Coronavirus: Sind Gurgel

Wer schon einmal einen Corona-Test gemacht hat, weiß, wie unangenehm der dafür notwendige Nasen-Rachen-Abstrich sein kann. Bei einigen wird ein Würgereflex ausgelöst, wenn der Abstrichtupfer den Rachen berührt. Andere ertragen den Schmerz kaum, wenn der Tupfer tief in die Nase gesteckt wird. Doch nur so – so hieß es lange – kann man die Stelle erreichen, an der das Virus repliziert: die hintere Rachenwand.

Doch es gibt ein anderes, weniger prominentes Verfahren, mit dem offenbar ähnlich zuverlässig Proben gewonnen werden könnten. Es ist schmerzfreier und zudem unkomplizierter: Gurgeln. Er funktioniert meist ähnlich wie beim Zahnarzt: Aus einem kleinen Becher wird Flüssigkeit in den Mund aufgenommen, der Kopf leicht in den Nacken geneigt, einige Sekunden kräftig gegurgelt und alles wieder in den Plastikbecher gespuckt. Die Proben werden dann im Labor mit dem zuverlässigen PCR-Verfahren ausgewertet, das Genabschnitte des Virus nachweist.

Inzwischen bieten deutschlandweit viele Hausärzte und Teststationen die sogenannten Gurgeltests an. Die Stadt Köln gilt als Vorreiter und erhoffte sich von dem angenehmeren Verfahren eine höhere Akzeptanz der Tests.

Die Vorteile gegenüber dem Nasen-Rachen-Abstrich liegen auf der Hand. Zum einen ist kein medizinisches Personal nötig, um die Probe zu entnehmen. Das senkt das Infektionsrisiko für andere – und außerdem die Kosten. Wer allein an die Schutzkleidung denkt, die das medizinische Personal täglich während des Testens benötigt, ahnt, dass mit den Gurgelproben einiges an Material eingespart werden kann.


Mit der richtigen Anleitung kann sogar allein zu Hause gegurgelt und das Rachenspülwasser etwa beim Hausarzt oder direkt beim Labor in einen geeigneten Postkasten eingeworfen werden. Das spart Zeit und Ressourcen. Vor allem entfällt das Anstehen vor dem Testzentrum und die damit verbundene Infektionsgefahr. Zum anderen ist der Test nicht so unangenehm wie der Rachenabstrich und daher vor allem für Kinder ab einem bestimmten Alter und auch ältere Menschen besser geeignet.

Warnung vor Verdünnungseffekten

In Österreich ist das Verfahren bereits etabliert, auch die WHO erwähnt es in ihrer Leitlinie zur Sars-CoV-2-Diagnostik. In einer chinesischen Studie kamen Forscher sogar zu dem Schluss, dass mit Rachenspülwasser wesentlich mehr Corona-Positive gefunden werden als mit Rachenabstrichen.

Doch in Deutschland hieß es lange, Gurgelproben seien nicht ausreichend geeignet, um per PCR ausgewertet werden zu können. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) äußert sich zur Probenentnahme durch Rachenspülwasser noch sehr vorsichtig. Wenige Veröffentlichungen deuteten auf eine mit Nasen-Rachen-Abstrichen vergleichbare Sensitivität der PCR hin, heißt es auf der Website. Je nach Spülvolumen und -technik könne es jedoch zu Verdünnungseffekten kommen.

»Genau da liegt das Problem bei der Studienlage«, sagt Mariam Klouche, Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin. »Man kann die Studien teilweise nicht miteinander vergleichen, da die Probenentnahme oft sehr unterschiedlich durchgeführt wurde.« Einige ließen die Studienteilnehmer mit einer Kochsalzlösung gurgeln, andere mit speziellen Wasserlösungen, wieder andere verwendeten Mundspülwasser oder direkt Speichelproben. »Auch die Menge variiert: In einigen Studien wird mit zwei Millilitern gegurgelt, in anderen mit 40«, sagt die Fachärztin für Laboratoriumsmedizin und Medizinische Mikrobiologie.

Dennoch hält sie die alternativen Probenentnahmen für vielversprechend: »Trotz der heterogenen Probengewinnung zeigen fast alle Arbeiten, dass man im Rachenspülwasser sogar sehr gut Coronaviren nachweisen kann, da sie sich besonders auch in den Speicheldrüsen und der Mundschleimhaut anreichern«, sagt sie. »Einige zeigen sogar, dass die Ergebnisse zu 100 Prozent mit denen aus Rachenabstrichen übereinstimmen.«

Ein weiterer positiver Aspekt von Speichel- und Gurgelproben sei, dass man darin auch Antikörper gegen Sars-CoV-2 nachweisen könne. »Man kann damit also per PCR untersuchen, ob jemand aktuell infiziert ist – und in der gleichen Probe nachschauen, ob jemand Antikörper hat und somit in jüngerer Vergangenheit mit dem Virus in Kontakt gekommen ist«, sagt Klouche.

Doch warum hat der Gurgeltest bei den ganzen Vorteilen in Deutschland nicht längst den Rachenabstrich abgelöst?

