GLP-1-Agonisten: Gastrointestinale Nebenwirkungen im Fokus

Aktuell ist Semaglutid vor allem wegen gefälschter Ozempic-Packungen in den Medien. Doch nun lenkt eine Studie aus Kanada die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt der Therapie mit Semaglutid und Liraglutid: Gastrointestinale Nebenwirkungen. Welche Rolle spielen diese in der Indikation Gewichtsregulierung? 

Studien mit Diabetikern weisen auf ein erhöhtes Risiko einer Therapie mit GLP-1-Agonisten für gastrointestinale Nebenwirkungen wie Gallenblasen­erkrankungen, Pankreatitis, Darm­verschluss und Gastroparese hin. Jedoch ist bekannt, dass Diabetiker per se ein höheres Grundrisiko für unerwünschte gastrointestinale Wirkungen haben. Ein Team kanadischer Wissenschaftler hat sich daher die Frage gestellt, ob diese Nebenwirkungen auch in der Indikation Gewichtsreduktion relevant sind.

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Zur Datenerhebung für ihre Kohortenstudie griffen sie auf eine große US-amerikanische Datenbank zu, in der 93 % aller ambulanter Verschreibungen und ärztlicher Diagnosen in den USA erfasst werden. In ihrer Analyse verglichen die Forscher Patienten, die die GLP-1-Agonisten Semaglutid (n = 613) oder Liraglutid (n = 4144) neu anwendeten, mit Patienten, bei denen eine Kombination aus Bupropion und Naltrexon (n = 654) zur Gewichtsreduktion eingesetzt wurde. Die Daten stammten aus den Jahren 2006 bis 2020, in denen GLP-1-Agonisten nur im Off-Label-Use eingesetzt werden konnten, um das Körpergewicht zu senken. Mittels International Classification of Diseases Version 9 oder 10 (ICD-9 oder -10) wurden nur Patienten ohne Diabetes ausgewählt, die 90 Tage vor bis 30 Tage nach Einschluss in die Studie als adipös eingestuft wurden. Der Beobachtungszeitraum umfasste die erste Verschreibung eines der genannten Arzneimittel bis zum ersten Auftreten eines der folgenden gastro­intestinalen Ereignisse:

  • Gallenerkrankung (Cholezystitis, Cholelithiasis und Choledocho­lithiasis [Gallengangssteine])
  • Pankreatitis (inklusive Gallensteinpankreatitis)
  • Darmverschluss oder
  • Gastroparese (definiert durch ICD-Code oder Verordnung eines Pro­kinetikums)

Vergleich mit Bupropion plus Naltrexon

Die vier aufgeführten gastrointestinalen Nebenwirkungen traten zum Teil gehäuft unter den GLP-1-Agonisten im Vergleich zu Bupropion plus Naltrexon auf. Die Inzidenz einer Pankreatitis (bezogen auf 1000 Personenjahre) lag unter Semaglutid bei 4,6, unter Lira­glutid bei 7,9 und unter Bupropion plus Naltrexon bei 1,0. In Bezug auf Gallenerkrankungen war die Inzidenz nur bei Liraglutid und nicht bei Semaglutid erhöht: Unter Semaglutid lag sie (bezogen auf 1000 Personenjahre) bei 11,7, unter Liraglutid bei 18,6 und unter Bupropion plus Naltrexon bei 12,6. Die Studienautoren fassten die Probanden, die GLP-1-Agonisten erhielten, als eine Gruppe zusammen und verglichen sie dann mit der Bupropion-Naltrexon-Gruppe. Die jeweiligen Hazard Ratios wurden nach üblichen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Alkoholgenuss, Rauchen oder Hyperlipidämie bereinigt. Danach lagen die adjustierten Hazard Ratios unter GLP-1-Agonisten für Gallenerkrankungen bei 1,50 (95-%-Konfidenzintervall [KI] = 0,89 bis 2,53), für eine Pankreatitis bei 9,09 (95-%-KI = 1,25 bis 66,00), für einen Darmverschluss bei 4,22 (95-%-KI = 1,02 bis 17,40) und für eine Gastroparese bei 3,67 (95-%-KI = 1,15 bis 11,90). Wurden Patienten mit Hyperlipidämie von der Analyse ausgeschlossen, veränderten sich die Resultate nicht relevant.

