Halb-identische Zwillinge in Australien entdeckt
Nicht eineiig, nicht zweieiig, sondern halb-identisch: Australische Mediziner sind bei der Schwangerschaft einer 28-Jährigen auf eine kleine Sensation gestoßen. In ihrem Bauch wuchsen ein Mädchen und ein Junge heran, die wie eineiige Zwillinge das identische Erbgut der Mutter besaßen – aber wie zweieiige Zwillinge aus unterschiedlichen Spermien des Vaters hervorgegangen waren.
Der Fall ist der zweite weltweit, bei dem Forscher solche halb-identischen Zwillinge entdeckt haben. Und es sei das erste Mal, dass der Umstand schon im Mutterleib nachgewiesen wurde, berichten die Mediziner im renommierten „New England Journal of Medicine“.
Dass die Schwangerschaft besonders war, bemerkten die Ärzte schon sehr früh. „Beim Ultraschall in der sechsten Woche zeigte sich, dass die Mutter zwei Kinder erwartete, aber nur eine Plazenta besaß und eine Fruchtblase“, sagt Nicholas Fisk von der University of New South Wales in Sydney. Daraus schlossen die Mediziner, dass im Bauch der 28-Jährigen eineiige Zwillinge heranwachsen – zweieiige Zwillinge entwickeln zwei Plazenten.
In der 14. Woche aber erwartete die Mediziner bei einem erneuten Ultraschall eine Überraschung. Einer der Zwillinge war männlich, der andere weiblich. Ein Umstand, der bei eineiigen Zwillingen eigentlich unmöglich ist. Eine anschließende genetische Untersuchung zeigte dann: Die Babys waren zwar wie eineiige Zwillinge aus der gleichen Eizelle hervorgegangen. Diese aber war bei der Befruchtung mit zwei Spermien verschmolzen statt nur mit einem.
Aus diesem Grund glichen sich zwar die mütterlichen Gene der Zwillinge, die väterlichen aber waren nur zu 78 Prozent identisch. Dieser kleine Unterschied reichte schon aus, um verschiedene Geschlechter hervorzurufen.
Eineiig, zweieiig, halb-identisch – der Überblick:
- Bei eineiigen Zwillingen befruchtet ein Spermium eine Eizelle. Der so entstandene Embryo teilt sich in einem sehr frühen Stadium noch einmal auf, sodass zwei Babys heranwachsen. Diese besitzen ein komplett identisches Erbgut.
- Bei zweieiigen Zwillingen reifen statt einer Eizelle zwei heran, die unabhängig voneinander von zwei verschiedenen Spermien befruchtet werden. Zweieiige Zwillinge teilen deshalb wie alle Geschwister rund die Hälfte ihres Erbguts.
- Bei halb-identischen Zwillingen befruchten zwei Spermien dieselbe Eizelle. Die Kinder teilen rund drei Viertel ihrer DNA: Alle Gene, die sie von ihrer Mutter geerbt haben, sind identisch. Diejenigen ihres Vaters unterscheiden sich aufgrund der zwei verschiedenen Spermien um bis zu 50 Prozent.
Warum sind halb-identische Zwillinge so selten?
In der Regel entwickeln sich Eizellen nicht weiter, wenn sie von zwei Spermien befruchtet werden. Grund dafür ist ein Erbgutüberschuss: Die DNA ist bei jedem Menschen auf 23 Chromosomen verteilt, die er jeweils in zweifacher Ausführung besitzt. Einen Chromosomensatz erhält er beim Verschmelzen von Ei- und Samenzelle von seiner Mutter, einen von seinem Vater.
Chromosomensatz eines gesunden Menschen: Jedes Chromosom kommt doppelt vor – einmal von der Mutter vererbt, einmal vom Vater.
Wird eine Eizelle aber von zwei Spermien befruchtet, hat das zur Folge, dass alle Chromosomen dreifach vorliegen: zweimal vom Vater und einmal von der Mutter. „Das ist mit dem Leben eigentlich nicht vereinbar“, sagt Michael Gabbett, Genetiker an der Queensland University of Technology. Normalerweise entwickeln sich die betroffenen Embryonen deshalb nicht weiter.
