Sollten jetzt auch Babys und Kleinkinder geimpft werden? Das sagen deutsche Kinderärzte
Nachdem die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auch für Kleinkinder ab sechs Monaten freigegeben sind, fragen sich viele Eltern, ob sie ihre Kleinkinder jetzt gegen Covid-19 impfen lassen sollen. Wir haben Kinderärzte gefragt, was sie von Corona-Impfungen bei Babys und Kleinkindern halten.
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna jetzt auch für Kleinkinder ab sechs Monaten freigegeben. Nach der EU-Zulassung steht in Deutschland noch eine Empfehlung durch die Ständige Impfkommission (Stiko) aus. Stiko-Mitglied Fred Zepp sagte der Funke-Mediengruppe, mit einem Ergebnis sei “zeitnah in den nächsten Wochen zu rechnen”. Die große Frage, die Eltern von Kleinkindern sich jetzt stellen, lautet natürlich: Sollten wir unser Kind impfen lassen, oder nicht?
Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin findet es zunächst einmal gut, dass es jetzt einen zugelassenen Impfstoff für die Altersgruppe ab sechs Monaten gibt. Gegenüber FOCUS Online sagte er:
“Erstmal ist es natürlich sehr positiv, dass es jetzt auch für Kinder ab sechs Monaten einen zugelassenen Impfstoff gibt. Das ist ganz wichtig, denn bislang war es immer so, dass manche Eltern in großer Angst vor der Infektion – ob berechtigt oder unberechtigt – die Kinder mit nicht für die Altersgruppe zugelassenen und auch nicht in der Darreichungsform entsprechend vorbereiteten Impfstoffen haben impfen lassen. Und das war keine gute Situation für die Kinder. Jetzt gibt es einen zugelassenen Impfstoff, der auch extra für die Kinder so angefertigt wird. Das ist erst mal sehr, sehr gut. Die Frage, ob man jetzt alle Kinder impfen sollte, ist dann die zweite. Dazu muss die Stiko sich äußern.”
Kinderarzt Maske: Stiko-Empfehlung wahrscheinlich nur für Risiko-Kinder
Auch Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner betont, dass es an der Stiko sei, eine entsprechende Empfehlung auszusprechen: “Ob es eine Empfehlung geben wird – da sind wir im Moment noch skeptisch. Wahrscheinlich wird es auf jeden Fall eine Empfehlung für Risiko-Kinder in der Altersgruppe geben – aber ob es für alle eine geben wird, werden wir noch sehen”, sagte Maske im Gespräch mit FOCUS Online.
“Bei den 5-11-jährigen Kindern ist es ja so, dass die Stiko eine einmalige Impfung empfiehlt und es kann natürlich sein, dass es auch für die Altersgruppe ab sechs Monaten so empfohlen wird – aber es kann auch sein, dass die Stiko gar keine Empfehlung ausspricht. Denn diese Altersgruppe weist wenig schwere Erkrankungen auf und zeigt kaum Komplikationen. Seit wir Omikron haben, sehen wir kaum noch PIMS-Fälle, also eigentlich fast gar nicht mehr”, ergänzt der Kinderarzt.
Dötsch erwartet, dass Stiko Impf-Entscheidung Eltern überlässt
Jörg Dötsch geht ebenfalls davon aus, dass die Stiko eine Empfehlung für Kinder mit Vorerkrankungen in der Altersgruppe aussprechen wird: „Ich könnte mir gut vorstellen, dass man ähnlich wie für die 5-11-Jährigen vorschlagen wird, die vorerkrankten Kinder in den Fokus zu nehmen und zu impfen. Im Hinblick auf die gesunden Kinder ohne Vorerkrankungen könnte die Stiko zunächst statt einer allgemeinen Empfehlung den Eltern nach Absprache mit ihrem behandelnden Arzt die Entscheidung überlassen. Ob man in dieser Altersgruppe denselben Weg gehen wird wie bei den 5-11-jährigen Kindern und eine einmaligen Impfung empfiehlt, kann ich nicht sagen.“
Kinderarzt Karsten: Flächendeckende Impfung von Kindern unter fünf Jahren unnötig
Der Berliner Kinderarzt Dr. Martin Karsten hält eine flächendeckende Impfung von unter fünfjährigen Kindern für unnötig, da die Impfung eine Ansteckung mit Corona nicht verhindern könne, sondern nur vor schweren Verläufen schütze. „Kinder in der Altersgruppe erkranken aber kaum schwer an Covid“, sagte er der „Bild“-Zeitung .
„Bei chronisch kranken Kindern, für die ein Schnupfen schon risikoreich ist, ist die Zulassung etwas sehr Positives. Aber insgesamt sollten keine großen Impfkampagnen für Säuglinge und Kleinkinder gestartet werden“, sagte Karsten der Zeitung.
