No vs. Zero Covid: Was hinter den Strategien steckt und wie realistisch sie sind
Ziel der Politik ist es, die Zahl der Neuinfektionen landesweit auf unter 50 pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen zu drücken. Nur dann seien die Gesundheitsämter in der Lage, alle Kontaktpersonen nachzuverfolgen. Zwei Initiativen ist das zu wenig – sie wollen einen Inzidenzwert von 0.
In der Debatte um die Bekämpfung der Corona-Pandemie geistern seit vergangener Woche zwei Begriffe durch die Medien, die leicht für ein und dasselbe gehalten werden können. Die Rede ist von der sogenannten „No Covid“- und der „Zero Covid“-Strategie. Tatsächlich stecken dahinter aber unterschiedliche Initiativen mit unterschiedlichen Ideen. Wer die Initiatoren sind und was genau sie fordern, schlüsseln wir im folgenden Überblick auf.
Wer steckt hinter der „No Covid“- und „Zero Covid“-Initiative?
„No Covid“ (übersetzt „Kein Covid“) bezeichnet ein Positionspapier, das von einer Reihe führender Wissenschaftler und Forscher erarbeitet und dem Bundeskanzleramt sowie den Ministerpräsidenten der Länder am 18. Januar vorgestellt wurde.
Darin fordert die 13-köpfige Expertengruppe eine „neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von Sars-CoV-2“. Ihre Strategie zielt darauf ab, Neuinfektionen, Todesfälle und weitere bundesweite Lockdowns zu vermeiden. Zu den Autoren des Papiers gehören unter anderem die Virologin Melanie Brinkmann und der Physiker Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest, der Soziologe Heinz Bude und der Mediziner Michael Hallek vom Uniklinikum in Köln.
Bei „Zero Covid“ (übersetzt „Null Covid“) handelt es sich um eine deutsch-österreichisch-schweizerische Initiative, hinter der Vertreter unter anderem aus der Wissenschaft, Gesundheit, Pflege, Bildung, aus Gewerkschaften und der Kultur stehen.
Mit einer Internetpetition und dem Hashtag #ZeroCovid in den sozialen Medien fordern die Befürworter der „Zero Covid“-Kampagne von den entsprechenden Regierungen einen „radikalen Strategiewechsel“. Das bedeutet „kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung“, wie es auf der Webseite der Initiative heißt. „Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.“
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Was sehen die Strategien konkret vor?
Die Initiatoren der „No Covid“-Strategie wollen ein schnelles Absenken der Infektionszahlen auf Null. So müsse die Zahl der Neuinfektionen durch einen Lockdown zuerst auf 10 pro 100.000 Einwohner und Woche gesenkt, und die Inzidenz danach auf Null reduziert werden. Die 4 Millionen-Großstadt Melbourne habe für die Reduktion von 10 auf Null etwa drei bis vier Wochen benötigt, argumentieren die Autoren. In Deutschland hätten wir im Sommer bereits eine Inzidenz von 2,5 gehabt.
Regionen, die dieses Ziel erreichen, zählten dann zu sogenannten grünen Zonen, die schrittweise zur Normalität zurückkehren könnten. Außerhalb dieser Zonen würden strenge Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen sowie Quarantäneregeln gelten, unterstützt durch eine effiziente Teststrategie. Ziel sei es, schrittweise die Zahl grüner Zonen zu erhöhen. Neue Ausbrüche würden mit lokalen Maßnahmen konsequent bekämpft werden.
Homeoffice, wo immer es möglich ist
Gleichzeitig skizzieren die Experten in dem von "Zeit Online" veröffentlichten Papier, wie negative Folgen für die Wirtschaft minimiert werden können. Wo immer möglich, sollten Betriebe Homeoffice ermöglichen.
Als Ausnahme gilt: „Da es mit hohen Fixkosten verbunden ist, große Fabriken zu schließen und später wieder zu öffnen, sollten insbesondere Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr, z.B. hochautomatisierte Fabriken, und sehr hoher Wertschöpfung pro Beschäftigtem (insbesondere das produzierende Gewerbe) weiter produzieren dürfen.“ Das allerdings nur unter strengen Hygieneauflagen, also mit FFP2-Masken, Lüftungstechnik und regelmäßigem und konsequentem Testen der Mitarbeiter.
Außerdem müssten vulnerable Gruppen und Pflegeeinrichtungen durch regelmäßige Tests (zweimal pro Woche per PCR oder jeden Tag per Antigentest) und eine ausreichende Versorgung mit medizinischer Schutzausrüstung besser geschützt werden. Ein erneutes Schließen der Grenzen zu den Nachbarländern sei für das Gelingen der Strategie hingegen nicht zwingend nötig. Am effektivsten sei aber ein gemeinsames europäisches Vorgehen.
Dadurch, so argumentieren die Autoren, werde „die Dauer des Lockdowns nicht auf ein bestimmtes Datum terminiert, was willkürlich erscheint und frustrierende Verlängerungen nach sich zieht, sondern sie endet mit dem Erreichen der Ziele, also möglicherweise auch früher als geschätzt, wenn die Region erfolgreich agiert.“
Europaweiter, wochenlanger Shutdown
Die „Zero Covid“-Strategie ist noch rigoroser. Um ihr Ziel von null Neuinfektionen am Tag zu erreichen, fordern die Initiatoren und Befürworter einen wochenlangen, europaweiten Shutdown, bei dem alle „gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stillgelegt werden“.
Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen und Schulen müssten geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause müsse so lange dauern, bis es keine Infektionen mehr gibt. In ganz Deutschland könnte das lange dauern – in einzelnen Kreisen könnte das aber schon in wenigen Wochen klappen.
Niemand dürfe dabei zurückgelassen werden: Um diejenigen, die zu Hause bleiben müssen, finanziell absichern zu können, sei ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig. Menschen, die von den Auswirkungen des Shutdowns besonders hart betroffen sind, müssten besonders unterstützt werden. Dazu gehörten Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, einem gewalttätigen Umfeld oder Obdachlose.
„Sammelunterkünfte müssen aufgelöst, geflüchtete Menschen dezentral untergebracht werden. Menschen, die im Shutdown besonders viel Betreuungs- und Sorgearbeit leisten, sollen durch gemeinschaftliche Einrichtungen entlastet werden“, heißt es weiter. Kinder müssten online unterrichtet werden, notfalls in Kleingruppen.
Europaweite „Covid-Solidaritätsabgabe“
Erst wenn das Ziel von null Infektionen erreicht sei, könnten in einem zweiten Schritt die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. Eine Kontrollstrategie soll dafür sorgen, dass die Kreise virenfrei bleiben und lokale Ausbrüche sofort energisch, d.h durch einen erneuten Lockdown und Kontaktnachverfolgung, eingedämmt werden. Das Gebiet wäre dann eine „Green Zone“. Sind mehrere kleine Gebiete virenfrei, könnten diese als Reisegebiete miteinander verbunden werden. Das soll dann auch andere Gebiete anspornen.
„Wir brauchen drittens auch eine gemeinsame langfristige Vision – und auf deren Basis regionale und nationale Aktionspläne. Diese beinhalten Screening- und Impfstrategien, Schutz von Risikogruppen und Unterstützung der Menschen, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind.“
Um das alles finanziell stemmen zu können, verlangen die Befürworter von „Zero Covid“ die Einführung einer europaweiten „Covid-Solidaritätsabgabe“ auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen. „Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben", steht dazu auf der Webseite von „Zero Covid“.
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Wie realistisch sind die beiden Strategien? Welche Kritik gibt es?
Viele Experten halten eine Strategie, bei der die Inzidenz innerhalb von wenigen Wochen auf Null reduziert werde, für unrealistisch. So konstatiert Markus Scholz, Mathematiker und Fachmann für epidemiologische Modellierungen: „In den Wintermonaten das Infektionsgeschehen auf null zu drücken, halte ich für fast aussichtslos. Bestimmte Grundversorgungen müssen bestehen.“
Es sei überhaupt nicht machbar, dass es wirklich gar keine Kontakte mehr gibt. „Wenn die neue Mutante zu einem Anstieg der Zahlen führt, muss man sicherlich darüber nachdenken, auch die Betriebe noch zu schließen.“ Ansonsten habe er die Hoffnung, dass wir „mit diesem semi-harten Lockdown durchkommen. Das Virus in 14 Tagen auszurotten, hat noch nirgendwo geklappt, auch nicht in China.“
Als „realitätsfern“ bezeichnete der Epidemiologe und Virologe Klaus Stöhr im ZDF-Interview die „Zero Covid“-Strategie. Das liege auch daran, dass den Winter über die Ausbreitung von Atemwegserkrankungen ganz natürlich auf einem 10- bis 15-fach höheren Niveau sei. „Dass man jetzt versucht, die Inzidenz auf 50 zu drücken, glaube ich, ist der falsche Ansatz. Es wirkt auch demotivierend.“
Deutschland sei ein reiches Land und habe die ökonomischen Möglichkeiten, einen harten Lockdown zu fahren, aber es müsse dann auch durchhaltbar sein, „man muss die Menschen mitnehmen und das sehe ich einfach in der Balance nicht“, argumentierte Stöhr.
„Realitätsfern“ und „nicht auf Deutschland übertragbar“
Auch Georg Jochum, Professor für Europarecht an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, hält eine solche Strategie, die laut einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ im Vorbeigehen den Kapitalismus abzuschaffen gedenkt, für schwer umsetzbar: „Die Situation in den einzelnen europäischen Ländern ist ja deutlich unterschiedlich. Sowohl was das Infektionsgeschehen anbelangt als auch, was die Gesundheitssysteme und die Sozialsysteme anbelangt“, erklärte Jochum gegenüber dem ZDF.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schließt sich an: „Das Modell sehe ich nicht auf Deutschland übertragbar“, sagte er vergangenen Freitag. Das Land liege in der Mitte eines Kontinents, in der Mitte der Europäischen Union, „deswegen sehe ich Null als dauerhafte Zielmarke nicht als das, was in einem Land wie Deutschland mit unserer Lage und Situation funktionieren kann.“
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Stattdessen müssten die Infektionszahlen weiterhin reduziert werden und möglichst niedrig bleiben, so Spahn weiter – gegebenenfalls auch mit entsprechenden Maßnahmen an der Landesgrenze, um die Corona-Infektionen in Deutschland zu reduzieren und gering zu halten. „Je näher die Inzidenz an die Null-Inzidenz kommt, desto besser“, ergänzte der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. So könnte das Virus beherrscht und Ausbrüche sofort erkannt und eingedämmt werden. Shopping-Deal mit FOCUS Online – Jetzt EU-zertifizierte FFP2-Masken ab 99 Cent pro Stück bestellen!
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