Das fragt sich auch Michael Wagner, der in Österreich eine große, repräsentative Studie an Schulen durchgeführt hat – mit Gurgeltests. Er ist Mikrobiologieprofessor an der Universität Wien und der Meinung, Gurgeln sollte überall breitflächig eingesetzt werden. »Es wurde bereits im Frühling gezeigt, dass die Ergebnisse von Gurgeltests vergleichbar sind mit denen von Rachenabstrichen«, sagt er. »Ich verstehe nicht, warum man in manchen Ländern auf der einen Seite Gurgeltests in Kombination mit PCR nicht ganz traut, dafür aber andererseits kein Problem mit Antigentests hat, die viel unempfindlicher sind als die PCR.«


Die Studienlage reiche völlig aus, um die Gurgeltests etwa für Massenscreenings an Schulen, Altenheimen oder wie in Wien in Teststraßen einzusetzen, sagt er. Dazu empfiehlt er für Screenings auch das sogenannte Pooling von Proben, ein Verfahren, bei dem mehrere Proben zusammen ausgewertet und nur im Fall einer positiven Gesamtprobe die Einzelproben noch einmal getestet werden. »Da können bei einem geringen Verlust der Sensitivität viel mehr Proben analysiert werden«, sagt Wagner. »In China werden ganze Millionenstädte mit gepoolten Proben und PCR durchgetestet.« Wenn man mit diesem Ansatz etwas übersehe, dann nur die Personen, die aufgrund der niedrigen Viruslast nicht infektiös seien.


Labors müssen Tests validieren

Die Gurgeltests, die bereits jetzt in Deutschland im Einsatz sind, müssen von den auswertenden Labors ausreichend geprüft sein. »Hier kommt es darauf an, dass der Test sorgfältig validiert wurde«, sagt Jan Kramer, Vorstandsmitglied der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM). »Das heißt, es müssen bei ausreichend vielen Probanden sowohl ein Rachenhinterwandabstrich als Standardverfahren als auch eine Gurgellösung abgenommen, getestet und die Ergebnisse miteinander verglichen werden.« Jedes medizinische Labor habe die Verantwortung selbst in der Validation zu tragen und müsse die entsprechenden Prüfverfahren durchführen.

Die deutschen Labors waren im vergangenen Jahr allerdings vermutlich so ausgelastet wie nie. Nur wenigen dürfte im 24-Stunden-Betrieb die Zeit geblieben sein, Untersuchungsmaterial, das vom RKI nicht empfohlen ist, zusätzlich zu validieren. Denn ein weiteres Testverfahren erfordert auch andere Kapazitäten im Labor als der Rachenabstrich. Schon die Plastikbecher mit dem Rachenspülwasser erfordern mehr Platz als die Reagenzien für die Abstrichtupfer.

Alles in allem ein Mehraufwand neben den gängigen Verfahren, für die in den vergangenen Monaten bereits optimale Arbeitsabläufe etabliert werden mussten. Mittlerweile sind die Abläufe etwas eingespielter. Möglicherweise bieten sich nun wieder Zeitfenster, um etwa Gurgeltests oder andere Verfahren anbieten zu können.

»Pooling« für Gurgeltests nicht geeignet

Kramer testet in seinem LADR Zentrallabor in Geesthacht seit einiger Zeit ein Abnahmesystem für Mundspüllösungen. »Basierend auf Studienergebnissen wollen wir eine Alternative zum mitunter ungeliebten Standard-Rachenabstrich entwickeln«, sagt er. Die Gewinnung der Mundspüllösung sei dabei für die Umgebung gefahrlos, da im Gegensatz zum Gurgeln der Mund beim Spülen geschlossen bleibe und somit kaum Aerosole freigesetzt werden.

Kramer erklärt, wie sein Labor dabei vorgeht: Um das Risiko für die Mitarbeitenden so gering wie möglich zu halten, werde das Mundspülwasser durch Unterdruck in Röhrchen umgefüllt. Anschließend lasse sich die Probe ohne weitere Zwischenschritte direkt und sogar besser als Abstriche verarbeiten.

»Pooling« hält Kramer im Gegensatz zum Wiener Mikrobiologen Wagner bei den Gurgeltests für ungeeignet. »Wenn mehrere Einzelproben vermischt werden, kann das die Sensitivität der PCR reduzieren«, sagt er.

Laboratoriumsmedizinerin Klouche hält es für notwendig, Testverfahren in Deutschland zu etablieren, die das Virus auf unkomplizierte Weise mit höherer Akzeptanz der Menschen nachweisen können. »Vor allem für Kinder ist der Rachenabstrich einfach sehr unangenehm und unheimlich«, sagt sie. »Ich bin daher überzeugt, dass wir Tests aus Rachenspül- oder Gurgelflüssigkeit in Zukunft sehr viel häufiger einsetzen werden.« Doch momentan gebe die Studienlage einen breitflächigen Umschwung vom Rachenabstrich hin zu Gurgeltests noch nicht her.

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