Nebenwirkungen bei Therapieentscheidung berücksichtigen

Aus ihren Ergebnissen schlussfolgern die Autoren, dass GLP-1-Agonisten zur Gewichtsreduktion im Vergleich zu Bupropion plus Naltrexon das Risiko für eine Pankreatitis, Gastroparese und einen Darmverschluss erhöhen, jedoch nicht das Risiko von Gallen­erkrankungen. Obwohl diese Nebenwirkungen selten seien, sollten sie bei Patienten, die GLP-1-Agonisten zur Gewichtsreduktion einsetzen möchten, bedacht werden, vor allem im Hinblick darauf, dass diese Arzneimittel in­zwischen weit verbreitet sind. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis könnte in der Indikation Gewichtsreduktion im Vergleich zu Diabetes abweichen. Als eine Einschränkung ihrer Untersuchung merken die Autoren an, dass unklar sei, ob die GLP-1-Agonisten in der Studie in jedem Fall zur Gewichts­reduktion eingesetzt wurden, auch wenn die Teilnehmer adipös und nicht an Diabetes erkrankt waren.

Wie ordnen Experten die Ergebnisse ein?

Britische Experten haben sich zu der Studie geäußert. Prof. Penny Ward, Gastprofessorin für Pharmazeutische Medizin am King‘s College in London, wies auf die Ungleichverteilung der Studiengruppen hin, denn der Großteil der Teilnehmer hatte Liraglutid erhalten (4144 von 5411), und die anderen beiden Gruppen waren sehr viel kleiner. Zudem variierten die Merkmale der Teilnehmer in den einzelnen Gruppen, beispielsweise was Alkoholgenuss, Rauchen und Hyperlipidämie betrifft. Insbesondere wies sie auf die Inzidenzen einer Pankreatitis hin, die höher waren, als zu erwarten gewesen wäre. Mit 4,6 pro 1000 Personenjahre unter Sema­glutid und 7,9 pro 1000 Personenjahre unter Liraglutid lagen die Werte über denen, die in den US-amerikanischen Fachinformationen angegeben werden (1 bis 2 pro 1000 Personenjahre). Die Angaben in den Fachinformationen basierten auf klinischen Studien, in denen möglicherweise Patienten mit größerem Risiko für eine Pankreatitis ausgeschlossen wurden, erklärte Ward. Bezüglich der Darmverschlüsse und Gastroparesen erinnerte sie daran, dass eine verzögerte Magenentleerung ein Klasseneffekt der GLP-1-Agonisten ist. Patienten, die unter GLP-1-Agonisten akute Bauch- oder Rückenschmerzen in Verbindung mit Übelkeit und Erbrechen entwickeln, sollen laut Ward an einen Arzt überwiesen werden, welcher an die Möglichkeit einer Pankreatitis oder Gallenerkrankung denken müsse. 

Für Dr. Simon Cork, Dozent an der britischen Anglia Ruskin Universität, unterstreichen die Ergebnisse, wie wichtig es ist, dass Patienten nur durch Heilberufler und in Verbindung mit kontinuierlicher Betreuung Zugang zu GLP-1-Agonisten erhalten. Zur Bedeutung der gastrointestinalen Neben­wirkungen erläuterte er: „Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, an diesen Beschwerden zu erkranken, nach wie vor gering, doch wenn man die Zahl derer hochrechnet, denen diese Arzneimittel möglicherweise verschrieben werden, könnten wir künftig viele Menschen sehen, die unerwünschte Wirkungen von der Anwendung erleben. Doch in Anbetracht der Risiken, die Adipositas mit sich bringt, würde bei dem Großteil der Patienten der Nutzen des Gewichtsverlusts die Risiken weit übersteigen, so Cork.

Literatur

  • BfArM übernimmt Koordination im Fälschungsfall des Diabetes-Arzneimittels Ozempic: Alle Packungen des Arzneimittels sollen vorsorglich in den Apotheken vor Abgabe auf ihre Echtheit geprüft werden. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, 11. Oktober 2023
  • Expert reaction to study looking at risk of gastrointestinal adverse events with GLP-1 agonists (e.g. semaglutide or liraglutide) when used for weight loss. Informationen des Science Media Centers (England, Wales), 5. Oktober 2023
  • Fälschung des Arzneimittels Ozempic®: aktuelle Entwicklungen und notwendige Maßnahmen. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, 11. Oktober 2023
  • Regierungspräsidium Freiburg warnt vor gefälschtem Arzneimittel. Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Freiburg, 5. Oktober 2023
  • Sodhi M, Rezaeianzadeh R, Kezouh A, Etminan M. Risk of Gastrointestinal Adverse Events Associated With Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists forWeight Loss. JAMA 2023, doi:10.1001/jama.2023.19574


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