2 Millionen in Deutschland betroffen: 2 Faktoren helfen, einem Aneurysma vorzubeugen
Als Aneurysma bezeichnen Mediziner eine Ausbuchtung der Arterien. Mehr als zwei Millionen Deutsche haben ein Aneurysma im Gehirn. Wenn es platzt, kann eine Hirnblutung entstehen und in Folge auch ein Gefäßverschluss. Ein Neurochirurg erklärt Risiko und Frühsymptome.
Aneurysmen können im Prinzip an jeder Arterie im Körper entstehen. Eine besondere Problematik bergen diese Gefäßaussackungen jedoch im Gehirn. Rund drei Prozent der in Deutschland lebenden Menschen sind von dieser Gefäßkrankheit betroffen, viele wissen nichts davon. Oft wird dabei der Vergleich zu einer tickenden Zeitbombe gezogen, denn erst ein Riss wird zum lebensgefährlichen Risiko oder kann zu schweren, oft bleibenden Behinderungen führen. Nur die wenigsten Betroffenen erholen sich wieder vollständig.
Allerdings besteht das Risiko für einen Riss nicht bei allen Aneurysmen. Wie können Betroffene erkennen, ob sie ein Hirn-Aneurysma haben – und ob es reißt? Wäre ein Screening zur Früherkennung sinnvoll? Bernhard Meyer, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat für FOCUS Online die wichtigsten Fragen zum Hirn-Aneurysma beantwortet.
FOCUS Online: Wie gefährlich ist das Aneurysma im Kopf tatsächlich – und ist es „nur“ dann gefährlich, wenn es platzt?
Bernhard Meyer: Die Hauptgefahr besteht tatsächlich in den allermeisten Fällen, wenn es platzt. Aneurysmen, die problematisch werden, obwohl sie nicht geplatzt sind, gibt es nur sehr selten. Das ist der Fall, wenn sie so groß sind, dass sie auf eine Struktur des Gehirns drücken, was zu Symptomen führt, oder sich aus einem großen Aneurysma kleine Blutgerinnsel lösen, die zu einem Schlaganfall führen. Beides ist jedoch eine Rarität. Die Hauptgefahr besteht in der Ruptur und der Blutung, die dadurch entsteht.
Wie hoch ist das Risiko, dass ein Hirn-Aneurysma platzt?
Meyer: Das lässt sich nicht generell sagen. Es hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wichtig ist die Größe. Ist der größte Durchmesser des Aneurysma kleiner als 7 Millimeter, ist das Blutungsrisiko fast vernachlässigbar. Ist er größer, steigt das Blutungsrisiko exponentiell an und erreicht den einstelligen Bereich, dass es innerhalb eines Jahres zu einer Blutung kommt.
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Ausgehend von den Zahlen der Betroffenen würde das bedeuten, dass wenn 100 Menschen ein Hirn-Aneurysma haben, das größer als sieben Millimeter ist, drei von ihnen innerhalb eines Jahres eine Ruptur erleben müssten?
Meyer: Ja, so lässt sich das Risiko berechnen. Es kommt aber neben der Größe des Aneurysma auch auf zwei äußere Faktoren an, die das Risiko deutlich erhöhen: Konstant erhöhter Blutdruck sowie Rauchen. Dabei zeigen Studien, dass Rauchen in diesem Zusammenhang ein unabhängiger Risikofaktor ist.
Wodurch kann ein Aneurysma im Gehirn platzen?
Meyer: Wann man das wüsste, wäre man schon einen Schritt weiter. Vermutlich ist es etwas Banales, irgendwann reißt die dünne Haut des Aneurysma eben ein. Unter dem Mikroskop sieht man genau, dass ein Aneurysma sehr viel dünnhäutiger ist als ein normales Gefäß, irgendwann entsteht dann ein Leck.
Durch den Riss im Aneurysma kommt es zu einer gefährlichen Blutung im Gehirn, was passiert dabei genau?
Meyer: Es handelt sich um eine Subarachnoidalblutung, abgekürzt SAB. Das bedeutet, die Blutung ergießt sich nicht in ein begrenztes Gehirnareal, sondern breitet sich flächig auf der Gehirnoberfläche und -basis aus, dabei unter der Arachnoida, also der feinen Haut, die direkt auf dem Gehirn aufliegt.
