Knapp 250.000 Neuinfektionen – Kassenärztechef Gassen fordert Plan für Freedom Day

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen steigt von Tag zu Tag – und ist gegenwärtig so hoch wie nie zuvor. Binnen eines Tages meldeten die Gesundheitsämter nach RKI-Angaben von Freitagmorgen 248.838 neue Fälle. Vor einer Woche waren es 190.148 erfasste Neuinfektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI mit 1349,5 an – das ist ebenfalls ein Höchststand. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 1283,2 gelegen. Vor einer Woche lag die bundesweite Inzidenz bei 1073,0 (Vormonat: 239,9). Die aktuellen Zahlen geben den Stand des RKI-Dashboards von Freitagmorgen, 05.00 Uhr, wieder.

Experten gehen von einer hohen und weiter steigenden Zahl von Fällen aus, die in den RKI-Daten nicht erfasst sind, unter anderem, weil Testkapazitäten und Gesundheitsämter vielerorts am Limit sind. Zudem melden einige Städte und Kreise seit Tagen Probleme bei der Übermittlung der Corona-Fallzahlen.

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Deutschlandweit wurden mach den neuen Angaben binnen 24 Stunden 170 Todesfälle verzeichnet, genau so viel wie vor einer Woche. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 10.671.602 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden.

Die Zahl der in Kliniken gekommenen Corona-infizierten Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gab das RKI am Donnerstag mit 5,00 an (Mittwoch: 4,77). Darunter können auch Menschen mit positivem Corona-Test sein, die eine andere Haupterkrankung haben. Die Zahl der Genesenen gab das RKI am Freitagmorgen mit 7.953.200 an. Die Zahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 118 504.

Inzidenz unter Kindern und Jugendlichen am höchsten

Auch die Zahl der Arztbesuche nimmt zu. Das RKI schätzt die Zahl wegen Corona in der vergangenen Woche auf etwa 320.000. Die Werte der vierten Welle würden in fast allen Altersgruppen bereits deutlich überschritten, schreibt das RKI in seinem Wochenbericht von Donnerstagabend. Seit dem Jahreswechsel stieg die Arztbesuche-Zahl demnach, im Vergleich zur Vorwoche stagnierte sie, wobei Nachmeldungen noch möglich sind.

Nach RKI-Berechnungen waren in der Vorwoche 0,9 bis 1,8 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren an Covid-19 mit Symptomen einer akuten Atemwegserkrankung erkrankt. Bei den Kindern bis 15 Jahre spricht das Institut von einem Betroffenen-Anteil von in etwa 1,6 bis 3,2 Prozent. Solche Berechnungen legt das RKI seit rund zwei Wochen vor – auch weil Labore und Gesundheitsämter bei der Erfassung von Infizierten am Limit sind und eine zunehmende Unvollständigkeit der Meldedaten angenommen wird.

Auch geschätzte Werte zu Krankenhausaufnahmen von mit Sars-CoV-2 infizierten Patientinnen und Patienten bewegten sich laut RKI "weiterhin auf hohem Niveau" und zeigten einen weiterhin leicht ansteigenden Trend (sogenannte adjustierte Hospitalisierungsinzidenz). Auf Intensivstationen zeige sich ein Anstieg durch die Omikron-Welle gegenwärtig nicht.

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"Die 7-Tage-Inzidenz ist in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen im Alter von 5 bis 19 Jahren weiterhin am höchsten", sie sei aber auch in den älteren Altersgruppen teilweise wieder deutlich angestiegen, hält das RKI fest. "Die #Omikron-Welle kommt langsam bei der älteren Bevölkerung an", kommentierte die Behörde bei Twitter. Ein Anstieg auch bei den Älteren wird in Hinblick auf eine mögliche stärkere Belastung des Gesundheitssystems seit einiger Zeit befürchtet.

Ende aller Maßnahmen im März?

Trotz der bedenklichen Lage nimmt die Diskussion um die Lockerung der Corona- Beschränkungen weiter Fahrt auf. Die SPD hält es für möglich, dass die Corona-Maßnahmen im März komplett wegfallen könnten. "Wir werden uns in den nächsten Wochen in aller Ruhe anschauen, ob eine Verlängerung der Corona-Schutzmaßnahmen über den 19. März hinaus überhaupt notwendig ist", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, der "Welt". Wenn Mitte Februar tatsächlich ein Rückgang der Omikron-Variante festgestellt werde, stelle sich die Frage, ob es die Einschränkungen in den Frühjahrs- und Sommermonaten überhaupt noch brauche. Fechner hält es für wahrscheinlicher, dass man "erst mit Blick auf den nächsten Herbst noch einmal über solche Schutzmaßnahmen" rede.

