Für Weihnachtsmaßnahmen blicken Länder auf 7-Tage-Inzidenz – doch die ist häufig falsch
Um die Weihnachts-Regelungen festzumachen, orientieren sich Bund und Länder an der sogenannten 7-Tage-Inzidenz, die das RKI berechnet. Doch die Daten, auf die sich das RKI dabei stützt, sind in vielen Fällen unvollständig – die veröffentlichten Werte demnach häufig zu niedrig.
Deutschland befindet sich zum zweiten Mal im Lockdown. Was vor einigen Wochen noch als „Lockdown Light“ betitelt wurde, als „Wellenbrecher-Shutdown“, entwickelt sich immer mehr zu dem, was wir bereits aus dem Frühjahr kennen: Die Anzahl der Kontakte ist beschränkt, Gastronomie und Hotels haben geschlossen, in einzelnen Regionen gibt es Ausgangssperren. Auch, ob die für Weihnachten angekündigten Lockerungen tatsächlich erlassen werden, ist bislang unklar.
Immer im Blick der Entscheidungsträger stehen dabei die Infektionszahlen. Neuinfektionen, der R-Wert und allen voran: die 7-Tage-Inzidenz. Täglich übermittelt das Robert-Koch-Institut (RKI) neue Werte, an denen sich Bund und Länder bei der Schärfe ihrer Maßnahmen orientieren. Die 7-Tage-Inzidenz, die angibt, wie viele Personen sich in einem Zeitraum von 7 Tagen auf 100.000 Einwohner anstecken, gilt dabei als wichtigste Richtlinie.
Kritische Marke von 50 in allen Bundesländern überschritten
Ursprünglich hatten sich Bund und Länder auf eine kritische Marke von 50 geeinigt – diese ist in allen Bundesländern jedoch längst überschritten. In Bayern erklärte Ministerpräsident Markus Söder etwa, dass in Kreisen mit einer Inzidenz von über 200 weitere Maßnahmen erlassen werden. Zu diesen Hotspots zählt seit Dienstag auch die Landeshauptstadt München mit einem Wert von 202,1. Sollte die Inzidenz bis Mittwoch nicht wieder unter 200 sinken, greife ab dann für München die angekündigte nächtliche Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr.
FOL/Datawrapper/RKI Sachsen verzeichnet aktuell eine besonders hohe 7-Tage-Inzidenz.
Doch damit nicht genug. Die erschreckenden Zahlen, die das RKI täglich meldet, sind häufig sogar noch zu niedrig.
Relevant für Weihnachtsmaßnahmen: RKI-Zahlen beziehen sich auf unvollständige Daten
Wie im Oktober eine Analyse des "Spiegel" ergeben hatte, gab das RKI die 7-Tage-Inzidenz zwischen dem 31. August und 12. Oktober in 30 Prozent aller Fälle falsch an. Denn die Inzidenz hatte sich auf unvollständige Daten bezogen. Damit liefert das Institut laut Analyse "ein verzerrtes Bild vom Infektionsgeschehen in Deutschland".
Geschuldet sind die Fehler dem Meldeprozess. Findet ein Labor einen positiven Coronafall, schickt es das Ergebnis an das lokale Gesundheitsamt. Dieses wiederum meldet den Fall an eine Landesbehörde – denn Gesundheit ist Ländersache. Dort wiederum werden die Fälle der Landkreise gebündelt und an das RKI weitergeleitet. Bis das Institut also von einem Fall erfährt, vergeht viel Zeit.
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Laut "Spiegel"-Analyse führt genau diese Zeitverzögerung zu zu niedrigen Werten, etwa dann, wenn die Arbeitszeiten vor Ort nicht zu denen der Landesbehörden und jenen im RKI passen. Gegenüber dem "Spiegel" sagte etwa der Sprecher des Landkreises Cloppenburg, wo es zu deutlichen Meldeverzögerungen gekommen war, ein Großteil der Testergebnisse komme nachmittags und abends. Zwar rechnet das RKI die Daten meist ebenfalls erst am Abend zusammen – die Fälle des selben Abends erreichen es in vielen Fällen jedoch gar nicht. Das niedersächsische Landesgesundheitsamt etwa leitet Daten nur bis 16 Uhr nach Berlin weiter – sie fehlen also in der Berechnung. Die Abweichung von den realen Zahlen hatte das RKI gegenüber dem "Spiegel" bestätigt – schuld sei der "Übermittlungsverzug".
Unterschiedliche Prozesse in den Bundesländern
Zudem gebe es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Bremen, Schleswig-Holstein und Hessen lieferten im betrachteten Zeitraum meist aktuelle Daten, in Hamburg seien die RKI-Werte hingegen im Schnitt um 25 Prozent zu niedrig, in Sachsen um 19 Prozent. Die Daten kommen dann zwar verspätet früher oder später doch noch beim RKI an – allerdings nicht einheitlich. Demnach ist ein fairer Vergleich von Landkreisen über Bundesländergrenzen hinweg, der sich auf die Daten des RKI beziehe, kaum möglich.
Geringste Unschärfe: Todeszahlen steigen ebenfalls weiter an
Allerdings steigen auch die Todeszahlen in Deutschland weiter an. Das RKI meldet am Dienstagmorgen 423 neue Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Wie RKI-Chef Lothar Wieler sagte, sei zu sehen, dass in einigen Regionen die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenze stießen. "Wir sehen, dass die Zahl der schweren Verläufe und der Todesfälle von Woche zu Woche steigt." Im weiteren Zeitverlauf sei "mit vielen weiteren" Toten zu rechnen.
FOL/Datawrapper/RKI Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet am Dienstagmorgen 15.054 Neuinfektionen mit Sars-CoV-2.
Wie Mathematiker Moritz Kaßmann von der Universität Bielefeld gegenüber FOCUS Online erklärte, ist eine Betrachtung der Todesfälle am geeignetsten, um das Infektionsgeschehen in der Vergangenheit zu beurteilen.
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Denn trotz Unstimmigkeiten, etwa in der Frage, welcher Patient "mit" oder "an" Covid-19 gestorben sei, ließen Todesfallzahlen Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen zu. „Wenn ein Patient stirbt, wird das präzise vermerkt, mit dem korrekten Datum“, erklärt er.
Da Menschen im Durchschnitt etwa drei Wochen nach einer Infektion sterben würden, könnte man an diesen Zahlen am besten ablesen, wie sich die Infektion drei Wochen zuvor verbreitet hat. "Die Unschärfe ist hier am geringsten, verglichen mit anderen Kennzahlen", erklärte Kaßmann.
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