"Jämmerlich erstickt": Ein Patientenanwalt spricht über fatale Pflegefehler

Als Fachanwälte für Medizinrecht erleben wir fast täglich die Bandbreite der Folgen des Pflegenotstands. Der Zeitdruck verursacht fatale Pflegefehler. Oft wenden sich deshalb die Angehörigen verstorbener Patienten an uns. Häufiger Fall: Ein bettlägeriger Patient entwickelt deutlich sichtbare Druckgeschwüre, die nicht adäquat pflegerisch versorgt werden. Keime dringen ein und zerfressen das Fleisch, bis schließlich eine Blutvergiftung mit tödlichem Ausgang entsteht. Oft bemerken Pflegekräfte aufgrund der knappen Personalsituation auch nicht, wenn sich der Zustand eines Patienten kritisch verändert und man schnell reagieren müsste.

Zur Person

Dr. Burkhard Kirchhoff arbeitet als Rechtsanwalt im hessischen Weilburg. 

Aktuell vertreten wir ein Verfahren, in dem ein junger Mann jämmerlich erstickt ist, nachdem seine Trachealkanüle verrutscht war – das ist eine Kunststoffkanüle, die in seine Luftröhre eingeführt wurde, damit er beatmet werden konnte. Ein wegweisendes Röntgenbild wurde angeordnet, dann aber unserem Verdacht nach nicht befundet. Der Patient verstarb nachts, nachdem er bereits Tage vorher seiner Mutter Zettel geschrieben hatte: "Ich kriege keine Luft, ich wäre gestern Nacht fast erstickt." Oft bemerken Pflegekräfte auch zu spät, wenn bei einem Patient das Herz gefährlich zu rasen beginnt oder er auffiebert – einfach weil ihnen die Zeit für die sorgfältige Kontrolle der Vitalparameter fehlt, die insbesondere bei Infektionspatienten lebenswichtig sein kann. In Deutschland gibt es immer noch Kliniken, die hochgefährliche Strukturen aufweisen, weil selbst auf Intensivstation Pflegekräfte fehlen.

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Dieses Problem ist der deutschen Politik seit Jahren bekannt, auch Minister Spahn, es wurde gleichwohl grob fahrlässig nicht gehandelt. Die Folgen werden wir in der Corona-Pandemie – so steht zu befürchten – noch deutlicher spüren. Beatmungspflichtige Covid-19-Patienten sind so pflegeintensiv, dass Fehler durch zu wenig oder nicht hinreichend geschultes Pflegepersonal schnell tödlich wirken können.

Ein trauriger "Klassiker" der von uns bearbeiteten Haftungsfälle ist auch die Gabe falscher, unzureichend dosierter oder nicht zum richtigen Zeitpunkt gegebener Medikamente. Bei einem Patienten mit Blutvergiftung kann das einmalige "Vergessen" der Antibiotikagabe den Tod nach sich ziehen. Wir fordern deshalb eine weitergehende Digitalisierung der Kliniken. In niederländischen Kliniken sind solche Fehler der Pflege durch EDV-Warnprogramme weitgehend ausgeschlossen.

Gleiches gilt, wenn Befunde wie das Ergebnis einer Laboruntersuchung auf Bakterien im Blut oder einem Wund-Abstrich nicht innerhalb der üblichen Laufzeit von drei Tagen in der Klinik sind. Das würde auch einer überlasteten Pflegekraft auffallen, wenn ein Computer im Schwesternzimmer Alarm schlagen würde. Doch solche Warnprogramme werden nicht angeschafft, weil sie Geld kosten. Die Digitalisierung der Kliniken auf dem Gebiet der Pflege und ärztlichen Behandlung ist in Deutschland weitgehend verschlafen worden. Welch wichtige Rolle sie für die Sicherheit gerade schwerkranker, besonders schutzbedürftiger Patienten spielen kann, wird immer noch unterschätzt.

Die Gesundheitspolitik des deutschen Gesundheitsministers ist gescheitert. Herr Spahn hat weder die Notwendigkeit der Infektionsprävention erkannt, noch hat er realisiert, dass man die viel zu hohe Anzahl an Pflegefehlern nur effektiv reduzieren kann, wenn das Vergütungssystem der Kliniken grundlegend reformiert wird. Auch in diesem Bereich machen uns die Niederlande vor, wie es laufen muss. Dort gibt es kaum Pflegefehler, weil Primat der Kliniken nicht sein muss, möglichst viel zu operieren, um Umsatz zu generieren. 40 Prozent der Klinikbetten werden in der Universitätsklinik Groningen nicht ohne die Zustimmung der Pflege besetzt, da redet kein ärztlicher oder kaufmännischer Leiter rein.

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"Am Ende hatte Frieda einfach Glück": Der Pflegekräftemangel gefährdete das Leben meiner Tochter

In den Niederlanden müssen sich Patienten eine Operation regelrecht verdienen. Bevor zum Beispiel eine Hüfte operiert wird, muss der Patient sein Gewicht reduziert und konservative Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben. In den Niederlanden sind operative Eingriffe ultima ratio, nicht angestrebt. Übertherapie bedeutet mehr Kosten, mehr Pflegeaufwand, mehr Infektionen und mehr Patientenleid.

Endspurt bis zum 11. Februar. Unterschreiben Sie jetzt! Hier geht es zur Bundestagspetition.

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