Grüner Star: Ist ein Screening sinnvoll?



Umsetzung und Nutzen einer Glaukom-Vorsorge werden heftig diskutiert. Die Früherkennung des grünen Stars gilt als häufigste Selbstzahlerleistung. Doch viele Augenärzte wünschen sich ein Screening für alle

Bei den Augen können viele Parameter untersucht werden. Aber welche sind nötig?

Das Heimtückische am grünen Star: Wenn der Patient das Augenleiden bemerkt, ist es schon weit fortgeschritten. Im schlimmsten Fall droht die Erblindung. Viele wollen diesem Schicksal vorbeugen und bezahlen zwischen 15 und 40 Euro für Vorsorge-Untersuchungen. Die Früherkennung des Glaukoms, so der Fachausdruck für die Krankheit, ist in Deutschland die individuelle Gesundheitsleistung (IGeL), die am häufigsten angepriesen und in Anspruch genommen wird.

Fast jeder vierte Patient wurde beim Augenarzt schon darauf angesprochen, ergab kürzlich eine Umfrage des IGeL-Monitors, einer Einrichtung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands der Krankenkassen. Die Kosten der IGeL müssen die Kassen ihren Versicherten nicht erstatten. Ob die Früherkennung tatsächlich die Chancen erhöht, das Erblinden zu verhindern, darüber strei­­ten Experten seit Jahren.

Unklarheiten über Umsetzung und Nutzen eines Screenings

Augenärzte würden sich ein Screening wünschen, eine Untersuchung aller Menschen ab einem Alter von etwa 40 Jahren, bezahlt von den gesetzlichen Kassen. Von alleine merken die meisten Betroffenen zu spät, dass etwas nicht stimmt. Kleinere Ausfälle des einen Auges gleicht häufig erst einmal das andere aus oder auch das Gehirn. Doch ist der Sehnerv zwischen Netzhaut und Gehirn erst zerstört, lässt sich das nicht rückgängig machen. "Da kann man nichts mehr reparieren", sagt Professor Thomas Kohnen, Direktor der Uni-Augenklinik Frankfurt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein politisches Entscheidungsgremium aus Vertretern von Kassen, Ärzten und Kliniken, lehnt die Forderung der Augenärzte dennoch ab. Die wissenschaft­lichen Daten reichen zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus, um den Nutzen eines Screenings einzuschätzen, entschied der G-BA bereits 2004. Durch eine frühe Behandlung ließe sich zwar das Fortschreiten der Krankheit verzögern, aber wie oft eine Erblindung verhindert werden kann, sei nicht ersichtlich. Auch sei unklar, welche Tests sich eignen, in welchem Alter sie erfolgen und in welchen Abständen sie wiederholt werden sollten.   

Diese Methoden zur Glaukom-Früherkennung gibt es


Funduskopie

Meist mit einem Spaltlampen-Mikroskop betrachtet der Arzt den Sehnerv im Augenhintergrund und beurteilt dessen ­Aussehen und Form. 

Augeninnendruck-Messung

Mit einem an die Hornhaut gehal­te­nen Sensor oder kontaktlos mittels Luftstoß ermittelt der Arzt die Werte. 10 bis 21 mmHg gelten als normal. 

Perimetrie

Bei Verdacht kann zudem das Gesichtsfeld beider Augen vermessen werden. Dabei erscheinen an verschiedenen Stellen einer Hohlkugel Lichtpunkte mit wechselnder Helligkeit, die der Patient per Knopfdruck protokolliert. Erkennt er die Signale selbst bei höchster Lichtstärke nicht, ist grüner Star sehr wahrscheinlich.

Studien zur Bewertung der Früherkennung fehlen

14 Jahre später hat sich an der Sach­lage nichts geändert. Wer seine Augen rein vorsorglich testen lassen will, muss das selbst bezahlen. Eine Investition, die sich lohnt? Nein, sagt der IGeL-­Monitor. Seine Bewertung der Glaukom-Vorsorge: "tendenziell ­negativ". Der Nutzen sei nicht belegt, ein möglicher Schaden aber gegeben: Patienten könnten beunruhigt, Ängste unnötig geschürt werden. Das Problem bei all diesen Bewertungen: Ob eine Früherkennung die Häufigkeit des Glaukoms und seiner Folgeschäden reduziert, wurde nie untersucht.

Es ist nicht auszuschließen, dass Patienten profitieren, aber es sei nicht belegt. Es gibt keine entsprechende Studie. "Eine solche Studie wird es auch niemals geben", sagt Professor Claus Cursiefen, Direktor des Zentrums für Augenheilkunde der Uniklinik Köln. "Das würde keine Ethikkommission genehmigen, denn für eine aussagekräftige Studie müsste man einem Teil der potenziell Betroffenen die Früherkennung vorenthalten." Zudem wäre eine Laufzeit von vielen Jahren nötig.

Augenärzte argumentieren, der Nutzen sei auf indirekte Art nachgewiesen. So formulieren es die Gesellschaft für Ophthalmologie und der Berufsverband der Augenärzte in einer ­Stellungnahme. Denn die Mehrheit der Glaukome könnte eindeutig dia­gnostiziert und das Fortschreiten der Erkrankung anschließend verzögert wer­den – und zwar durch die Senkung des Augeninnendrucks mit Medikamenten. Dieser Druck wird im Rahmen der Vorsorge gemessen.

Diese Therapien werden beim Glaukom angewandt

Eine frühzeitige Behandlung erhöht die Wahrscheinlichkeit, den Krankheitsprozess aufzuhalten

Augentropfen sollen den Augendruck senken

Sie stehen am Anfang der Therapie. Die Medikamente verringern die Produktion des Kammerwassers oder verbessern dessen Abfluss. Die Tropfen, Salben, Öle oder Gele senken den Augeninnendruck maßvoll, aber oft ausreichend.

