Ärzte behandeln Heuschnupfen meist falsch, doch es gibt eine wirksame Therapie

Heuschnupfen nimmt vor allem in den Städten zu. Obwohl die Allergie sich innerhalb weniger Jahre zu Asthma entwickeln kann, nehmen Betroffene und sogar Ärzte Heuschnupfen nicht ernst, behandeln nicht ausreichend. Dabei gibt es wirksame Therapien, um die allergische Reaktion des Körpers zu verhindern.

Heuschnupfen scheint eine der Volkskrankheiten mit den höchsten Zuwachsraten zu sein. In den letzten Jahren gab es eine Zunahme um das Zwanzigfache. Rund 15 Prozent der Erwachsenen und knapp zehn der Kinder haben inzwischen eine Pollenallergie. „Für diesen Anstieg sind mehrere Faktoren verantwortlich“, stellt Knut Brockow fest, Oberarzt der Allergieabteilung der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Klinikum rechts der Isar, TU München.

Warum Pollenallergien so deutlich zunehmen

Einerseits ist das der moderne Lebensstil mit übertriebener Hygiene. „Haben wir weniger Kontakt zu Bakterien und Parasiten, kann sich das Immunsystem gegen harmlose Substanzen richten, die wir dann Allergene nennen, und die Krankheitserscheinungen auslösen“, nennt der Allergologe einen wichtigen Risikofaktor.

So ist bekannt, dass in der Stadt Allergien besonders rasch zunehmen, weil die Bakterienvielfalt dort viel geringer ist als auf dem Land. Kinder, die mit vielen Geschwistern aufwachsen, täglich Kontakt mit Tieren haben und sich im Kuhstall aufhalten, haben ein wesentlich geringeres Allergierisiko. Bakterienvielfalt schützt also sozusagen vor Allergien.

Hoher Straßenverkehr bedeutet hohes Heuschnupfen-Risiko

Die weiteren Gründe für die Zunahme von Pollenallergien:

Durch die Klimakatastrophe verlängern sich die Blühzeitenum viele Wochen.

Neue Allergene, etwa von Ambrosia, belasten Allergiker zusätzlich. Das anspruchslose Kraut wurde über Flugzeuge aus den USA eingeschleppt, vermehrte sich erst an Militärbasen und jetzt entlang der Autobahnen. Sein Blütenstaub ist deutlich aggressiver als der unserer einheimischer Pflanzen, kann besonders rasch eine Allergie auslösen.

„Eine Rolle spielt auch die Luftverschmutzung“, warnt der Experte. Zwar ist die Luft in Deutschland heute weniger mit großen Partikeln belastet als früher, aber Feinstaub und Rußpartikel etwa aus Autos mit Verbrennungsmotor haben teilweise zugenommen. Sie verstärken nachweislich die allergene Wirkung der Pollen.

Damit liegt auf der Hand, dass Städter vermutlich besonders gefährdet sind für Pollenallergien. „Wer an einer vielbefahrenen Straße wohnt, hat ein höheres Risiko als in einem Viertel mit wenig Verkehr“, stellt der Professor klar.

Heuschnupfen– zuerst sensibilisiert, dann allergisch

Die Schleimhäute der Augen, Nase, Rachen und Bronchien spielen bei der Entwicklung einer Pollenallergie eine wichtige Rolle. Gelangen Pollen auf die Schleimhäute, reagiert das Immunsystem bei manchen Menschen sozusagen verstärkt. Schon beim ersten Kontakt veranlassen weiße Blutzellen (Lymphozyten), dass gegen die Pollen-Eiweiße passende Antikörper (E-Immunglobuline, IgE) gebildet werden – als wären diese eigentlich harmlosen Eiweiße Krankheitserreger. Nach dieser Sensibilisierung reagiert das Immunsystem bei jedem weiteren Kontakt mit den entsprechenden Pollen: IgE-Antikörper werden gebildet, setzen sich auf Mastzellen, diese reagieren und setzen unter anderen den Entzündungsbotenstoff Histamin frei. Das löst die Kaskade der allergischen Symptome aus, beim Heuschnupfen sind das:

  • Augenjucken, Augentränen
  • Fließschnupfen
  • Verstopfte Nase
  • Niesen

Die Haut spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle, Hautausschlag durch Heuschnupfen ist äußert selten.

Heuschnupfen wird meistens nicht richtig oder gar nicht behandelt

Die meisten der Betroffenen leiden oft jahrzehntelang und versäumen eine richtige Behandlung, experimentieren mit frei verkäuflichen Mitteln, die oft auch gar nicht richtig eingenommen werden, etwa zu kurz. Viele brechen beispielsweise die Selbstbehandlung ab, weil die Antihistaminika kaum helfen. Das ist der Fall, wenn die Pollenallergie recht stark ist.

