Apotheken sollen Lieferengpässe bei Kinderarzneien mit Rezepturen abfedern
Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat einen Vier-Punkte-Krisenplan vorgelegt, wie sie die Versorgung kranker Kinder in diesen schwierigen Zeiten sicherstellen wollen. Was die Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln betrifft, sollen insbesondere die Apotheken in die Bresche springen, etwa mit Rezepturen.
Seit Monaten kämpfen die Apotheken mit Lieferengpässen bei Kinderarzneimitteln. Vor allem Fiebersäfte und gängige Antibiotika sind Mangelware. Auch in den Kinderarztpraxen und in den Krankenhäusern spitzt sich die Situation zu: Nur mit Mühe können die vielen kleinen Patientinnen und Patienten noch versorgt werden, gleich mehrere Wellen von Atemwegsinfekten rollen über das Land hinweg.
Mehr zum Thema
Deutlich erhöhte Nachfrage
Wie Apotheken mit dem Ibuprofen- und Paracetamol-Engpass umgehen sollen
Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 1): Der Apotheker
„Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Pharmazeuten sein dürfen”
Arzneimittellieferengpässe
Ärztepräsident bringt „Arzneimittel-Flohmärkte“ ins Spiel
Jetzt legt die Grünen-Fraktion im Bundestag ein Ideenpaket vor, wie man der Situation Herr werden könnte. In einem Vier-Punkte-Krisenplan adressiert sie die aus ihrer Sicht wichtigsten Baustellen, die unverzügliches Handeln erfordern: Arzneimittelversorgung, Entlastung von Familien, Kinder- und Jugendarztpraxen und Kinderkliniken.
Grüne: Rezeptur ist Kernaufgabe der Apotheken
Um den Lieferengpässen bei Kinderarzneien zu begegnen, setzen die Grünen vor allem auf die Apotheken. „Kernaufgabe der Apotheken ist nicht nur die Abgabe industriell hergestellter Medikamente, sondern auch die Zubereitung von Arzneimitteln“, betonen sie in ihrem Papier. „Besteht für ein Medikament nachweislich ein Lieferengpass, sollten Apotheker*innen für einen befristeten Zeitraum – und auf Medikamente zur Behandlung akuter Atemwegserkrankungen begrenzt – eigenständig und ohne erneutes Rezept durch den behandelnden Arzt oder die Ärztin ein Medikament wie beispielsweise einen Fiebersaft herstellen können.“
Mehr zum Thema
Wegen anhaltender Lieferengpässe
Paracetamol für Kinder: Hilfe aus der Rezeptur
Lieferengpass bei Kinder-Schmerzmitteln
Rezeptur statt FAM – wann braucht es ein neues Rezept?
Aus Tabletten und Zäpfchen
Paracetamol und Ibuprofen für Kinder aus Fertigarzneimitteln herstellen
Zudem sollten Apotheker:innen für einen befristeten Zeitraum nach telefonischer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt beziehungsweise der Ärztin Alternativprodukte ausgeben können, ohne dass dafür ein neues Rezept ausgestellt werden muss, fordert die Fraktion. Voraussetzung ist, dass für ein Medikament nachweislich ein Lieferengpass besteht. Falls sie stückeln müssen, um die Versorgung mit einem knappen Medikament zu sichern, schlagen die Grünen vor, die Patientinnen und Patienten nicht für jede Packung einzeln mit einer Zuzahlung zu belasten.
Extra-Pflichten für den Großhandel
Auch den pharmazeutischen Großhandel wollen die Grünen verstärkt in die Pflicht nehmen: Um Lieferengpässe zukünftig besser abfangen zu können, sollte er verpflichtet werden, „alle Medikamente, die von der Weltgesundheitsorganisation in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel geführt werden, für einen Zeitraum zu bevorraten, mit dem das Abfedern von Liefer- und Nachfrageschwankungen ermöglicht wird“. Auch soll die Meldepflicht sich anbahnender Engpässe gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, die aktuell nur für die Hersteller gilt, auf den Großhandel ausgeweitet werden – gleichzeitig sollten nach Ansicht der Grünen „nicht nur versorgungsrelevante Medikamente umfasst sein, sondern jegliche Arzneimittel“. Überdies wollen sie die zuständigen Aufsichtsbehörden ermächtigen, bei akutem Versorgungsmangel Vorgaben zur Ausgabe und Verteilung von Medikamenten an Großhandel und Apotheken auszusprechen und zu überwachen.
Überfüllte Kliniken und Praxen, fehlende Arzneimittel
So will Lauterbach die Versorgung von Kindern sicherstellen
Um Familien zu entlasten, regen die Grünen an, dass Arbeitnehmer erst ab dem vierten Krankheitstag ihres Kindes dem Arbeitgeber ein Attest vorlegen müssen. So soll auch eine Überlastung der Kinderarztpraxen vermieden werden. Zudem wollen sie die erweiterte Kinderkrankentage-Regelung von 30 statt 20 Tagen bis Dezember 2023 fortsetzen und die ab dem 1. Januar 2023 verpflichtend geltende elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schnellstmöglich auch um die Attestierung von Kinderkrankentagen erweitern.
Mehr Geld für Haus- und Kinderarztpraxen in unterversorgten Regionen
Überdies nimmt die Fraktion auch die Kinder- und Jugendarztpraxen in den Blick. Sie sollen von den bestehenden Budgetbegrenzungen befreit werden und ihre Patientinnen und Patienten unbegrenzt und bei voller Vergütung telemedizinisch beziehungsweise per Videosprechstunde betreuen können. Letzteres soll auch für Hausärztinnen und -ärzte gelten. Des Weiteren sollen beide Berufsgruppen in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen umgehend einen Vergütungsaufschlag erhalten, um die medizinische Versorgung zu sichern. Sollte in der aktuellen Überlastungssituation eine Behandlung in den regulären vertragsärztlichen Kinder- und Jugendarztpraxen nicht möglich sein und Eltern in der Not privatärztliche Angebote für ihre Kinder in Anspruch nehmen, sollen die Kosten in Höhe der Preise vergleichbarer Vertragsärzte durch die gesetzliche Krankenversicherung – auch ohne vorherige Genehmigung – erstattet werden.
Koordination und Leasing-Fachkräfte für Kinderkliniken
Zu guter Letzt widmen sich die Grünen den Kinderkliniken. Während der Corona-Pandemie habe sich die zentrale Koordination von Klinik-Versorgungskapazitäten über das sogenannte Kleeblattsystem und DIVI-Intensivregister bewährt. „Auch jetzt brauchen wir Koordination und Steuerung, um für jedes Kind, das ein Krankenhausbett braucht, schnell eines zu finden“, heißt es in dem Papier. Zur Abfederung der aktuellen Spitzenbelastung sollten zudem Leasingfachkräfte von den Kliniken vorübergehend einfacher herangezogen werden können als bisher. Um das Personal in den Kliniken weiter zu entlasten, bedarf es nach Einschätzung der Grünen überdies einer befristeten, extrabudgetären Vergütung telemedizinischer Leistungen für Kinderklinken zur Sicherstellung der Akutversorgung in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen