Varizella-zoster-Meningoenzephalitis unter Fingolimod
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft erinnert an das Risiko von Varizella-zoster-Virus-Infektionen unter immunsupressiver Therapie mit Fingolimod. Eine Patientin mit schubförmiger Multipler Sklerose entwickelte unter Gilenya eine Meniningoenzephalitis.
Erst jüngst warnte die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) in einem Rote-Hand-Brief vor akutem und schweren, teils transplantationspfflichtigem Leberversagen unter Fingolimod. Fingolimod wird als krankheitsmodifizierendes Arzneimittel (Disease modifying Drug) bei schubförmiger Multipler Sklerose eingesetzt. Nun gibt der Fall einer 45-jährigen MS-Patientin Anlass, dass die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) an eine schwere Komplikation unter Fingolimdbehandlung erinnert. Die Patientin ist seit 20 Jahren MS diagnostiziert und nimmt seit fünf Jahren Gilenya®.
Wie wirkt Fingolimod?
Fingolimod zählt zu den selektiven Immunsuppressiva. Als Prodrug wird Fingolimod durch die Sphingosin-Kinase zum aktiven Metaboliten Fingolimod-Phosphat metabolisiert. Es bindet an den Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor (S1P-Rezeptor) auf Lymphozyten, wirkt dort als funktioneller Antagonist und blockiert deren Migration. Dadurch verhindert Fingolimod, dass Lymphozyten aus den Lymphknoten wandern können. Die Wirkung von Fingolimod auf Lymphozyten lässt sich somit eher als Umverteilung von Lymphozyten beschreiben als durch eine Depletion. Aufgrund des Festhaltens der Lymphozyten in den Lymphknoten sollen auch weniger pathogene Lymphozyten (Th17-Zellen) das Zentralnervensystem infiltrieren, die dort neuronale Entzündungen und Nervendestruktion fördern. Letzteres konnte in tierexperimentellen Studien gezeigt werden. Nach Gabe von Fingolimod (oral) sinkt bereits nach wenigen Stunden die Lymphozytenzahl im Blut auf 75 Prozent des Ausgangswertes. Gilenya® wirkt vorwiegend auf Lymphozyten (B- und T-Lymphozyten), die regelmäßig durch die Lymphknoten zirkulieren, wohingegen T-Lymphozyten mit Effektor-Memory-Phänotyp in den peripheren Geweben nicht beeinflusst werden (15 bis 20 Prozent). Darüber hinaus kann Fingolimod-Phosphat auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dort direkt an den S1P-Rezeptor auf Nervenzellen binden.
Die Patientin entwickelte eine Varizella-zoster-Virus (VZV)-Meningoenzephalitis, deren Symptome zunächst als MS-Schub verortet wurden. Der Allgemeinzustand der Patientin mit Müdigkeit und Abgeschlagenheit habe sich verschlechtert, ferner bestand eine Sensibilitätsstörung im rechten Bein, beichtet die AkdÄ. Wegen des Verdachts auf einen MS-Schub erfolgte zunächst eine hochdosierte Stoß-Therapie mit intravenösen Cortikosteroiden, jedoch ohne Erfolg. Innerhalb einer Woche entwickelten sich zudem Verlangsamung, Desorientiertheit und leichte Dysarthrie, im MRT konnten sodann meningoenzephalitische Veränderungen sowie VZV im Liquor nachgewiesen. Weitere Erreger (EBV, CMV, HSV, HHV 6, Enteroviren, JC-Virus, Kryptokokken, Mykobakterien) waren nicht nachweisbar. Die Patientin erhielt Aciclovir bis 15 mg/kg Körpergewicht, intravenöse Immunglobuline sowie orales Prednisolon. Trotz der Behandlung entwickelte die Patientin der AkdÄ zufolge eine Hemiparese und Dysarthrie, was durch eine Einblutung, am ehesten auf dem Boden eines ischämischen Schlaganfalles bei vaskulitischem Verlauf, gewertet wurde. Bei Entlassung in eine Rehabilitationseinrichtung hatte sich die Hemiparese leicht gebessert. Die enzephalitischen Veränderungen im MRT sowie die Viruskopienzahl im Liquor waren rückläufig.
An Meningioenzephalitis denken
Dass es unter Fingolimod zu Herpesvirusinfektionen kommen kann, zeigten bereits die Zulassungsstudien. Auch wird in den Produktinformationen gefordert, dass MS-Patienten vor Therapiebeginn auf Immunität gegen Varizellen (Windpocken) wie auch humane Papillomaviren (HPV) getestet werden. Ohne Immunität ist eine vollständige Immunisierung vor der ersten Einnahme durchzuführen. Symptome einer möglichen Infektion sollten umgehend ärztlich bewertet werden. Falls eine schwere Infektion auftritt, sollte ein Absetzen des MS-Therapeutikums in Betracht gezogen werden, rät die AkdÄ.
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