Haller Virologie-Professor Kekulé heizt Streit um Corona-Studie an – Christian Drosten empört

Die Debatte um eine öffentlich kritisierte Studie des Chef-Virologen der Berliner Charité, Christian Drosten, nimmt an Schärfe zu. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ bezeichnete der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Uniklinikums Halle an der Saale die fragliche Studie als „in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft“. Die Unsicherheit der Daten sei zu groß gewesen, das Verfahren zur statistischen Auswertung ungeeignet.

Christian Drosten reagierte via Twitter auf persönlicher Ebene auf den Beitrag. Kekulé mache Stimmung, seine Darstellung sei tendenziös. „Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren.“ Eine Studie zur Corona-Viruslast nach Altersgruppen durch eine Forschergruppe um Drosten an der Charité war in den vergangenen Tagen von der „Bild“-Zeitung scharf angegriffen worden. Das Blatt hatte kritische Stimmen von Wissenschaftlern zitiert, diese jedoch nicht angesprochen. Die Forscher, allesamt Statistik-Experten, distanzierten sich von der Berichterstattung, nicht jedoch von ihrer Kritik.

Drosten, Streeck und Co.

Von diesen Corona-Experten hört man ständig – aber wer ist wirklich kompetent?

Alexander Kekulé: Unnötige Angriffsfläche für „Bild“

Kekulé wirft in seinem Beitrag Drosten vor, „der ‚Bild‘-Zeitung eine unnötige Angriffsfläche“ geboten zu haben. „Warum Drosten die Studie nicht einfach zurückzieht, ist schwer nachvollziehbar“, meint der Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nun anzukündigen, weitere Daten auszuwerten und die Statistik neu zu berechnen, reiche nicht aus, um die kritisierte Studie zu retten. Wie die ebenfalls viel diskutierte „Heinsberg-Studie“ des Bonner Virologen Hendrik Streeck zeige die Drosten-Studie, dass „mit Schnellschüssen am Ende weder der Politik noch der Wissenschaft gedient ist“. Auf die Frage, ob Kitas und Grundschulen zügig wieder geöffnet werden sollten, gebe es weiterhin keine eindeutige wissenschaftliche Antwort. 

In seinem Text führt Kekulé aus, warum aus seiner Sicht die Schlussfolgerung falsch sei, die Konzentration des Coronavirus im Rachen von Kindern und Erwachsenen unterscheide sich nicht entscheidend, womit Kinder als Virusüberträger eine wesentliche Rolle spielen könnten. Der Teil der Studie, die zu diesem Ergebnis geführt habe, „ist sowohl methodisch als auch bezüglich der Schlussfolgerung in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.“

Forscher zitiert Merksatz für Biostatistik-Einführungen

Der Haller Wissenschaftler bemängelt im Einzelnen, dass die mit Tupfern abgenommenen Probemengen nicht miteinander vergleichbar seien. Mediziner erwischten für die Proben mal mehr, mal weniger Schleim und somit unterschiedliche Virusmengen. Kinder seien dabei weniger kooperativ, so dass sie weniger Material abgäben. Außerdem seien unterschiedliche Abstrichtupfer und unterschiedliche Analysegeräte benutzt worden. Problematisch sei auch, dass die Proben zu unterschiedlichen Zeiten im Krankheitsverlauf genommen worden seien, da die Viruskonzentration bereits einige Tage nach Symptombeginn deutlich abnehme. Dadurch seien diese Proben nicht vergleichbar. Um die Schwankungen der Messwerte statistisch auszugleichen, müsste die Stichprobe sehr groß sein, so Kekulé weiter, was sie jedoch ausgerechnet bei den in diesem Zusammenhang besonders bedeutenden Gruppen der unter Elfjährigen nicht gewesen sei.

