Cannabis

»Also, wenn man mal ehrlich ist, bin ich schon ein Kiffer.«

»Ich installiere mir eine versteckte Kamera, und wir wollen mal schauen, was bekomme ich da jetzt.«

»Es gibt jedes Jahr so ein Dutzend oder mehr Todesfälle, die auf das Konto dieser Stoffe gehen.«

Noch nie schien die Cannabis-Legalisierung so nah wie in diesem Herbst.

»Wir können ja nicht so weitermachen wie jetzt.«

Immer mehr Menschen in Deutschland kiffen – die Droge ist mitten in der Gesellschaft angekommen.

Wir begeben uns auf eine Reise durch die deutsche Cannabis-Realität. Wir wollen herausfinden, wo die Pflanze schon längst ihren Platz gefunden hat – und was sich durch eine Legalisierung ändern könnte.

»Was machst du da?«

Fabian Pieper, DER SPIEGEL

»Ich installiere mir eine versteckte Kamera, wir sind hier auf Hamburg-St. Pauli und wollen gleich auf dem Schwarzmarkt Cannabis kaufen. Das ist einer der bekanntesten Umschlagplätze für Cannabis hier in Hamburg, die Hafenstraße, und wir wollen mal schauen, was wir da eigentlich kriegen. Ich habe keine Ahnung, was mich da eigentlich erwartet und ob ich Basilikum bekomme oder wirklich Cannabis.«

Es dauert nicht lange, bis uns mehrere Dealer ansprechen, mit einem kommen wir ins Gespräch. Aus rechtlichen Gründen dürfen wir den Ton nicht aufzeichnen. Es folgt ein Gedächtnisprotokoll.

»Alles klar?«

»Ja. Hast du Weed?«

»Ich habe Koks.«

»Nein, ich will Gras.«

»OK, ich habe Silver Haze. Fünf Gramm für 50. Das ist richtig gut, gutes Haze.«

»Ich will nur drei Gramm.«

»Ok, dann gib’ mir 30 für drei.«

Der Dealer nimmt das Geld und verschwindet. Ob und womit er zurückkommt, wissen wir nicht. Jetzt heißt es erst mal abwarten.

Fernab des illegalen Schwarzmarktes agiert das Unternehmen Aphria bei Neumünster. Hinter dickem Stahlbeton und mit über 400 Kameras überwacht baut die Tochterfirma des kanadischen Cannabis-Produzenten Tilray die wohl am besten gesicherten Pflanzen der Republik an – Werksleiter Thorsten Kolisch gewährt uns heute zutritt.

Thorsten Kolisch, Werksleiter

»Wichtig ist, dass wir unsere Alltagskleidung abgelegt haben, damit wir keine Sporen, keine Kalamitäten, man kann sich vorstellen, keine Blattläuse oder ähnliches mit reinbringen. Jetzt betreten wir die Luftschleuse.«

Jeder, der in den Produktionsbereich will, muss sich mit gefilterter Luft abpusten lassen. Auch wir und unser Equipment. Dann zeigt Kolisch uns, was und wie hier mit Hightech angebaut wird:

Thorsten Kolisch, Werksleiter

»Wir schauen jetzt mal in den Mutterpflanzbereich, wir haben extra, damit wir den Raum nicht betreten müssen, die Möglichkeit, uns das von außen anzuschauen. Und jetzt kommt ein relativ überraschender Effekt. Für das menschliche Auge ist es so, dass uns das jetzt extrem rot erscheint. Das ist unsere spezielle Lichtrezeptur, die wir so designt haben, dass die Mutterpflanzen genau die Lichtrezepte bekommen, die sie für ihr Wachstum brauchen.«

Im Staatsauftrag wird hier Hanf großgezogen – derzeit allerdings nur für den medizinischen Markt. Unter anderem bei Schmerzpatienten und an Multipler Sklerose Erkrankten lindert der Cannabis-Wirkstoff THC erfolgreich Symptome.

Thorsten Kohlisch, Werksleiter

»Das sind jetzt unsere Lütten.«

Drei Sorten mit klangvollen Namen werden hier angebaut: Bienville, Great Bear und Churchill, mit jeweils unterschiedlichen THC-Gehalten, je nach Anwendungsfall – zu den ganz Großen geht es gleich.

Dort will Kolisch den Zustand der Pflanzen prüfen. Doch bevor es weiter geht, heißt es: Noch mehr Schutzkleidung.

»Dann gehen wir mal zu Besuch zur Churchill.«

Gut eine Tonne Cannabis darf hier im Jahr produziert werden – in ganz Deutschland wären 2,6 zulässig, aber die Konkurrenz ist noch nicht am Markt. Dabei ist die Nachfrage von Medizinalhanf im Land deutlich höher: Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurden 2020 9,4 Tonnen importiert. Könnten sich Patienten denn im Notfall nicht auch mit Gras von der Straße behelfen?