Was bedeutet das für den Betroffenen, wie lebensgefährlich ist die Ruptur des Aneurysma?
Meyer: Jeder fünfte, so sagen das die aktuellen Studien, stirbt dabei noch vor Ort, also bevor er in eine Klinik gebracht werden konnte. Hier spielt natürlich auch eine Rolle, wie die lokale medizinische Versorgung ist, wie rasch ein Rettungswagen kommen kann, wie weit das nächste Krankenhaus entfernt ist. Von den Überlebenden bleibt mindestens ein Drittel ihr Leben lang schwerstbehindert, ein weiteres Drittel lebt mit einer Behinderung, die zwar beeinträchtigt, aber Unabhängigkeit erlaubt. Und weniger als ein Drittel überlebt die Ruptur folgenlos.
Welche Ursachen hat ein Aneurysma im Kopf?
Meyer: Es muss vermutlich einen genetischen Defekt geben, der dazu führt, dass an manchen Stellen des Gehirnkreislaufes die mittlere Schicht der Arterien, die sogenannte Media, Defekte aufweist. Das ist der Ausgangspunkt, aber um welche Genmutationen es sich dabei handelt, weiß man noch nicht. Anders als Aneurysmen in anderen Körperbereichen, bilden sich diese Aussackungen im Gehirn übrigens immer an Aufzweigungen des Gefäßes, wo eine Wandschwäche besteht. Der pulsierende Blutdruck kann dann diesen Bereich mit der Dauer aufdehnen.
Gibt es Frühanzeichen, bevor ein Aneurysma im Gehirn platzt?
Meyer: Nur bei rund fünf Prozent kommt es zu einem sogenannten Warning Leak, einer sehr kleinen Warnblutung, die nur mit heftigen, aber kurzfristigen Kopfschmerzen einhergeht. Die meisten achten gar nicht darauf.
Die Symptome, wenn ein Aneurysma im Gehirn dann richtig reißt, sind dagegen sehr massiv?
Meyer: Dabei handelt es sich um den sogenannten Vernichtungskopfschmerz, das sind also stärkste Schmerzen, das klassische Symptom einer Subarachnoidalblutung. Diese gehen oft mit Übelkeit, Erbrechen und Bewusstlosigkeit einher.
Wie wird die Diagnose in der Klinik gestellt?
Meyer: Mit Computertomografie lässt sich das typische Erscheinungsbild im Gehirn darstellen – flächenhafte Verteilung des Blutes an der Gehirnbasis, dort wo die Arterien verlaufen. Ursache ist dann eine SAB und der Patient hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Aneurysma-Ruptur. Gleichzeitig lässt sich im CT eine Gefäßdarstellung machen, wodurch eine Angiografie heute oft nicht mehr nötig ist.
Das betrifft die Diagnose im Akutfall. Wird ein Aneurysma im Kopf manchmal auch zufällig entdeckt?
Meyer: Das ist immer häufiger der Fall. Wenn jemand immer wieder Kopfschmerzen hat – die mit dem Aneurysma nichts zu tun haben – und das abklären lassen möchte, wird eine Kernspintomographie durchgeführt und dabei kann als Zufallsbefund ein Aneurysma im Gehirn entdeckt werden.
Wird dieses Aneurysma dann vorbeugend behandelt?
Meyer: Die Einstellung zu einer prophylaktischen Behandlung hat sich stark gewandelt. Vor 20 Jahren hat man ein zufällig entdecktes Aneurysma ohne Diskussion sofort behandelt, um eine spätere Ruptur und Blutung auszuschließen. Dann gab es Studien, die das differenzierter sehen ließen. Das eingangs genannte Kriterium der Größe ist demnach wichtig für die Entscheidung, das Risiko einer Blutung ist bei einem unter sieben Millimeter kleinem Aneurysma sehr gering – und zwar geringer als die Risiken bei einer prophylaktischen Behandlung.
Vermutlich spielt das Vorliegen von Risikofaktoren wie Bluthochdruck ebenfalls eine Rolle?
Meyer: Bluthochdruck gehört zu den zusätzlichen Faktoren, die eine Entscheidung für oder gegen eine vorbeugende Behandlung beeinflussen – außerdem das Alter des Patienten, ob es einen Blutsverwandten gibt, der bereits eine SAB durch ein Aneurysma hatte. Es gibt also eine Reihe von Scores, mit denen man die Blutungswahrscheinlichkeit bei einem Patienten individuell wenigstens abschätzen kann. Überwiegt das Risiko, das durch Abwarten entsteht, das der Behandlung, entscheidet man sich in der Regel für eine prophylaktische Therapie.