Beim Down-Syndrom – der Trisomie 21 – ist nur eines der 23 Chromosomen dreimal statt zweimal vorhanden. Bereits dies führt zu enormen Entwicklungsproblemen des Kindes.
Dass die halb-identischen Zwillinge von Queensland trotzdem weiterlebten, erklären sich die Forscher mit erstaunlichen Sortiervorgängen in der befruchteten Eizelle.
- In einem ersten Schritt verdoppelte die Eizelle die vorhanden Chromosomen, wie es alle Zellen tun, bevor sie sich aufteilen. Somit befand sich jedes Chromosom in sechsfacher Ausführung in der Zelle: zweimal aus der Eizelle, zweimal aus jedem Spermium.
- Anschließend teilte sich die befruchtete Eizelle jedoch nicht wie gewöhnlich in zwei neue Zellen auf, sondern bildete direkt drei neue Zellen. Auf diese teilte sie die sechsfachen Ausführungen der Chromosomen gleichmäßig auf, sodass am Ende in jeder Zelle nur noch zwei Versionen jedes Chromosoms vorlagen – so, wie es sein soll.
Auf diese Weise schaffte die Eizelle die Voraussetzung für gesundes Leben. Zu diesem Zeitpunkt wuchsen im Bauch der Mutter allerdings noch keine Zwillinge heran. Dafür musste noch passieren, was auch bei den meisten einzelligen Zwillingen am Anfang steht: Nachdem aus der befruchteten Eizelle ein kleiner Zellhaufen gewachsen ist, teilt sich dieser noch einmal in zwei Embryonen auf, die sich unabhängig voneinander zu zwei Kindern entwickeln.
Ein Mix aus X- und Y-Chromosomen
Da bei den halb-identischen Zwillingen in Australien zu diesem Zeitpunkt die Zellen mit den Erbinformationen aus beiden Spermien längst durchmischt waren, tragen beide Kinder DNA aus beiden Spermien in sich. Das barg ein großes Problem. Eines der Spermien enthielt ein X-Chromosom, ergab also weibliche Zellen. Das andere Spermien enthielt ein Y-Chromosom, ergab also männliche Zellen.
Beide Kinder tragen demnach sowohl männliche als auch weibliche Zellen in sich. Der heute vierjährige Junge hatte Glück, bei ihm ist bislang alles gesund gewachsen. Das Mädchen jedoch entwickelte eine Fehlbildung an den Eierstöcken, sodass diese im Alter von drei Jahren entfernt werden mussten. Abgesehen davon hätten beide Kinder jedoch alle wichtigen Entwicklungsschritte normal gemeistert, schreiben die Forscher.
Bislang ist nur ein weiterer Fall von halb-identischen Zwillingen bekannt. Ärzte in den USA hatten 2007 gestutzt, als eines von zwei Zwillingskindern mit keinem eindeutigen Geschlecht auf die Welt kam. Bei einer Erbgutuntersuchung zeigte sich dann, dass die mütterliche DNA bei beiden Zwillingen identisch war, sich die des Vaters aber in Teilen unterschied.
„Wir haben uns gefragt, ob es vielleicht noch andere Fälle gibt, die nicht richtig erkannt oder nicht berichtet wurden“, sagt Fisk. Aus diesem Grund analysierten die australischen Forscher das Erbgut von 968 vermeintlich zweieiigen Zwillingen. „In diesen Daten haben wir aber keine weiteren Fälle gefunden“, sagt Fisk.
Zusammengefasst: In Australien leben Zwillinge, die aus einer Eizelle hervorgegangen sind, welche von zwei Spermien gleichzeitig befruchtet wurde. Normalerweise sterben Embryonen, wenn dies passiert. In diesem Fall lief ihre Entwicklung aber anders. Als Folge tragen die Kinder sowohl weibliche als auch männliche Zellen in ihrem Körper.
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