Virologe erwartet frühe Grippewelle – für wen eine Impfung wann Sinn macht

Weniger Kontakte, Lockdowns, Maske tragen, Tests vor Besuchen und auf die Hygiene achten – all das hat die Verbreitung des Coronavirus eingedämmt. Auch die Zahl der Grippe-Fälle war in den letzten Winter dadurch sehr niedrig. Expert:innen befürchten für dieses Jahr allerdings ein Comeback der Influenza. Die Grippewelle in Australien gilt als Vorbote für die Lage in Deutschland. In dieser Saison hat es in Down Under eine frühe und ausgeprägte Welle gegeben. Weitere Faktoren weisen darauf hin, dass es in diesem Herbst und Winter auch in der Bundesrepublik mehr Grippe-Fälle geben könnte.

In Deutschland wird das Influenzavirus normalerweise durch Weihnachten verteilt und wir erleben erst danach Grippewellen – in diesem Jahr sei mit einer deutlich früheren Grippewelle zu rechnen, schildert Professor Ulf Dittmer, Chefvirologe der Universitätsmedizin Essen im Gespräch mit dem stern. "Wir sehen jetzt schon die Vorboten – den Sommer über hatten wir bereits einzelne Grippe-Fälle. Das Virus ist im Sommer also nicht verschwunden, das ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise haben wir den Sommer über keine Grippe-Fälle." Wie genau die Grippewelle in dieser Saison ausfällt, sei auch davon abhängig, welche Corona-Maßnahmen genau in den Bundesländern im Herbst und Winter Vorschrift werden. 

Gesund durch den Winter


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Auch Jüngere können schwer an Grippe erkranken

Durch das viele Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in der Pandemie gab es sehr wenige andere Atemwegsinfektionen als Covid-19 und es ließen sich ungewöhnliche zeitliche Abläufe bei Viruserkrankungen, die über Atemwege und den Rachenbereich verbreitet werden, beobachten. "Wie zum Beispiel im letzten Jahr das RS-Virus – es hat bei Kindern eine ungewöhnlich frühe, sehr starke Welle ausgelöst, als die Maskenpflicht in vielen Bereichen abgeschafft wurde."

Unser Immunsystem lässt sich zwar nicht wie ein Muskel trainieren, es hat aber trotzdem einen Einfluss darauf, wie vielen und welchen Viren, Bakterien und Keimen wir ausgesetzt sind. "Es gibt so etwas wie ein trainiertes Immunsystem – für andere Infektionen als Corona haben wir das in den letzten zwei/zweieinhalb Jahren nicht ausgebildet. Auch bei jüngeren Menschen könnte deshalb eine Influenza-Infektion schwerer ausfallen", erklärt Ulf Dittmer.

Die Grippe sei nicht in einer Altersgruppe besonders verbreitet – es unterscheide sich allerdings die Krankheitsschwere. Eine Influenza-Infektion löst besonders bei älteren Menschen schwere Erkrankungen aus.

Grippeimpfung dieses Jahr besser schon im Oktober

Wer sich vor einer Infektion mit der Grippe schützen will, kann sich impfen lassen. Die ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine Grippeimpfung für alle ab 60 Jahren. "Die größte Gesundheitsgefahr gibt es für alle über 60 Jahren und für vorerkrankte Menschen mit einer Lungenkrankheit. Die Stiko-Empfehlung halte ich auch weiter für richtig. Doch auch für Jüngere lohnt es sich, zumindest über eine Grippeimpfung nachzudenken – das Influenzavirus kann auch bei ihnen schwere Verläufe verursachen, bei denen man sich über Wochen sehr schwer angeschlagen fühlt. In dieser besonderen Saison ist es vernünftig, wenn sich jede und jeder Gedanken über eine Impfung macht."

Durch den wahrscheinlich früheren Start der Grippesaison empfiehlt Ulf Dittmer auch eine frühere Impfung: "Viele Menschen lassen sich normalerweise im November oder Dezember gegen Grippe impfen. In diesem Jahr empfehle ich, dies spätestens im Oktober anzugehen." Für viele Menschen dürfte das in die Zeit fallen, in der sie sich die Booster-Spritze gegen Sars-CoV-2 verabreichen lassen wollen. "Die meisten Ärzte und Ärztinnen führen die Impfung inzwischen zeitgleich durch. Da spricht auch medizinisch, nach allem, was wir wissen, nichts dagegen. Es gibt aber auch noch Ärzte und Ärztinnen, die im Abstand von 14 Tagen impfen."

Grippewelle und zeitgleich ein Aufflammen der Corona-Fälle als Worstcase

Neben der Impfung können auch in der Pandemie gelernte Verhaltensweisen vor einer Infektion schützen: Auch wenn das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes keine Pflicht in Innenräumen ist, ist es weiterhin ein guter Schutz. "Eine Maske ist in Innenräumen –  vor allem wenn man auf viele Personen trifft – sehr sinnvoll. Es ist ein Unterschied, ob im Raum fünf, 15 oder 100 Personen sind – die Infektionswahrscheinlichkeit steigt exponentiell, je größer die Gruppe wird. Ein Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen, wenn man ihn tragen kann, wie zum Beispiel beim Einkaufen, macht auch diesen Herbst und Winter weiter Sinn", sagt Ulf Dittmer.

Neben vielen Grippe-Fällen könnte in der kalten Jahreszeit auch eine weitere Corona-Welle kommen – eine sogenannte Twindemic. Die größte Sorge für den Verlauf der Corona-Pandemie ist, dass eine neue Corona-Variante auftaucht, mit der niemand rechnet – das könnte erneut für viele Corona-Fälle sorgen, schilderte Biologe Ulrich Elling im Interview mit dem stern. Was in der kalten Jahreszeit auf uns zu kommt, kann niemand genau voraussagen, doch Experten wie Virologe Christian Drosten rechnen mit einer starken Corona-Welle.

Wenn sowohl Coronaviren als auch Influenzaviren zirkulieren, ist eine gleichzeitige Infektion mit der Grippe und Sars-CoV-2 möglich: "Wir haben in Deutschland vor allem im Jahr 2020 Fälle von Doppelinfektionen mit Covid-19 und Influenza gesehen – auch hier in der Universitätsmedizin Essen. Zu dieser Zeit war der Mund-Nasen-Schutz noch nicht verbreitet und es gab auch noch keine Corona-Impfung. Die Doppelinfektionen führen häufig zu sehr schweren Verläufen", schildert Ulf Dittmer.

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Symptome der Influenza

Besonders für die Krankenhäuser wäre eine Doppelwelle eine enorme Belastung: "Eine Doppelwelle von Covid-19 und Influenza wäre für Kliniken eine dramatische Situation. In der Grippesaison 2017/2018 hatten wir eine schwere Welle mit schätzungsweise 25.100 Toten in Deutschland. Am Höhepunkt der Welle im Februar 2018 hatten wir hier in der Klinik ähnlich schwierige Verhältnisse, wie wir es dann in der Pandemie mit Covid-19 erlebt haben", sagt Ulf Dittmer.

Eine Infektion mit dem Influenzavirus ist nicht zu verwechseln mit einem grippalen Infekt. Die Influenza verläuft typischerweise deutlich schwerer. Die Krankheit beginnt sehr rasch und es setzen plötzlich Symptome wie Fieber, trockener Husten sowie Kopf- und Gliederschmerzen ein. Es gibt aber auch Fälle, bei denen Menschen nur sehr leicht erkranken – dann ist die Erkrankung nicht von einer Erkältung zu unterscheiden, schreibt das Robert Koch-Institut.

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