„Heuschnupfen wird einfach nicht ernst genug genommen“, bemerkt Knut Brockow. So sehen viele Patienten oft keinen Handlungsbedarf, weil die Beschwerden ja „nur“ zeitweise auftreten. Wenn es regnet oder die Blütezeit der allergieauslösenden Pflanze vorüber ist, verschwinden auch die Heuschnupfen-Symptome wieder.

Doch diese Bagatellisierung gälte nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Arzt, etwa den Hausarzt, der für die meisten die erste Anlaufstelle bei Heuschnupfen ist. Sie unterschätzen die Problematik einer Pollenallergie und leiten den Patienten nicht an einen Allergologen weiter.

Die Folgen von Heuschnupfen – auf immer mehr Pollen allergisch und Asthma

Nicht oder nicht ausreichend behandelt, kann Heuschnupfen immer schlimmer werden. Dieses Risiko bestehe vor allem in den Jahren nach dem ersten Auftreten der Pollenallergie, warnt der Experte. So kann sich die Allergie ausbreiten. Anfangs besteht sie etwa gegen Gräserpollen, dann kommen Birke und Erle dazu, womöglich auch noch Hausstaubmilben.

Außerdem können die allergischen Symptome so stark werden, dass der Betroffene richtig krank ist und nicht arbeiten kann. „Nicht umsonst sprach man früher auch von ‚Heufieber‘, weil es einen richtig lahm legen kann“, erklärt der Wissenschaftler. Der Kopf ist zu wie bei einer Grippe.

Besonders hoch ist die Gefahr jedoch, dass auf der Basis von Heuschnupfen Asthma bronchiale entsteht. Asthma ist bekanntlich chronisch, nicht heilbar und kann das ganze Jahr über auftreten. Dieser Etagenwechsel von Pollenallergie zu Asthma ist möglich, weil die Schleimhaut von Nase und Lunge eine Einheit bilden und gemeinsam reagieren können. „Kinder bis zu sechs Jahren, mit der Diagnose Heuschnupfen, haben nachweislich ein dreimal so hohes Risiko für Asthma als andere“, berichtet Knut Brockow.

Therapie: Antihistaminika sind meist keine Dauerlösung

Heuschnupfen sollte also am besten von einem Allergologen abgeklärt werden, der durch Allergietests feststellen kann, gegen welche Pollen der Körper reagiert und in welcher Stärke. Dann wird die entsprechende Behandlung eingeleitet.

Die Selbstbehandlung mit Antihistaminika ist meistens keine Lösung des Problems Heuschnupfen. Denn sie zielen nicht auf die Ursache des Heuschnupfens, der fehlgeleiteten Immunreaktion, sondern bremsen nur die Symptome. „Diese Medikamente reduzieren nur die Wirkung von Histamin an den Organen, die Entwicklung der Allergie lässt sich damit jedoch nicht ausreichend beeinflussen“, stellt der Experte klar. Deshalb werden Antihistaminika nur noch bei milden, sporadisch auftretenden allergischen Symptomen empfohlen, doch nicht bei Beschwerden, die über mehrere Tage anhalten.

Kortison-Nasenspray gegen Heuschnupfen

Dann sollten als stärkere Therapie kortikoidhaltige Nasensprays zur Anwendung kommen. „Die Verschreibung von Kortikosteroiden als Nasenspray erfolgt bei Heuschnupfen viel zu selten“, kritisiert der Allergologe. Viele Ärzte wüssten nicht, wie sinnvoll der Wirkstoff bei Pollenallergie ist, weil er die Entzündung positiv beeinflusst.

Die Kortison-Nasensprays gibt es auch kombiniert mit Antihistaminika. Sie behandeln die Symptome deutlich besser als orale Antihistaminika und eignen sich für Patienten, deren Beschwerden nicht zunehmen und die keine ersten Asthmasymptome (leichte Atemnot, leichter Husten) wie Husten haben.

