Falsche Heilpraktikerin vor Gericht: Der Prozess ist schnell vorbei – und endet mit einer Warnung
Sibel C. erweckt den Anschein, als hätte sie selbst mehrere kosmetische Anwendungen hinter sich gebracht. Mit pinken, glitzernden Kunst-Nägeln streicht sie sich das lange, schwarze Haar aus dem Gesicht, das sie kurz zuvor noch mit einem laminierten Blatt Papier verdeckt hatte. Verdeckt für die Fotos, die die Reporter vor dem Prozessbeginn von ihr schießen. Ob die 25-Jährige auch ihre eigenen Lippen mit Hyaluron hat behandeln lassen – so wie sie es illegalerweise bei 38 Frauen getan hat – ist nicht klar. Aber es sieht zumindest danach aus.
„Kosmetische Optimierungen“ liefen schmerzhaft ab
Die Hamburgerin wird angeklagt, in insgesamt 45 Fällen "ohne Heilpraktikerin oder sonst dazu befugt zu sein" Unterspritzung mit Hyaluronsäure im Gesichtsbereich ihrer Kundinnen vorgenommen zu haben. Der Prozess, der am Freitag am Amtsgericht Hamburg-Altona startet, ist schnell vorbei. Die meiste Zeit nimmt das Verlesen der Anklageschrift ein, da die Staatsanwältin jeden einzelnen Fall detailgenau wiedergibt. Fast immer ging es bei den Behandlungen um die Lippen, einige Male auch um das Kinn, den Bereich unter den Augen oder die Nase. Und sehr oft seien die Unterspritzungen auf "schmerzhafte Weise" abgelaufen.
Die Kundinnen von Sibel C., die sich laut der Anklageschrift "für die kosmetische Optimierung ihrer Gesichter interessierten", seien eigenständige via Instagram auf Sibel C. aufmerksam geworden, wo sie nach wie vor für ihren Schönheitssalon wirbt. Dort und in ihrer Wohnung soll sie die Unterspitzungen durchgeführt haben, ohne Aufklärung darüber, dass die 25-Jährige "nicht über die Berechtigung zur Durchführung entsprechender Behandlungen verfügte und dass diese mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden waren". Die Frauen seien davon ausgegangen, "eine qualifizierte, werthaltige Behandlung" zu erfahren und hätten niemals die Dienste der Angeklagten in Anspruch genommen, wenn sie von den fehlenden Qualifikationen gewusst hätten. Die einzelnen Eingriffe ließ Sibel C. sich mindestens hundert und oft auch mehrere hundert Euro kosten. In Juristensprache: "Eine dauerhafte Einnahmequelle von erheblichem Umfang".
Die Vorwürfe, die daraus resultieren, lauten gefährliche Körperverletzung, gewerbsmäßiger Betrug und Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz. Denn die Faltenunterspritzung mit Hyaluron ist ein Teilgebiet der ästhetischen Medizin und unterliegt in der Ausübung der Heilkunde dem Heilpraktikergesetz. "Heilpraktiker dürfen im Rahmen Ihrer beruflichen Tätigkeit grundsätzlich hautverletzende Tätigkeiten, zum Beispiel Injektionen durchführen", erklärt Ulrich Sümper, der Präsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker dem stern. Allgemein gilt: Die Unterspritzungen mit Hyaluron sind nur Ärzten und Heilpraktikern gestattet.
Verhandlung endet abrupt
Im Gegensatz zu kosmetischen Anwendungen sei medizinisches Fachwissen, insbesondere die speziellen anatomischen Kenntnisse für Behandlungen mit Hylauron unerlässlich. "Sie müssen die angewendeten Injektionstechniken nachweisbar beherrschen, die Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung kennen und die Kunden ausführlich über die Risiken, Nebenwirkungen und erwartete Ergebnisse der Behandlung aufklären", erläutert der Experte. Eine ausführliche Aufklärung sei obligatorisch.
