Streiten ist wertvoll: Experte erklärt, wie Sie mit Konflikten ans Ziel kommen
„Streits haben bei uns das Image von Fußpilz“, sagt der Konflikt-Coach Christoph Maria Michalski. Dabei hält er eine zünftige Auseinandersetzung für sehr wertvoll. Wie Sie die beherrschen und wann Sie ihr doch aus dem Weg gehen sollten, verrät er im Interview.
Herr Michalski, wann haben Sie sich zuletzt mit jemandem so richtig gestritten?
Christoph Maria Michalski: Gestern mit meiner Frau. Es ging um die Steuererklärung, die bis Ende August eingereicht werden muss. Ich habe Sie schon ein paar Mal erinnert und die Steuerberaterin drängelt auch. Meine Frau sagte: „Mach‘ ich morgen!“ Das konnte ich nicht verstehen und war darüber verärgert. Warum ärgert es mich? Weil ich selbst nicht der Ordentlichste bin und meinen Ärger über mich selbst an Ihr ableiten kann. Das ist unfair, also einmal kurz durchatmen und eine Lösung anbieten: „Lass‘ es uns gemeinsam heute Abend machen, dann ist es doch vom Tisch.“
Wo hört eine Diskussion auf und fängt ein Streit an?
Michalski: Streit fängt an, wenn Emotion hineinkommt. Das merkt man daran, dass jemand durch seine Stimme und Körpersprache eine Schwelle überschreitet, hinter der ich ihn nicht mehr rational überzeugen kann.
Was wäre ein Beispiel dafür?
Michalski: Sagen wir, sie unterhalten sich aktuell mit jemandem über das Thema Energiesparen und der sagt: „Ach, das bringt doch gar nichts, wenn ich abends meine Lampen früher ausschalte.“ Dann würde ich rational antworten: „Doch, klar bringt das was. Kleinvieh macht doch auch Mist.“ Wenn dann als Antwort kommt: „Ach, hör‘ mir doch auf mit sowas. Die sollen doch erst mal da oben anfangen mit sparen“, dann merken Sie, es geht gar nicht ums Energiesparen. Da spielt plötzlich eine Emotion mit herein, in dem Fall, dass sich die Politik nicht genug um die kleinen Leute kümmert.
Wie gehen Sie dann damit um?
Michalski: Ich würde das ansprechen und fragen, ob es jetzt um etwas anderes als Energiesparen geht und würde dann bitten, mir das ruhig zu erklären. Ich nehme also seine emotionale Energie auf, höre zu und versuche, zu verstehen. So etwas muss nicht eskalieren. Es gibt schon genug negative Energie auf der Welt.
Ihre generelle These ist, dass Streits wertvoll sind. Warum?
Michalski: Aus zwei Gründen: Erstens haben Streits eine positive Kraft. Sie bringen einem Souveränität. Menschen, die gut streiten können, sind angesehen, denn sie bringen Sachen nach vorne. Das ist auch der zweite Grund: Fortschritt. Jede Entwicklung ist aus einem Streit geboren. Wenn einer sagt: „Das können wir nicht bauen“, dann sagt der zweite: „Doch, können wir“ und geht in den Keller, bis er es geschafft hat.
Wie streitet man richtig?
Michalski: Als erstes sollten Sie dem anderen zuhören und herausfinden, worum es in dem Streit geht. Springen Sie nicht gleich auf die erste Antwort an. Dann müssen Sie merken, ab welchem Punkt Sie selbst emotional werden. Über die meisten Themen könnten Sie rein sachlich diskutieren, aber irgendetwas lässt Sie im Streit emotional werden. Das müssen Sie selbstreflektieren. Dann atmen Sie einmal tief durch und überlegen sich, was eigentlich Ihr Ziel in diesem Streit ist und überlegen sich dann eine geeignete Strategie, um diesen Streit zu beherrschen.
Was bedeutet es, den Streit zu beherrschen?
Michalski: Sie müssen den Streit beobachten und überlegen, ob Sie überhaupt noch vorwärts kommen. Oft drehen sich Streits im Kreis. Dann muss man unter Umständen den Streit beenden und vielleicht vereinbaren, am nächsten Tag noch einmal über das Thema zu reden. Vielleicht hat man auch schon längst einen Konsens gefunden und braucht gar nicht weiterstreiten. Wie Sie nach einem Streit auseinander gehen, ist sehr wichtig.
Woran merke ich, dass ein Streit ausartet?
Michalski: An der Energie, die ihnen jemand entgegenbringt. Das erkennen Sie an der Stimme und Körpersprache, zum Beispiel daran, wenn jemand laut oder hysterisch wird oder eine aggressive Mimik zeigt. Dann ist klar, gleich wird es eskalieren. Dann sollten Sie erst einmal Luft herausnehmen, indem Sie den Streit einfach unterbrechen. Da können Sie direkt sagen: „Okay, Stopp, ich merke, das wird zu emotional. Ich gehe mir was zu trinken holen.“ Die Pause nutzt meist jeder für eine kurze Selbstreflektion.
