon einmal in Berührung mit Sars-CoV-2 gekommen sein. Grundsätzlich ist dies ein Vorteil, auch wenn sich die Varianten unterscheiden.

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