Dunning-Kruger-Effekt: Warum wir manchmal gar nicht so smart sind, wie wir denken

Oskar Wilde sagte einmal: “Das Dilemma der Menschheit ist, dass die Idioten so selbstsicher und die Intelligenten so voller Selbstzweifel sind.“ Und auch, wenn der irische Schriftsteller gestorben ist, bevor dieses Jahrhundert begann, ist heute noch etwas an seiner Aussage dran. Was er – etwas überspitzt formuliert – beschreibt, ist mittlerweile sogar ein gut erforschtes psychologisches Phänomen namens Dunning-Kruger-Effekt. Grob zusammengefasst beschreibt es die Selbstüberschätzung von Menschen. Etwas, das grundsätzlich jedem von uns hin und wieder passieren kann. Aber warum halten wir uns eigentlich manchmal für schlauer als wir sind?

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Eine eindeutige Antwort gibt es auf diese Frage bis heute nicht, erklärt Dr. Christian Lange-Asschenfeldt, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Düsseldorf-Kaarst im Gespräch mit dem stern: “Der Dunning-Kruger-Effekt ist in der Literatur wenig beachtet. Das liegt vor allem daran, dass der Leidensdruck in dem Fall nicht allzu groß ist. Deshalb gibt es auch im Vergleich zum Imposter-Phänomen sehr wenig Forschung zu dem Effekt, obwohl wir ihm alle im Alltag begegnen.“

Umstrittene Theorie der Selbstüberschätzung

Alle Theorien, die man aktuell zu dem Phänomen findet, gründen auf einer Studienreihe der beiden amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999. Damals ließen die beiden einige Studierende zunächst Logik- und Grammatiktests lösen. Anschließend sollten die Teilnehmenden beurteilen, wie gut sie im Vergleich zu den anderen abgeschnitten haben. Und siehe da – wer am schlechtesten abgeschnitten hatte, glaubte am ehesten an seinen Erfolg. Nach Ansicht der Studienleiter ein klarer Hinweis dafür, dass inkompetente Menschen ihre Fähigkeiten unbewusst überschätzen. Die Geburtsstunde des Dunning-Kruger-Effekts.

Um das Phänomen besser erklären zu können, entwickelten die Wissenschaftler ein Vier-Stufen-Modell der Selbstwahrnehmung. Es dient noch heute als Erklärungsmodell für die Ursache der Selbstüberschätzung von halbwissenden Menschen.

  • Inkompetente Menschen überschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten
  • Sie sind unfähig, das Ausmaß ihrer Inkompetenz zu erkennen
  • Bedingt durch ihre Ignoranz bauen sie ihre Kompetenz nicht aus
  • Dadurch unterschätzen sie die überlegenen Fähigkeiten anderen Menschen

Im Laufe der Zeit gab es immer mal wieder Kritik an der Theorie. Einen Kernkritikpunkt haben auch der Philosoph Edward Nuhfer und der Psychologe Steven Fleischer von der California State University in einer Studie aufgegriffen. Darin kritisierten sie den von Dunning und Kruger hergestellten Zusammenhang von Intelligenz, Selbstreflexion und Bildung. Ihr Argument: Gebildete Menschen sind schlichtweg geübter darin, die Grenzen ihres Wissens zu erkennen.

Warum wir uns selbst überschätzen 

Tatsächlich seien die Ursachen für den Dunning-Kruger-Effekt vielfältig, sagt Dr. Lange-Asschenfeldt dem stern. So spiele die Persönlichkeitsstruktur eine große Rolle bei der Entwicklung von kognitiven Verzerrungen wie der Selbstüberschätzung, weniger dafür der Intelligenzquotient. Der Dunning-Kruger-Effekt trete etwa oft in Verbindung mit narzisstischen Persönlichkeitszügen auf. Aber verallgemeinern ließe sich auch das nicht, erklärt der Fachmann: “Ich würde sagen, fast jeder neigt manchmal dazu, sich selbst zu überschätzen.“

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Ein angegriffenes Selbstvertrauen spielt bei der Selbstüberschätzung laut Astrid Schütz, Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg, aber schon eine Rolle. Sie sagt dazu im Gespräch mit dem “Handelsblatt“: “Menschen tendieren dazu, ihren Selbstwert bewahren oder erhöhen zu wollen.“ Folglich würden vor allem unsichere Menschen dazu tendieren, sich selbst zu überschätzen.

Und auch der Sozialpsychologe Dr. Hans-Peter Erb weist im Gespräch mit “National Geographic“ auf den Zweck der Selbstüberschätzung hin – denn in der Psychologie geschieht kaum etwas ohne einen Grund. Im Fall des Dunning-Kruger-Effekts geht es laut Erb darum, das positive Selbstbild aufrechtzuerhalten. Das sei ein menschliches Bedürfnis. Und wer es mit der Selbstüberschätzung nicht übertreibt, der könne damit sogar erfolgreich sein: “Wer sich leicht selbst überschätzt, der ist eher erfolgreich, weil er auch Aufgaben angeht, die er nach realistischer Einschätzung vielleicht gar nicht angegangen hätte.“

Wenn der Denkfehler auffliegt

Also sollten wir uns am besten alle für schlauer halten, als wir sind? So einfach ist das Ganze dann leider auch nicht. Wie bei vielen anderen Themen ist es auch hier so: Die Menge macht das Gift. Laut Dr. Christian Lange-Asschenfeldt hat der Effekt zwar keinen Krankheitswert, kann sich aber trotzdem negativ auf das eigene Leben auswirken, wenn er überhandnimmt: “Der Leidensdruck bei dem Dunning-Kruger-Effekt kommt eher im Nachhinein. Wenn den Betroffenen ihre Selbstüberschätzung im Abgleich mit der Realität bewusst wird.“ Dann setze oft die Scham ein.

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Laut Dunning und Kruger merken Menschen mit einer ausgeprägten Form der kognitiven Verzerrung allerdings auch im Nachhinein nicht, dass sie sich selbst gnadenlos selbst überschätzen. Zumindest so lange, bis es im Beruf oder Privatleben auffällt und sie ständig scheitern, ohne den für andere oftmals offensichtlichen Grund dafür zu erkennen.

Damit einem selbst das nicht passiert, hilft laut Lange-Asschenfeldt vor allem ein gesundes und kritisches Umfeld, das einem das eigene Verhalten im Zweifel auch mal ehrlich spiegelt: “Sie brauchen immer ein Korrektiv für die eigene Sicht auf die Welt. So verhindert man, sich in seiner eigenen scheinbaren Realität zu verfangen und die Bodenhaftung zu verlieren.“

Quellen: Handelsblatt, National Geographic, Oberberg Fachklinik, Studie California State University, Studie Dunning-Kruger-Effekt

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