Die Behandlung, auch im Akutfall, also bei einer Ruptur bedeutet, das Gefäß wieder zu stabilisieren?
Meyer: Dafür gibt es zwei Methoden – bei der einen werden durch den Katheter Spiralen aus Platin eingeführt oder Strukturen aus anderen Materialien, wie beispielsweise spezielle Netze, die das Aneurysma von innen abdichten, also embolisieren. Dabei handelt es sich um das sogenannte Coiling, das ist also eine endovaskuläre Behandlung. Die traditionelle Therapie ist die Operation über eine Schädelöffnung, wobei auf das Aneurysma eine Metallklammer gesetzt wird, wodurch es sozusagen ausgeschaltet ist.
Welche Methode wird aktuell häufiger angewendet und warum?
Meyer: Die Entscheidung, welche Therapieform zum Einsatz kommt, wird im Team der behandelnden Ärzte diskutiert. Wenn möglich wird das Coiling durchgeführt, weil diese Behandlung risikoärmer ist als die offene Operation. Wenn heute ein Patient im Akutfall mit einer Aneurysma-Ruptur ins Krankenhaus eingeliefert wird, wird in 70 Prozent der Fälle das Aneurysma über einen Katheter verschlossen. Nur noch etwa 30 Prozent der Patienten werden operiert.
Handelt es sich um ein zufällig entdecktes Aneurysma, das noch nicht gerissen ist, aber behandelt werden muss, etwa weil es sehr groß ist oder andere Risikofaktoren bestehen, wird meist immer noch häufiger operiert – bei uns zum Beispiel genau im gegenteiligen Verhältnis: rund 70 Prozent Operation, 30 Prozent über den Katheter. Diese Entscheidungsfindung ist jedoch immer auch eine gemeinsame zwischen Neurochirurgen und Neuroradiologen, da die Abwägung im Einzelfall sehr komplex ist.
Wie geht es für den Patienten nach der Behandlung weiter?
Meyer: Die Erkrankung ist sehr komplex. Zu Anfang steht also ein blutiger, hämorrhagischer Schlaganfall, was die Ruptur des Aneurysmas ja letztlich ist. In der Folge bildet sich häufig ein ischämischer Schlaganfall, also ein Infarkt. Ursache ist das Blut, das sich in Folge der Ruptur um die Arterien herum befindet. Beim Abbau des Blutes entstehen Produkte, die wiederum eine Verdickung der Arterienwände hervorrufen. Es kommt zu Entzündungen und das Lumen der Gefäße verengt sich. Wie beim Herzinfarkt kann es dadurch zum Hirninfarkt kommen.
Dieses Risiko ist innerhalb der ersten zwölf Tage sehr hoch. Auch wer den ersten Teil mit der Blutung überstanden hat, kann dann durch das zweite Ereignis noch das Leben verlieren oder bleibende Schädigungen davontragen. Dabei handelt es sich um die für Schlaganfall typischen Beeinträchtigungen wie Lähmungen, Sprach- und Sehstörungen.
Lässt sich ein Aneurysma verhindern, ist Vorbeugung möglich?
Meyer: Am einfachsten und vermutlich effektivsten dürfte es sein, die Risikofaktoren zu verringern – also nicht rauchen und darauf achten, dass der Blutdruck gut eingestellt ist. Diese Prävention kann bekanntlich vor vielen Krankheiten schützen – und dabei auch bis zu einem gewissen Maß vor einem Aneurysma.
Wäre ein Screening sinnvoll, um ein Aneurysma frühzeitig zu erkennen?
Meyer: Das ist nur dann sinnvoll, wenn in der Familie bereits jemand betroffen war und eine SAB durch ein Aneurysma hatte. Es gibt Gegenden auf der Welt, in denen dies häufiger familiär auftritt – etwa in manchen Teilen Finnlands. Hier ergibt das Screening einen Sinn. In Deutschland hätte das wenig Sinn, dazu ist das große Aneurysma im Gehirn zu selten. Werden kleinere entdeckt, verunsichert das die Betroffenen nur und es besteht die Gefahr der Überbehandlung.
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