Thorsten Kolisch, Werksleiter

»Wenn ein Patient, der gerade eine Chemotherapie bekommt, als Beispiel, und das Immunsystem runtergefahren ist und es gibt eine Verunreinigung, mit schwachem Immunsystem könnte so was letal sein, also tödlich sein.

Wir versuchen hier ein reines Produkt zu geben und das kann auf der Straße niemals gewährleistet sein. Allein durch wie viele Hände es gegangen ist, also faktisch mit Handschweiß und mit allem, was in der Umgebung existiert. Wo wird es aufgezogen. Die haben ja niemals so eine gefilterte Luft, niemals solche sterilen Bedingungen wie wir.«

Tilray produziert weltweit nicht nur medizinisches Cannabis, sondern beispielsweise in Portugal und Kanada auch für den deutlich größeren Freizeitmarkt. Den könnten sie auch in Deutschland bedienen, die Kapazitäten sind da, nur die Gesetze fehlen noch.

»Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie die leere Halle hier sehen?«

Thorsten Kolisch, Werksleiter

»Na klar, sicherlich. Betriebswirtschaftlich betrachtet versuchen wir das hier so effizient hinzukriegen wie möglich. Aber da die Kapazitäten deutlich höher ausgelegt sein könnten, blutet einem betriebswirtschaftlich Beflissenen natürlich das Herz, weil es wäre ja viel mehr möglich, viel mehr Output möglich.«

Profit mit Gras. Das haben auch alle Ampelparteien für sich reklamiert. So hofft die FDP auf milliardenhohe Steuereinnahmen, die dann wiederrum in die Suchtprävention gesteckt werden könnten. Ökonomen schätzen die Einkünfte sowie Einsparungen zum Beispiel durch Polizei- und Justizkosten auf bis zu 4,7 Milliarden Euro.

Wo Cannabis langfristig legal ist, schrumpft der Schwarzmarkt – so auch in Kanada: 2020 wurde in den offiziellen Cannabisshops erstmals mehr verkauft als auf der Straße.

Zurück in Hamburg. Mittlerweile scheint sich etwas zu tun. Der Straßendealer kommt nach ein paar Minuten zurück und drückt uns etwas in die Hand. Dann trennen sich unsere Wege.

»Und? Wie war’s?«

Fabian Pieper, DER SPIEGEL

»Erfolgreich. Ich habe drei kleine Beutelchen mit einer grünen Substanz bekommen, das riecht wie Cannabis, das sieht auch aus wie Cannabis. Was da jetzt wirklich drin ist, weiß ich nicht und da schauen wir mal, ob wir rausfinden, was da eigentlich drin sein kann.«

Und um das rauszufinden, schicken wir unsere Probe ins Institut für Rechtsmedizin der Uni Freiburg. Dort werden beschlagnahmte Drogenlieferungen auf ihre Inhaltsstoffe analysiert. Doch bis unser Brief ankommt, dauert es etwas.

In der Zwischenzeit besuchen wir Bastian auf dem Land. Der heißt eigentlich anders und möchte auch nicht erkannt werden. Aus gutem Grund: Dann Bastian baut selbst Cannabis an.

Bastian

»Ja, die sind doch schon richtig schön groß, die Buds. Also, ich finde, das sieht doch unglaublich ästhetisch aus, oder?«

Seit Jahren baut Bastian sein Gras mit Leidenschaft selbst an – auch wenn er damit eine empfindliche Strafe riskiert. Für seine beiden Pflanzen auf dem Balkon der WG könnten ihm je nach THC-Gehalt eine Geldstrafe oder sogar Haft drohen.

Bastian

»Schiss hatte ich eigentlich nie, weil wir meistens so hoch waren, dass niemand auf unseren Balkon schauen konnte, oder wenn Leute draufschauen konnten, dann waren es Leute, bei denen ich nicht gedacht hätte, dass die uns verpfeifen würden. Ich glaube, ich habe die Gefahr, die damit einhergeht, einfach irgendwie auch so ein bisschen ausgeblendet.«

Das Wissen hat sich Bastian über die Jahre im Internet angelesen. Heute steht nach monatelanger Pflege die Ernte der Buds, also der Blüten an.

Bastian

»Heute ernten wir, weil ich mit Hilfe eines kleinen Mikroskops den Erntezeitpunkt festlege. Man kann hier auf den Blüten weiße Kristalle drauf erkennen. Die Kristalle sind die Trichome von den Pflanzen, die Trichome sind die Bereiche, in denen sich das THC sammelt und in diesen milchigen Trichomen ist die THC-Konzentration halt am höchsten.«

Weil er bei der langen Prozedur nicht auffallen will, wuchtet Bastian die Pflanzen erst einmal vom Balkon in die Wohnung.