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Das haben die Kundinnen bei Sibel C. nicht erfahren. Stattdessen Schmerzen während und nach der Behandlung, Schwellungen und Ergebnisse, die ästhetisch nicht dem gewünschten Effekt entsprachen. Stumm hört die 25-Jährige den Vorwürfen zu. Die Anwälte, die rechts und links von ihr sitzen, tippen auf ihren Laptops. Die Richterin steht auf und greift aus einem großen Karton einen von mehreren schwarzen Ordnern. Die Juristen wollen sich besprechen und schicken alle Zuschauer vor die Tür. Auch die Angeklagte verlässt den Saal. Eine Parfumwolke zieht hinter ihr her. Mehrere Minuten vergehen, dann dürfen die Zuschauer für kurze Zeit zurück in den Saal, bevor der Prozess abrupt endet.
Denn während der Besprechung wurde klar, dass dem Verteidiger bei der Vorbereitung auf die Verhandlung einige der schwarzen Ordner gefehlt haben. Dementsprechend konnte er nicht alle Unterlagen zur Anklage studieren. Das müsse er nachholen, deshalb wird die Verhandlung vertagt, informiert die Richterin und wendet sich zum Abschluss direkt an die Angeklagte – mit einer Warnung. Der Prozess sei sehr umfangreich und Sibel C. drohe bereits jetzt eine hohe Strafe. "Sie sind auf sehr dünnem Eis unterwegs", mahnt die Juristin. Sollte es Hinweise geben, dass die Kosmetikerin weiterhin Unterspritzungen mit Hyaluronsäure anbietet, werde ein Haftbefehl folgen, "weil man anders nicht gestoppt werden kann".
Woran man einen seriösen Heilpraktiker erkennt
Zu ähnlichen Prozessen kam es in der Vergangenheit bereits öfter. Yvonne Mayer-Hackmann, Heilpraktikerin und Pressesprecherin des Netzwerks "Heilpraktiker für ästhetische Medizin" beobachtete bereits 2019 ein Überhandnehmen illegaler Aktivitäten. "Hyaluron-Unterspritzungen können ein Gefahrenpotenzial bergen, wenn die Behandler die anatomischen Strukturen oder produktspezifischen Besonderheiten nicht kennen", sagte sie 2019 in einem Artikel von "Paracelsus.de", dem Portal der Paracelsus Schulen für Naturheilverfahren. Personen, die illegal Unterspritzungen anbieten, verfügen weder über eine ärztliche Approbation noch eine Erlaubnisurkunde zur Ausübung der Heilkunde.
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Dass es sich um einen seriösen Heilpraktiker handelt, könne man oft bereits am Internetauftritt erkennen. Die Angabe zur Legitimation sollte sich im Impressum des Internetauftritts finden – auch auf Social Media, erklärt Yvonne Mayer-Hackmann in einer Stellungnahme des Verbandes unabhängiger Heilpraktiker. Ein weiterer Trick, dem sich viele Betrüger bedienen, sei die Bezeichnung "Heilpraktiker in Ausbildung". Aber "selbst wenn dem so sein sollte, so dürfen diese bis zum Erhalt ihrer Erlaubnisurkunde keine Behandlungen am Patienten durchführen", betont sie. Im Zweifel solle man sich im Beratungsgespräch die Erlaubnisurkunde, sowie die Zertifikate der entsprechenden Fachfortbildungen zeigen lassen.
Und auch am Gespräch selbst könne man die Seriosität eines Behandlers erkennen. Wird man ausreichend aufgeklärt? Erhält man genug Bedenkzeit? Werden mögliche Komplikationen erwähnt? Zudem seien die meisten Heilpraktiker in einem Berufsverband organisiert, sagt Ulrich Sümper. Die Verbandszugehörigkeit sei zum Beispiel vom Praxisschild, den Rechnungen oder aus Infomaterial abzulesen. Dem entsprechenden Berufsverband werden die Verfahren mitgeteilt, mit denen in der Praxis gearbeitet wird. Diese Unterlagen könne man als Kunde oder Patient anfordern. "Daraus sollten die Qualifikationen hervorgehen und belegt werden können", sagt der Experte.
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