Sie wirken jedoch nicht bei jedem Patienten gleich. Mögliche Nebenwirkungen sind je nach Wirkstoffgruppe brennende, rote Augen, sinkender Blutdruck, Verfärbungen der Iris oder ein Einsinken der Augen. Verträgt der Patient keines der Präparate oder lässt der Druck nicht aus­­reichend nach, ist eine OP nötig.

Eine Operation lässt das Kammerwasser abfließen

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Methoden. Am wirksamsten ist die sogenannte Trabekulektomie. Dabei wird ein Abflussloch für das Kammerwasser geschaffen. Stark im Kommen sind minimalinvasive Techniken, bei denen an unterschiedlichen Stellen des Auges winzige Röhrchen ein­gesetzt werden, die das Kammerwasser ableiten. Diese Methoden sind weniger wirksam, aber auch weniger komplikationsträchtig. 

Mögliche Komplikationen: ­eine zu starke Absenkung des Drucks, eine Ablösung der Aderhaut, Schäden der Hornhaut, Blutungen. Sie ­treten meist nur vorübergehend auf oder lassen sich gut beheben. Das schwerste Problem ist eine Entzündung des Auges. Sie kann die Sehkraft stark mindern, sogar zum Erblinden führen.

Erhöhter Augen­innendruck als Hauptrisikofaktor

"Erhöhter Augen­innendruck darf nicht mit einem Glaukom gleichgesetzt werden. Er ist allerdings einer der Hauptrisikofaktoren für sein Entstehen und Vo­­ranschreiten", erläutert Dr. Verena ­Prokosch-Willing, Oberärztin an der Uni-Augenklinik Mainz. Reguliert wird der Druck durch das sogenannte Kammerwasser, das im vorderen Teil des Auges produziert wird. Ohne einen gewissen Druck würde das Auge seine Kugelform verlieren, die Strukturen des Sehsystems gerieten durcheinander. Bei bis zu zwei Dritteln der Glaukom-Patienten ist der Druck aber zu hoch, der Grenz­wert von 21 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) wird überschritten.

Dennoch betont Prokosch-Willing: "Es macht keinen Sinn, nur den Druck zu messen, ohne sich den Sehnerv anzusehen." Es gebe auch Glaukom-Formen mit normalem Augeninnendruck. Der Nerv weist bei Erkrankten eine charakteristische Einwölbung auf. Dann kann eine Senkung des Au­gen­innendrucks den Prozess bremsen. Bei unklarer Diagnose können weitere Untersuchungen sinnvoll sein, etwa Gesichtsfeldmessungen. Andere Extras wie Fotos, um den Verlauf zu verfolgen, müssen Patienten meist selbst bezahlen – auch wenn ein begründeter Glaukom-Verdacht vorliegt.

Risikofaktoren sind bei der Behandlung zu berücksichtigen

Was aber, wenn der Augeninnendruck erhöht ist, sonst aber nichts auf ein Sehproblem hindeutet? "Man muss nicht jeden dieser Pa­tienten behandeln, aber sie sollten sich in kurzen Abständen kontrollieren lassen", rät Claus Cursiefen vom Kölner Zentrum für Augenheilkunde. Augentropfen empfiehlt er jedoch, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen, zum Beispiel Glaukomfälle bei Eltern oder Geschwistern, eine starke Kurzsichtigkeit oder Diabetes.

Die Tropfen haben allerdings Nebenwirkungen – von Juckreiz bis sinkendem Blutdruck. Mancher Patient verträgt einzelne Wirkstoffe nicht, mancher gar keine. Oder die Medikamente verringern den Druck nicht stark genug. Wenn die Dia­gnose Glaukom steht, wird in diesen Fällen eine Operation nötig. Dabei kann es ebenfalls zu Komplikationen kommen. "Die meisten sind aber nur vorübergehend und lassen sich gut beherrschen", beruhigt Ärztin Prokosch-Willing. 

Jeder Patient muss für sich entscheiden, ob er zur Vorsorge will

Bleibt die Frage: Zur Vorsorge ­gehen oder nicht? Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen – auch dann, wenn die Kasse die Leistung vielleicht ­irgendwann übernimmt. Wie bei ­jeder Früherkennungsmaßnahme gibt es keine hundertprozentige ­Sicherheit. Augenärzte könnten Glaukomfälle übersehen oder auf Verdacht Therapien verordnen, die der Patient nicht braucht. Vielleicht nutzt jemand anschließend Augentropfen, nimmt deren Nebenwirkungen in Kauf – doch auch ohne Medikament würde es niemals zu grünem Star kommen.

Das Risiko, das diesen Bedenken gegenübersteht: ein Glaukom zu spät zu erkennen. Und es handelt sich nicht um ein seltenes Leiden. Um das 40. Lebensjahr liegt die Erkrankungsrate im Promillebereich, doch sie steigt mit zunehmendem Alter deutlich. In Deutschland trifft es schätzungsweise drei Prozent der Bevölkerung irgendwann. Das sind zwar deutlich weniger als Patienten mit Bluthochdruck. Klinikdirektor Thomas Kohnen zieht dennoch einen Vergleich: "Kein Mensch zweifelt am Nutzen der Blutdruckmessung, obwohl erhöhter Blutdruck keine Krankheit ist. Er steigert nur das ­Risiko für einen Schlaganfall – genauso wie zu hoher Augeninnendruck das Risiko für ein Glaukom."

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