Auch der von Drostens Team vorgenommene paarweise Vergleich von zehn Altersgruppen habe kein sinnvolles Ergebnis geliefert, führt Kekulé weiter aus. „Auf die Frage, ob es etwa einen Unterschied zwischen den 80- bis 90-Jährigen und den 40- bis 50-Jährigen gibt, kommt es nicht an“, schreibt der  61-Jährige. Durch diese vergleichende Betrachtung werde vielmehr der altersabhängige Effekt, der sich in der Voranalyse angedeutet habe, statistisch neutralisiert. Dass Drosten und Co. keinen entscheidenden Unterschied in Altersgruppen festgestellt hätten, sei kein Beleg dafür, dass es diesen Unterschied nicht gebe. Kekulé spitz weiter: „In Biostatistik-Einführungen gibt es dafür den Merksatz: ‚The absence of evidence is not an evidence of absence'“ (dt.: „Die Abwesenheit eines Beweises ist kein Beweis für Abwesenheit“)

Corona-Studie

Virologe Christian Drosten wehrt sich gegen Berichterstattung der "Bild"-Zeitung

Christian Drosten: Kekulé „spielt in Community keine Rolle“

Christian Drosten reagierte auf die Veröffentlichung in mehreren Tweets scharf. Kekulé „kennt unsere Daten nicht und zitiert falsch“, beschied der Charité-Virologe dem Haller Fachkollegen. Der von Kekulé und auch von der „Bild“-Zeitung als Kronzeuge angeführte Züricher Biostatistik-Professor Leonhard Held habe „selbst über seine statistische Nachanalyse unserer Studie“ gesagt, „dass diese nicht konklusiv“ – also zu abschließenden Schlussfolgerungen berechtigend – sei, so Drosten. „Kekulé ist das egal, er feuert trotzdem. Danke dafür“, twitterte Drosten und kündigte abermals ein „Update unserer Daten und Statistik“ an. Den Hinweis eines Twitter-Users, dass aus einem Forscherstreit die „Bild“-Zeitung als Sieger hervorgehen werde, beschied Drosten in einem weiteren Tweet mit den Worten: „So sieht es aus. Kekulé ist zum Glück bisher der Einzige, der sich so verhält. In unserer Community spielt er keine Rolle.“

Drosten machte zusätzlich öffentlich, dass sich weitere Wissenschaftler von der „Bild“-Berichterstattung distanziert hätten. Er zitierte einen Tweet des Antwerpener Mikrobiologen Herman Goossens. Der Koordinator des EU-Projektes zur Bekämpfung von Covid-19 mit dem Titel „Recover Europe“, dem auch Drosten angehört, twitterte, dass die Zeitung Wissenschaftler des Projektes auf der Suche nach weiteren Kritikern kontaktiert hätte. „Wir beziehen gemeinsam Stellung gegen manipulative Interviews, die Medien verwenden und die zu einer Fehlinterpretation von Wissenschaft führen.

Virologe

Nach "Bild"-Bericht: Drosten hält an Aussagekraft seiner Viruslast-Studie fest

Montgomery: Einige Politiker und Medien können nicht mithalten

In der TV-Sendung „Talk aus Berlin“ des RBB sprang auch Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Weltärztebundes, Drosten bei. Es laufe „erkennbar eine Kampagne. Die finde ich in der Tat schmierig und schmutzig“, so Montgomery. Es sei aus wissenschaftlicher Sicht völlig in Ordnung, dass sich jemand wie Drosten auch immer wieder korrigiere. Der wissenschaftliche Diskurs und Fortschritt laufe dank Digitalisierung gerade bei SARS-CoV-2 in einer sehr hohen Geschwindigkeit ab: „Dass da einige Ministerpräsidenten und einige Zeitungen in der Geschwindigkeit ihres Denkens nicht mitkommen, ist deren Problem, aber nicht das Problem von Herrn Drosten“, so der Weltärztepräsident.

Quelle: „Tagesspiegel“; Tweet Christian Drosten (1); Tweet Christian Drosten (2); Tweet Christian Drosten (3); RBB-„Talk aus Berlin“; EU-Projekt „Recover Europe“; Studie „An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age“; NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten“

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