Drei Szenarien zeigen, wie schlimm die Corona-Herbstwelle werden könnte
Viele Fachleute warnen schon jetzt vor der Herbstwelle. Dass sie kommen wird, darin sind sich alle einig. Wie hoch sie ausfällt, ist ungewiss. Modellierer Dirk Paessler versucht sich an einer Antwort. Gerade jetzt sind es Rechnungen mit vielen Unbekannten. Welche Punkte hierbei wichtig sind.
Während der Pandemie ist Dirk Paessler zu einem ihrer Modellierer geworden. Seine Rechnungen zeichnen mögliche Szenarien – so wie nun für den Herbst bezüglich Inzidenz, Intensivbettenbelegung, Todesfällen und Hospitalisierungen. Letztere machten eben ein Update seiner Modellrechnung nötig.
Auf Twitter präsentiert der Unternehmer, was uns im Herbst erwartet – im optimistischen, zentralen und pessimistischen Szenario.
- Alle Szenarien sehen eine Welle im Herbst.
- Die genaue Höhe der Welle auf Basis der aktuellen Zahlen ist kaum absehbar.
- Damit sind auch Spitzenwerte aller anderen Kurven noch nicht genau abschätzbar.
Das sind die Kernaussagen. Denn die Höhe der Welle im Herbst sei kaum zuverlässig vorherzusagen. Das sei mit der aktuellen Datenlage nicht möglich. Schon die Inzidenz ist momentan aufgrund der hohen Dunkelziffer sehr ungenau. Nur Personen mit positivem PCR-Test werden in der Statistik des Robert-Koch-Instituts (RKI) als Coronainfizierte gezählt. Gleichzeitig sind seit einiger Zeit die Schnelltests für viele kostenpflichtig, sodass Experten davon ausgehen, dass noch mehr Infektionen unerkannt bleiben. Das bedingt, dass alle aus der Inzidenz abgeleiteten Werte ebenso unsicher sind. Klar ist für Paessler: „Eine Welle scheint mir zurzeit unvermeidbar.“
Wann erreichen wir den Peak?
- Optimistisches Szenario: Anfang Oktober – Inzidenz gut 2500
- Zentrales Szenario: Mitte September – Inzidenz gut 3500
- Pessimistisches Szenario: Anfang September – Inzidenz um 4000
Zu seinen Kurven weist Paessler darauf hin: „Die Modellrechnung enthält nur eine Modellierung für freiwillige Verhaltensänderungen“ – im Fall des optimistischen Szenarios reduzieren also Bürger ihre Kontakte, wenn die Inzidenz steigt. Aber die Rechnung berücksichtigte keine vorgegebenen „Maßnahmen“. Dazu müssten erstmal der politische Wille gefunden und teilweise die Rechtsvoraussetzungen geschaffen werden, merkt der Modellierer an.
Ein kritischer Punkt: BA.5
Paessler schreibt: „Die Berechnung der Hospitalisierungen berücksichtigt jetzt explizit die circa 50 Prozent höhere Pathogenität von BA.5.“ Diese werde bei jedem weiteren Ansteigen der Fallzahlen (über Inzidenz=1000 zwischen 20.8. und 20.9. in den drei Szenarien) einen immensen Hebel auf die Patienten-Neuzugangs-Zahlen haben.
Dass die aktuell dominante Omikron-Variante tatsächlich pathogener ist, also schwerer krank macht als ihre Vorgänger BA.1 und BA.2, ist noch nicht erwiesen. Darauf gibt es Hinweise. Virologe Friedemann Weber beurteilte BA.4 und BA.5 auf Nachfrage von FOCUS online als „eventuell auch pathogener“, Lungenfacharzt Cihan Çelik vom Klinikum Darmstadt berichtete ähnliche Eindrücke aus seinem Alltag. Anders sah das Virologe Ulf Dittmer vom Universitätsklinikum Essen: „Bisher sehe ich keine überzeugenden Daten, dass BA.4/5 pathogener sind als es BA.1/2 waren.“ Auch in Essen gebe es dafür keine Hinweise.
- Lesen Sie mehr dazu: Wissenschaftler fürchten: Omikron-Subtypen ähneln mehr der „tödlicheren“ Delta-Variante
Zwar ist in den Zahlen des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zu sehen, dass es in vielen Kliniken eng wird – wenn auch die Unterschiede zwischen den Regionen groß sind. Auf Normal- wie Intensivstationen liegen seit Anfang Juni immer mehr Covid-19-Patientinnen und -Patienten.
Dass dies aber an der höheren Pathogenität von BA.5 liegt, ist derzeit nicht eindeutig. Andere Faktoren spielen ebenfalls mit hinein: BA.5 ist definitiv ansteckender als die vorherigen Corona-Varianten, sodass sich viele Menschen infizieren. Gleichzeitig erkranken auch diejenigen (wieder), die Geimpft oder Genesen sind, weil BA.5 dem Immunsystem entwischen kann. Dazu kommt, dass gerade unter den Risikogruppen die Immunabwehr gegen Sars-CoV-2 aktuell nicht mehr so gut ist, weil im Alter beispielsweise der Schutz schneller abnimmt und die Impfungen länger her sind.
Jetzt auf den Herbst vorbereiten
Paesslers Rechnungen enthalten also viele Unbekannte, was er selbst einräumt. Sie verdeutlichen dennoch: Die Herbstwelle wird kommen und noch wäre Zeit, Vorkehrungen zu treffen. Die Zahlen des RKI-Wochenberichts zeigen beispielsweise: Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen nehmen zu. Es braucht Konzepte zum Schutz der Risikogruppen. Die Schulferien gehen in den ersten Bundesländern bald zu Ende. Doch die Politik habe es auch im dritten Jahr der Pandemie nicht fertiggebracht, die Schulen auf den erwarteten Anstieg des Infektionsgeschehens im Herbst vorzubereiten, beklagte Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Schulen sind weiterhin keine sicheren Lernorte und laufen im kommenden Schuljahr Gefahr, erneut geschlossen werden zu müssen, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen.“
Auch die Virologin Isabelle Eckerle kritisierte die verpassten Chancen wie mehr Unterricht und Initiativen im Freien. In skandinavischen Ländern sei das viel üblicher bei jedem Wetter, schrieb die Expertin auf Twitter und hat eine Anregung für alle: „Wenn wir die Zeit in muffigen, schlecht belüfteten Innenräumen mit Kunstlicht reduzieren würden, (nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene) hätte das viele positive Effekte (Infektionen, mentale Gesundheit, Gewicht).“
Sehen Sie im Video: Wütender Lufthansa-Mitarbeiterin platzt der Kragen: „Das ist ein Affenzirkus“
FOCUS online Sehen Sie im Video: Wütender Lufthansa-Mitarbeiterin platzt der Kragen: „Das ist ein Affenzirkus“
Quelle: Den ganzen Artikel lesen