Das Infektionsschutzgesetz wurde zuletzt im Dezember durch Bundestag und Bundesrat geändert. Es ermöglicht Bund und Ländern, eine Reihe von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen, darunter Maskenpflicht oder Abstandsgebote. Die Maßnahmen sind aktuell bis zum 19. März befristet, könnten aber einmalig um bis zu drei Monate durch den Bundestag verlängert werden.

Die Grünen-Bundestagsfraktion mahnt hingegen zu Vorsicht. "Auf bestimmte Maßnahmen wie Maskenpflicht oder auch eine Reduzierung der Kontakte werden wir jetzt nicht verzichten können", sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann der "Welt". Die Omikron-Welle habe ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Auch wenn die Krankheitsverläufe weniger schwer seien, führten sie in großer Zahl zu einer spürbaren Belastung der Kliniken. Über die Verbreitung des Subtyps BA.2 wisse man noch zu wenig, die Impflücke sei zu groß. "Daher sind Voraussetzungen für Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben." Bei einer Entspannung der Infektionslage werde man darauf reagieren. "Dann wird es um Öffnungsschritte und Stufenmodelle gehen, damit Branchen wie die Kultur oder der Einzelhandel Planungssicherheit haben."

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Kassenärztechef fordert Lockerungsplan

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, fordert hingegen bereits jetzt einen Öffnungsplan für Deutschland. "Was wir jetzt brauchen, ist ein Freedom Plan – ein Plan, wie wir schrittweise und an Parametern orientiert lockern. Diesen Freedom Plan zu formulieren, ist nun wichtigste Aufgabe der Politik", sagte Gassen der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Deutschland müsse lernen, mit Corona zu leben.

"Manche meinen, die Pandemie sei erst vorbei, wenn keiner mehr an Corona stirbt. Das ist ein Irrtum: Corona wird wohl dauerhaft Teil des Krankheitsgeschehens bleiben. Bei der Influenza haben wir auch stets neue Varianten, in manchen Jahren Zehntausende Tote. Das müssen wir auch bei Corona akzeptieren und zugleich weiter Impfungen für Risikogruppen anbieten", sagte Gassen weiter. Konkret kann sich der KBV-Chef eine Öffnung der Stadien oder Lockerungen im Handel vorstellen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), forderte die Bundesregierung auf, "im Februar einen Plan für Öffnungen auf den Weg zu bringen".

Intensivmediziner warnen hingegen bei vorschnellen Lockerungen vor einer "Achterbahnfahrt" der Infektionszahlen. "Lockerungen der Corona-Maßnahmen, wie sie jetzt einige Bundesländer angekündigt haben, kommen zu früh", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es sei zwar vernünftig, vorausschauend über Lockerungsschritte zu diskutieren. Konkrete Lockerungen dürften aber erst beschlossen werden, wenn der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten sei. "Bund und Länder sollten damit warten, bis die Infektionszahlen stabil über mehrere Tage zurückgehen. Es wäre fatal, wenn wir durch zu frühe Lockerungen in eine Achterbahnfahrt mit erneut steigenden Infektionszahlen gerieten."

Muss Deutschland nachziehen?

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte indessen eine bundesweite Aufhebung der 2G-Regel im Einzelhandel. "Es ist ungerecht, wenn der eine Einzelhändler die 2G-Regel kontrollieren muss und der andere nicht, wenn der eine Händler wegen 2G Umsatz verliert und der andere nicht", sagte Dulger der "Rheinischen Post" (Freitagsausgabe). "Deshalb plädieren wir für eine bundesweit einheitliche Aufhebung", sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). "In einigen Bundesländern haben die Gerichte wegen der Ungleichbehandlung schon reagiert und die 2G-Regel im Einzelhandel gekippt", betonte Dulger.

Die Lockerungen in vielen Nachbarländern Deutschlands wie Dänemark oder Tschechiens trotz nach wie vor hoher Corona-Infektionszahlen hatten auch in Deutschland eine Debatte darüber ausgelöst, ob und welche Corona-Beschränkungen gekippt werden könnten. Anders als Deutschland steigen die Infektionszahlen dort jedoch nicht mehr so extrem wie zum Jahresbeginn.

In der letzten Bund-Länder-Runde vergangene Woche hatten die Regierungschefs noch eine Beibehaltung der bisherigen Regelungen beschlossen – einige Bundesländer wie Bayern und Sachsen hatten danach jedoch unter anderem wegen Drucks durch Gerichte Lockerungen angekündigt. Vor allem Vertreter der Union und der FDP stehen Lockerungen positiv gegenüber; SPD und Grüne mahnen hingegen zur Vorsicht.

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