Maske: Impfnachfrage in Altersgruppe ab sechs Monaten nicht hoch
Jakob Maske glaubt, dass es ohnehin keine große Nachfrage für Impfungen in der Altersgruppe ab sechs Monaten geben wird: „Wenn man sich jetzt die Impf-Beteiligung der Kinder zwischen fünf und elf Jahren anschaut, dann sieht man, dass wir da bei etwa 23 Prozent deutschlandweit liegen. Das ist eine Zahl, die sehr gering ist. Wir sehen also, dass die Impfung schon in dieser Altersgruppe schlecht angenommen wird und das wird in der jüngeren Altersgruppe wahrscheinlich nicht anders sein. Die Eltern, die ihre Kinder unbedingt schon impfen lassen wollten, trotz fehlender Zulassung, trotz fehlender Empfehlung – die haben das ja auch schon getan.“
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Maske: Kaum Kinder in der Altersgruppe, die schwer erkranken
Jetzt sei es vor allem wichtig, die Stiko ihre Arbeit machen zu lassen und keinen Druck aufzubauen – denn das sei unnötig: „Die Stiko hat ja schon gesagt, dass sie sich zeitnah dazu äußern wird. Aber das Gute ist: Wir haben hier überhaupt keinen Zeitdruck. Es gibt einfach in dieser Altersgruppe kaum kranke Kinder. Wir sehen schon hin und wieder Säuglinge, die auch mal zwei Tage Fieber haben. Das ist aber im Prinzip auch schon das Schlimmste, was wir sehen. Das ist also nichts sehr Schwerwiegendes und die Kinder werden alle wieder gesund. Und deshalb haben wir keinen Druck und sollten auch keinen Druck auf die Stiko ausüben. Sie soll in Ruhe ihre Entscheidung treffen und das tut sie sehr gut.“
Impfempfehlungen für Kinder im Ausland teilweise aufgehoben
Die Tatsache, dass Kinder selten schwer an Covid-19 erkranken und dass bereits eine sehr hohe Immunität in der Altersgruppe besteht, hat Schweden kürzlich zu der Entscheidung veranlasst, die Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren aufzuheben. Ähnlich wie in Dänemark sollen gesunde Kinder nicht mehr gegen Sars-Cov-2 geimpft werden. Nur Kindern mit bestimmten Vorerkrankungen wird eine Impfung zur Verfügung gestellt.
Alexander Kekulé: Zweifel, ob Impfung genesenen Kinder etwas bringt
Auch einige deutsche Experten kommen zu dem Schluss, dass die Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche neu evaluiert werden sollte, da sich die Situation unter Omikron deutlich entspannt habe und ein Großteil der Kinder bereits eine Corona-Infektion durchgemacht hat.
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Der Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé äußerte im Gespräch mit FOCUS online Zweifel daran, dass eine Impfung für ein bereits genesenes Kind große Vorteile mit sich bringt: „Die Infektion schützt, genauso wie die Impfung, nur sehr kurz vor weiteren Infektionen. Aber alle Daten, die wir haben, zeigen, dass eine Impfung oder durchgemachte Infektion Erwachsene und vor allem Hochaltrige gut vor schweren und tödlichen Verläufen schützt. Letzteres kann man aber bei Kindern statistisch gar nicht sauber nachweisen, weil es so wenig schwere und tödliche Verläufe gibt. Ob man das sehr geringe Risiko für Kinder mit einer Impfung nochmals verringern kann, steht total in den Sternen.“
Alexander Kekulé: Nutzen-Risiko-Profil im Blick behalten
Da unklar sei, wie groß der Nutzen einer Impfung für Kinder tatsächlich ist, müsse man genau im Blick behalten, wie hoch das Risiko einer Impfung ausfällt: „Die Nebenwirkungen, die man beobachtet, sind extrem selten“, sagt Alexander Kekulé. „Die Myokarditis kommt zum Beispiel mit 1:50.000 vor, oder, wenn man sehr pessimistische Daten zu Rate zieht, in jüngeren Altersgruppen mit 1:10.000 vor. Aber klar ist, dass Kinder und Jugendliche häufiger betroffen sind als Erwachsene. Man muss also sagen, die Nebenwirkungen sind bei Jüngeren ernster zu nehmen. Auch das Thema immunologische Prägung, die „original antigenic sin“, spielt wahrscheinlich bei Kindern eine größere Rolle als bei Erwachsenen.“
Der Epidemiologe ergänzt: „Es ist zurzeit alles ein wenig Kaffeesatzlesen. Aber das Kaffeesatzlesen bei Nebenwirkungen sagt, man sollte diese bei Kindern besonders ernst nehmen. Und das Kaffeesatzlesen für eine mögliche Schutzwirkung bei Kindern sagt, dafür lohnt sich eine allgemeine Impfempfehlung nicht.“
Stiko-Mitglied Terhardt: Eltern sollten Kinder impfen lassen
Kinderarzt und Stiko-Mitglied Martin Terhardt kommt zu einer anderen Einschätzung. im Gespräch mit „ Zeit Online “ plädierte er dafür, dass Eltern ihre Kinder impfen lassen – auch wenn diese sich in der Omikron-Welle bereits angesteckt und Corona durchgemacht haben. „Wir gehen weiterhin davon aus, dass eine einmalige Infektion mit Omikron keine anhaltende und breite Immunität gegen andere Varianten hinterlässt“, erläuterte Terhardt. Eine zusätzliche Impfung könne diese Immunität verbreitern und verlängern.
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