Bastian

»Das allererste Mal gekifft habe ich mit 16 wahrscheinlich, und dann, dass ich regelmäßiger gekifft habe, mit 22, 23. Erst mit Anfang 30, da würde ich selber sagen, ja, ok, wenn man mal ehrlich ist, dann bin ich ein Kiffer.«

Laut eigener Aussage hat Bastian immer selbst angebaut oder Gras von Freunden bekommen.

»Ich war noch nie beim Dealer. Ich weiß nicht, was ich bekomme und ob das Gras manipuliert wurde. Ich würde mir wünschen, dass mit einer Legalisierung Produkte auf den Markt kommen würden, wo ich halt ganz genau weiß, was drin ist. Ich gehe ja auch in den Laden und kaufe ein Bier, weil ich weiß, das hat 4,6 Prozent Alkohol und ich kaufe nicht den Schnaps, der 32 Prozent hat.«

Selbst wenn Cannabis-Konsum nun erlaubt wird, für Bastian ändert sich wohl wenig. Die Legalisierung des privaten Anbaus strebt keine der drei Ampelparteien an, sondern eine kontrollierte Abgabe in lizenzierten Geschäften. Fakt ist: Die Zahl der Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten steigt trotz Illegalität in ganz Europa und in allen Altersschichten kontinuierlich an, wie Suchtforscher Jakob Manthey herausgefunden hat.

Laut Experten ist ein gelegentlicher Konsum für die meisten erwachsenen Menschen weitgehend unproblematisch, für junge Menschen im Teenageralter ist regelmäßiges Kiffen gefährlich. Aber was würde sich denn nun am Konsumverhalten ändern, wenn Cannabis legalisiert würde?

Jakob Manthey, Suchtforscher

»Die Erfahrungen aus Nordamerika zeigen, dass wir sehr wahrscheinlich keinen Anstieg bei den jüngeren Altersgruppen zu befürchten haben, wenn es legalisiert wird. Die Personen, die tendenziell eher neu anfangen zu konsumieren, sind diejenigen, die fest im Leben stehen, die sagen: ›Okay, jetzt ist es legal, jetzt möchte ich das mal ausprobieren in einem Rahmen, in dem ich vertrauen kann, dass ich tatsächlich ein Produkt kaufe und ein Produkt konsumiere, welches qualitätsgeprüft ist, und mich nicht den Risiken aussetzen muss, das auf der Straße zu kaufen.«

Mittlerweile ist unser Gras von der Straße am Uniklinikum Freiburg bei Volker Auwärter angekommen. Der Toxikologe analysiert für Polizei und Zoll sichergestellte Drogen, auch auf gefährliche Streckstoffe. Per Videocall erkundigen wir uns nach dem Ergebnis.

Volker Auwärter, Toxikologe

»Was wir hier rausbekommen haben, ist, dass es ganz normales Cannabis ist, insofern, dass der Hauptwirkstoff THC enthalten ist. Wir haben praktisch kein Cannabidiol gesehen. Wenn da welches drin ist, dann nur sehr wenig. Und vor allem waren da keine synthetischen Cannabinoide drin. Das ist ja ein Phänomen, das in der letzten Zeit häufig auftritt und insofern war für diese Probe Entwarnung.«

Birgit Großekathöfer, DER SPIEGEL

»War das für Sie erwartbar?«

Volker Auwärter, Toxikologe

»Wenn man mal auf die größere Skala schaut, wie groß der Anteil dieses Cannabis ist, das entsprechend manipuliert wurde, dann dürfte das in einer Größenordnung von plus minus zehn Prozent, mit regionalen Unterschieden natürlich, aber das ist natürlich schon ein erheblicher Anteil, wenn jede zehnte Probe entsprechend belastet ist mit gesundheitsschädlichen Stoffen. Es gibt jedes Jahr inzwischen ein Dutzend oder mehr Todesfälle, die auf das Konto dieser Stoffe gehen. Und das ist halt der entscheidende Unterschied zu Cannabis, weil THC als Wirkstoff bei Weitem nicht diese Giftigkeit aufweist.«

Trotz aller Risiken, die Droge ist etabliert. Der Markt ist da und auch die Produzenten stehen bereit. Eine Legalisierung würde den Konsum sicherer machen und den Schwarzmarkt bekämpfen. Was uns die Experten aber auch alle gesagt haben: So billig und einfach wie Alkohol darf Cannabis nicht zu bekommen sein, denn die Gesundheitsrisiken bei jüngeren Menschen oder regelmäßigem Konsum sind unbestreitbar vorhanden. Wie die Gesetze konkret aussehen, weiß noch niemand. Aber die Legalisierung wird wohl kommen. Nach vier Jahren wollen SPD, FDP und Grüne die Erfahrungen dann auswerten.











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