Das Geschäft mit der Schlaflosigkeit

Baldrian für zehn Euro oder doch lieber die spezielle Decke für 200 Euro? Wer mit Schlafproblemen im Internet Hilfe sucht, bekommt den Eindruck, dass eine erholsame Nacht vor allem eins ist: teuer. Rund um das Thema Schlaf hat sich eine Industrie etabliert, die nahezu alle Aspekte abdeckt. Programme vermessen die Nachtruhe, Nahrungsergänzungsmittel sollen beim Einschlafen helfen, physische Hilfsmittel die Schlafqualität verbessern.

Dass Schlaf kommerzialisiert wird, sieht auch Hans-Günter Weeß so: „Das fällt auch leicht, weil es keine ausreichenden Gesundheitsangebote für Menschen mit Schlafstörungen gibt“, sagt das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).

Hinzu komme, dass die Nachtruhe heute einen größeren Stellenwert genieße als früher – auch aufgrund der Forschung. „Wir können sehr gut belegen, dass Schlaf ein wichtiges Reparatur- und Regenerationsprogramm des Menschen ist“, sagt Weeß, der das interdisziplinären Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Rheinland-Pfalz leitet.

Baldrian, hochdosiert

Laut Robert Koch-Institut leiden knapp sechs Prozent der Menschen in Deutschland unter Ein- und Durchschlafstörungen. Wer Schlafprobleme hat, greift oft zu Pillen. 228 Millionen Euro werden nach Auskunft des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller pro Jahr mit Schlaf- und Beruhigungsmittel umgesetzt – Tendenz steigend. Die Präparate befinden sich in den Top 10 der umsatzstärksten rezeptfreien Mittel.

Das Problem: Bei vielen pflanzliche Mittel fehlen Studien, die eine Wirksamkeit belegen. „Wenn etwas hilft, dann bei leichten Schlafstörungen am ehesten noch Baldrian hoch dosiert“, sagt Weeß. Wenn Ein- und Durchschlafstörungen durch einen Jetlag auftreten, scheint auch freiverkäufliches Melatonin etwas zu bringen – allerdings nur dann.

Verschreibungspflichtige Schlafmittel wirken zwar eher, bergen aber auch größere Risiken. „Primäre Schlafmittel, sogenannte Benzodiazepine und auch Z-Substanzen, können zur Gewöhnung und Abhängigkeit führen“, warnt Weeß. Hinzu kommt, dass die Medikamente bei psychisch bedingten Schlafstörungen nur die Beschwerden beheben, nicht aber die Ursache.

Schlafkurse: Erste Wahl

Daneben existieren physische Einschlafhilfen wie schwere Decken, die ein Wohlgefühl erzeugen sollen. Die Wirkung solcher Hilfsmittel ist zwar nicht belegt, trotzdem können sie etwas bringen. „Alles was zur gedanklichen, emotionalen und körperlichen Entspannung in der Bettsituation führt, kann helfen“, sagt Weeß.

Fitnessarmbänder hingegen, die den Schlaf vermessen, bewertet der Mediziner kritisch. Es sei kontraproduktiv, sich selbst verstärkt zu beobachten, sagt er: „Anspannung ist der Feind des Schlafes.“ Zudem beruhten die meisten Schlaftracker auf Bewegungs- und Pulsmessungen, abhängig von der Tageszeit. „Das sind aus meiner Sicht Steinzeitmethoden der Schlafforschung.“

Wenn Betroffene in ihren Schlaf investieren wollen, sind Schlafkurse laut Weeß die erste Wahl. „Auch da nimmt der Markt zu. Es ist wichtig, sich an Personen zu wenden, die die psychotherapeutische und schlafmedizinische Qualifikation haben.“ Bei den Kursen mache man den Patienten „zur eigenen Schlaftablette“, zum Beispiel mit Entspannungstraining, Gedankenstopptechniken und Bettzeitenrestriktionen.

In zwei Tagen Intensivkurs könne man Zweidrittel der Teilnehmer zu einem deutlich besseren Schlaf verhelfen, schätzt Weeß. 200 Euro müssen Teilnehmer dafür häufig zahlen.

Medizin rät zu Verhaltenstherapie

Auch wer mit seinen Schlafproblemen zum Arzt geht, bekommt im besten Fall keine Tabletten verschrieben, sondern eine kognitive Verhaltenstherapie vermittelt. Diese gilt den medizinischen Leitlinien zufolge als bestes Mittel gegen Ein- und Durchschlafstörungen – vorausgesetzt, die Probleme lassen sich nicht durch körperliche Ursachen wie Atemstörungen erklären.

In der Regel reicht es aus, mehrere Monate lang an wöchentlichen Sitzungen teilzunehmen. Bei den Sitzungen erhalten die Betroffenen nicht nur Wissen zum Schlaf vermittelt. Ziel ist es auch, die individuellen Ursachen der Schlafprobleme zu ergründen. Die Effekte der Verhaltenstherapie sind laut Studien mit denen von Schlafmitteln vergleichbar, mit einem großen Unterschied: Sie halten langfristig.

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