Aufs falsche Pferd gesetzt: So kommentiert Deutschland die Impfstoffbeschaffung der EU

Während einzelne Länder beim Impfen vorgeprescht sind, hielt sich Deutschland strikt an den EU-Weg. Hierzulande gibt es allerdings zu wenige Impfdosen. Zudem gab es zuletzt ein Hin und Her, wie viele Dosen der Bund und damit die Bundesländer überhaupt in nächster Zeit erhalten. So kommentiert die Presse die Impfstoffbeschaffung der EU.

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Brüssel hat es versäumt, ausreichend Dosen zu bestellen, um die größtmögliche Zahl an gefährdeten EU-Bürgern in einem möglichst kurzen Zeitraum zu schützen. Im Vergleich zu Frankreich, Italien und den Niederlanden steht Deutschland mit gut 160.000 verabreichten Dosen vergleichsweise gut da. Doch China, die USA und Großbritannien haben bereits mehrere Millionen Menschen mit Vakzinen versorgt.

Selbst das kleine Israel hat mit gut einer Million Geimpften bereits größere Fortschritte gemacht als alle EU-Länder zusammen. Da klingt so manche Lobrede aus Brüssel auf die EU-Impfkampagne wie blanker Hohn. Oder wie es der Chef von Biontech mit aller diplomatischer Vorsicht ausdrückt: Er sei über die Einkaufspolitik der EU verwundert gewesen."

Impfstoffbeschaffung: "Die EU setzte auf die falschen Pferde"

"Frankfurter Allgemeine": "Dass Biontech-Chef Ugur Sahin die Beschaffungspolitik der EU kritisiert ('Mich hat das gewundert'), gießt nun noch zusätzlich Öl ins Feuer. Jens Spahn möchte dieses Feuer mit der Bemerkung austreten, dass es zu Beginn der Impfkampagne eben ein wenig 'ruckelt'. Die SPD sieht es wesentlich dramatischer. Ausgerechnet das durch Verwaltungskunst nicht gerade ausgewiesene SPD-regierte Berlin tut sich dabei besonders hervor. Während erst ein Bruchteil der ersten Impftranche verabreicht ist, beschwert sich die Gesundheitssenatorin, dass nicht schon sofort das nächste Kontingent angeliefert wird.

Die SPD-Fraktion im Bundestag – nennt sie sich noch Regierungsfraktion? – spricht von einem Verteilungschaos, das dann ja wohl auch von den jetzt so kritischen SPD-Landesregierungen angerichtet wurde. Bei alledem sollte nicht in Vergessenheit geraten: Durch das Licht, das am Ende des Tunnels zu sehen ist, schimmern schon die Scheinwerfer des Superwahljahrs."

"Westfalen-Blatt": "(…) die Strategie der EU, auf viele Hersteller zu setzen und damit möglichst vielen Interessen der Mitgliedsländer gerecht zu werden, war nicht optimal. Vor allem setzte die EU auf die falschen Pferde.

Im August orderte sie beim britisch-schwedischen Konzern Astra-Zeneca, im September beim französischen Hersteller Sanofi und im Oktober bei Janssen aus Belgien. Bei Biontech aber bestellte sie erst im November. (…) Andere Länder waren vorausschauender und kauften deutlich schneller bei Biontech ein. (…) Mag sein, dass bei diesen Ländern die nationalen Egoismen überwogen, die EU hingegen mehr auf Ausgleich setzen wollte. Doch nun muss sich die EU erstmal in die Warteliste einreihen – und das gefährdet Menschenleben."

"Je länger es dauert, bis es Klarheit gibt, desto quälender wird es"

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): "Die politische Debatte um die Impfstoffe köchelt zwar schon länger vor sich hin, nun aber könnte sie mit den Äußerungen von Biontech-Chef Sahin und SPD-Mann Lauterbach so richtig Fahrt aufnehmen: Hat die EU bei der Bestellung der Vakzine gegen Corona schwere Fehler gemacht? Der Hintergrund ist klar: Andere Länder sind beim Impfen schneller, und Versäumnisse in der Vorbereitung werden jetzt offensichtlich.

Vermutlich müssen Deutschland und Europa auch mit anschauen, wie diese Schere noch weiter auseinandergeht. Und dann droht Feuer unterm Dach. Denn, klar, wer seine Bevölkerung schneller impfen kann, kommt auch schneller aus der Krise. Es bleibt zwar weiterhin politisch richtig, dass man bei der Zulassung zunächst auf eine europäische Lösung gesetzt hat. Nationale Alleingänge hätten die EU neuen, heftigen Fliehkräften ausgesetzt. Doch ist aus heutiger Sicht anzuzweifeln, dass die Kommission in Brüssel der Aufgabe gerecht geworden ist.

Wenn der US-Produzent Moderna, wie dessen Chef sagt, 300 Millionen Impfdosen angeboten, die EU dies aber abgelehnt hat, so war das ein kapitaler Fehler. Auch hätte Europa von Anfang an mehr Dosen von Biontech bekommen können – hat aber wohl aufs falsche Pferd gesetzt. Es ist beruhigend, dass die Mainzer nun betonen, dass Deutschland genug Impfstoff bekomme und man mehr Dosen liefern werde als geplant. Aber je länger es dauert, bis es Klarheit gibt, desto quälender wird es – angesichts des Lockdowns und der bleibend hohen Zahlen an Corona-Fällen und Todesopfern. Es wäre ein Horrorszenario, irgendwann feststellen zu müssen: Europa hat beim Schutz der Menschen versagt."

"Solidarität ist eben nur billig, solange sie nicht gebraucht wird"

"Augsburger Allgemeine": "Weil auch die europäischen Partnerländer beliefert werden, kommt in diesen Tagen weniger Impfstoff in die Bundesrepublik. Das kann man beklagen, aber europäisches Mitgefühl und ein Vorrang für Deutschland gehen nicht zusammen. Solidarität ist eben nur billig, solange sie nicht gebraucht wird. In der Not erweist sich, ob sie Lippenbekenntnis bleibt oder echte Selbstverpflichtung.

Ankreiden lassen muss sich Spahn, dass die Verteilung des Serums nicht funktioniert. Mehrere Bundesländer beklagen die mangelnde Planbarkeit. Wenn die Deutschen für andere Menschen in Europa zurückstecken, sollten sie wenigstens den Anspruch haben, dass das Corona-Gegenmittel in der Heimat gerecht verteilt wird."

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