Spezifische Immuntherapie setzt an der Ursache der Allergie an

Beide Medikamente – Kortikosteroide und Antihistaminika – behandeln jedoch nur die Symptome. Ist der Heuschnupfen stark ausgeprägt oder wird er schlimmer, sollte am besten seine Ursache Ziel der Therapie sein und nicht nur Symptombehandlung. Hier setzen die spezifischen Immuntherapien (SIT) an. Die Hyposensibilisierung oder umgangssprachlich auch als „Impfung“ gegen Heuschnupfen bezeichnete Therapie bedeutet: Das Immunsystem wird langsam, mit anfangs minimalen Dosen, an das auslösende Allergen gewöhnt, bis der Körper normal auf die eigentlich harmlose Substanz reagiert. „Diese Therapien sind, vor allem wenn die Allergie nur einen Auslöser hat, etwa Gräserpollen, sehr effektiv, werden aber auch viel zu selten angewendet – weil der Patient gar nicht weiß, dass es diese Möglichkeit gibt, ebenso wie der erstversorgende Arzt,“ erklärt der Experte, der zu diesen Themen selbst schon geforscht hat.

Hyposensibilisierung heißt: Immunsystem lernt Toleranz gegenüber Pollen

Wie diese Therapien funktionieren: Voraussetzung ist die Identifizierung der auslösenden Pollen durch die entsprechenden Allergietests. Die mit Abstand häufigsten Auslöser sind Gräser, Birke, Erle und Hasel. Gegen sie können sich Betroffene bereits hyposensibilisieren lassen. Zwei Formen der SIT stehen bis jetzt zur Verfügung:

Besonders gut etabliert hat sich SCIT, „von Vorteil ist hier, dass der Arzt die Behandlung durchführt und damit die Mitarbeit des Patienten gewährleistet ist“, hebt Knud Brockow hervor. In den letzten Jahren hat sich jedoch auch SLIT immer mehr bewährt und ist fast so erfolgreich wie die subkutane Immuntherapie. Die sublinguale Variante eignet sich besonders für Patienten, die weniger Zeit haben und die Behandlung zu Hause durchführen möchten.

Neue Therapien: gezielter und weniger Nebenwirkungen

In Zukunft soll die Hyposensibilisierung noch spezifischer wirken, dabei aber weniger Nebenwirkungen auslösen. Das sind etwa Juckreiz und Schwellungen im Anwendungsgebiet, also im Mund oder der Injektionsstelle. Selten sind auch systemische allergische Reaktionen möglich.

„Deshalb versucht man, die verabreichten Allergene so zu verändern, dass sie weniger die Mastzellen ansprechen und damit weniger Allergiesymptome ausgelösen, aber die T-Lymphozyten besser ansprechen, die ja die Allergen-Toleranz erzeugen sollen“, erklärt der Allergologe den neuen Forschungsansatz. Dabei versuchen Forscher etwa, nur die molekularen Einzeleiweißstoffe in den Pollen einzusetzen, die auch die Allergie auslösen. Bei Birkenpollen ist das beispielsweise Bet v 1. Dazu muss aber noch weiter geforscht werden.

  • Zusätzlich werden neue Darreichungsformen der Hyposensibilisierung getestet, etwa als Pflaster. Diese epikutane Hyposensibilisierung (Pollenpflaster) könnte im Vergleich zu sublingualer und subkutaner Anwendung die SIT vereinfachen.
  • Eine besonders elegante Lösung könnte ein weiterer Forschungsansatz liefern, ein Antikörper gegen das Immunglobulin IgE, das allergische Reagin. Damit ließen sich alle IgE-Moleküle im Körper blockieren. Sie können nicht mehr an den Zelloberflächen andocken und damit die Allergie auslösen. Die antiallergische Wirkung würde also noch in einem Punkt früher als die der Antihistaminika ansetzen.

Anti-IgE-Antikörper werden nicht nur gegen Pollenallergie wirken, sondern auch bei anderen Allergien, die über diesen Mechanismus ablaufen. „Derzeit sind entsprechende Medikamente dafür noch nicht zugelassen und auch noch zu teuer, doch wenn sie weiterentwickelt werden, wären sie eine sinnvolle Therapieoption“, urteilt der Experte.

Bereits zugelassen sind diese Medikamente (Omalizumab) zur Behandlung von schwerem, nicht kontrollierbarem allergischen Asthma sowie Urticaria.

Fazit: Wenn die Symptome von Heuschnupfen mehr als eine Woche anhalten, sehr ausgeprägt sind und/oder Husten dazukommt, sollte auf jeden Fall ein Allergologe die Beschwerden abklären. Denn unbehandelt oder nicht ausreichend behandelt kann sich die Allergie ausbreiten und der Betroffene reagiert auf immer mehr Reize allergisch. Auch ein Etagenwechsel droht und zum Heuschnupfen kommt Asthma dazu. Doch fast jedem, der heute unter einer Pollenallergie leidet, kann geholfen werden. Moderne Therapien wie die Hyposensibilisierung gewöhnen das Immunsystem langsam und vorsichtig wieder daran, normal auf die eigentlich harmlosen Pollen zu reagieren.

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