Wie merkt man das an sich selbst?
Michalski: Manche Trainer sehen das bestimmt anders, aber ich würde sagen, Sie können das nicht. Wenn wir selbst emotional werden und uns aufregen, dann sind wir in einem Ausnahmezustand. Da schwebt keiner mehr über sich selbst und merkt, dass er gerade ausrastet. Sie können aber präventiv etwas dagegen tun und dem Gegenüber zum Beispiel sagen: „Ich weiß, das ist ein Thema, bei dem ich schnell emotional werde. Wenn das passiert, sagen Sie kurz Bescheid, ich kann damit umgehen.“
Kann man so etwas wirklich sagen?
Michalski: Ja, finde ich schon. Das signalisiert dem Gegenüber auch einen gewissen Respekt und dass man denjenigen nicht verletzen möchte. Meine These ist, dass wir uns in der Gesellschaft nicht mehr trauen, über Konflikte zu sprechen. Die haben das Image von Fußpilz. Wir lernen nicht mehr, mit Streits umzugehen und deswegen vermeiden wir sie. Und weil wir so viele Streits unter den Teppich kehren, kommt es, wenn wir uns dann streiten, zu Eskalationen, weil sich dann eben so viel angestaut hat.
Wenn Streiten so wichtig und wertvoll ist, wieso haben wir dann den Drang, ihm aus dem Weg zu gehen?
Michalski: Da gibt es zwei Erklärungen für, eine evolutionäre und eine soziologische. Erstere besagt, dass wir drei Urinstinkte haben, wenn wir in die Enge getrieben werden: Flucht, Kampf und tot stellen. Kämpfen verbraucht viel Energie, was wir zu vermeiden versuchen. Tot stellen ist in Streits etwas blöd, also bleibt nur Flucht. Das ist der geringste Widerstand und verbraucht in dem Moment am wenigsten Energie, auch wenn es langfristig nicht hilft.
Soziologisch ist das darin begründet, dass eine Gesellschaft nicht funktioniert, wenn Sie jeden Streit austragen. Das schadet in der Familie oder dem sozialen Umfeld dem Zusammengehörigkeitsgefühl, was sehr wichtig ist. Für die Gemeinschaft muss man sich deswegen auch mal zurücknehmen und sich denken: „Keine Ahnung, warum wir im Verein jetzt dieses blöde Sommerfest machen müssen, aber wenn ihr alle dafür seid, dann mache ich halt mit.“
Wann sollte man Streits dann aus dem Weg gehen?
Michalski: Wenn Sie merken, dass es nicht um irgendetwas geht, was Ihnen am Herzen liegt. Das können Sie an den drei Grundbedürfnissen Zusammenhalt, Sicherheit und Wachstum messen. Wenn ein Streit auf keines der drei einzahlt, ist er unnötig. Außerdem sollten Sie nicht streiten, wenn jemand in einer Extremsituation ist. Beispiel: Wenn gerade ein Verwandter gestorben ist, sollten Sie mit einen Trauernden nicht versuchen, über die Erbschaft zu diskutieren. Der wird explodieren, das ist dem gerade völlig egal.
Heutzutage gibt es gerade in sozialen Medien viele Menschen, die Streit geradezu suchen. Was unterscheidet solche Personen von der Mehrheit, die Streits vermeiden möchte?
Michalski: Für die meisten Menschen ist Streit ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Für den „Streithannes“ ist er ein Selbstzweck. Dem ist es egal, worum es geht, er liebt es einfach, andere auf die Palme zu bringen. Gerade in sozialen Medien bekommen solche Menschen heutzutage dafür auch Aufmerksamkeit und Zuspruch. Da geht es aber nur um das eigene Ego, nicht um eine Sache.
Welchen Einfluss hat Streitsucht oder die Fähigkeit, zu streiten, auf die Karriere? Führungspersönlichkeiten gelten zum Beispiel oft als cholerisch.
Michalski: Auf Top-Positionen finden Sie tatsächlich öfter streitlustige Leute. Aber die streiten, um Fortschritt zu erzielen. Wer Karriere machen will, muss streiten können. Wenn Sie ein Ziel erreichen wollen, müssen Sie gegen Widerstände arbeiten. Damit kommen Sie notgedrungen in Konflikte und müssen Kompromisse finden. Das gilt für den Firmenchef wie für den Vorsitzenden vom Schützenverein. Nur so kommen Sie voran. Streit als positive Kraft ist ein Entwicklungsmotor.
Folgen Sie dem Autor auf Facebook
Folgen Sie dem Autor auf Twitter
Quelle: Den ganzen Artikel lesen