Die Lösung für Rückenschmerzen ist eine Haltung, die viele von uns längst verlernt haben

Der Tagesablauf jedes Menschen ist individuell, aber eine Sache haben fast alle – leider – gemeinsam: Wir sitzen zu oft und zu lange. Wenn wir uns morgen aus dem Bett kuscheln, setzen wir uns an den Frühstückstisch, trinken Kaffee und löffeln unser Müsli. Danach sitzen wir im Auto oder in der U-Bahn, auf Arbeit angekommen häufig im Büro, an der Kasse, im Fahrerhäuschen. So geht es weiter, bis wir abends erschöpft auf dem Sofa lümmeln, um noch schnell eine Netflix-Folge zu schauen. Wir sind ein Land der Sitzer und Lenker.

Unsere Körper sind für diese Monotonie nicht gemacht, und nach jahrelanger Bewegungsarmut zahlen wir den Preis in Form schmerzender Rücken und Gelenke. "Sitzen ist das neue Rauchen", sagte TV-Moderator und stern-Stimme Eckart von Hirschhausen vor einigen Jahren. Apple-Chef Tim Cook ging noch weiter und bezeichnete Sitzen sogar als "den neuen Krebs".

Viele Länder hocken bis heute

Häufig heißt es, das ständige Sitzen sei eine westliche Angewohnheit. Doch damit macht man es sich zu einfach. Vielmehr ist es ein Wohlstandsproblem. In reichen Gegenden in Indien wird nicht weniger auf Stühlen herumgesessen als in Kalifornien oder Münster. Dabei wissen wir eigentlich, wie es besser geht.

Der Mensch saß früher nicht in der Höhle auf gepolsterten Stühlen herum, sondern hockte auf dem Boden. Für einen Teil der Weltbevölkerung ist die Haltung bis heute alltäglich, und zwar in allen Bereichen des Lebens. Man hockt beim Plaudern zusammen und beim Beten. Man teilt sich so eine Mahlzeit zusammen und verrichtet in der Hocke sein Geschäft. Wer einmal in Asien war, weiß, dass Hocktoiletten dort bis heute die Norm sind. In Regionen, wo der Zugang zum Krankenhaus nicht selbstverständlich ist, bringen Frauen in dieser Position ihre Kinder auf die Welt.

Kleiner Muskel, großer Schmerz


Über Wochen halfen nur noch Schmerzmittel – so wurde ich meine Rückenschmerzen los

Die Vorteile der tiefen Hocke

Die tiefe Hocke ist eine völlig natürliche Position. Unsere Kinder können stundenlang in dieser Haltung verharren, achten Sie beim nächsten Sandkastenbesuch einmal darauf. Denn es ist nicht so, dass man nicht bequem in einer tiefen Hocke sitzen kann – man hat nur verlernt, wie. Dass wir diese Haltung anstrengend finden, liegt daran, dass unsere Muskeln und Gelenke, unsere Sehnen und Faszien gar nicht mehr daran gewöhnt sind.

Es lohnt sich jedoch, häufiger bewusst zu hocken statt zu sitzen. Denn die tiefe Hocke vereint gleich mehrere Vorteile: Sie verbessert die Beweglichkeit in unseren Gelenken und stärkt die Bein- und Gesäßmuskulatur. Der Beckenboden wird trainiert und der untere Rücken entspannt. Kein Wunder, dass diese Position beim Yoga häufiger Bestandteil ist, dort ist die tiefe Hocke als Malasana bekannt.

„Unser Körper ist für diese Haltungen ausgelegt“

"Alles begann mit der Hocke", sagt der Autor und Osteopath Phillip Beach gegenüber dem US-Portal "Quartz". Beach ist ein Verfechter der "archetypischen Haltungen". Zu diesen Positionen zählen – neben der tiefen, mit den Füßen flach auf dem Boden stehenden Hocke – auch das Sitzen im Schneidersitz und das Knien auf den Knien und Fersen. Diese Haltungen seien nicht nur gut für uns, sondern "tief verknüpft mit der Art, wie unser Körper gebaut ist.

"Man versteht den menschlichen Körper wirklich nicht, bis man erkennt, wie wichtig diese Haltungen sind", führt Beach aus, der im neuseeländischen Wellington lebt. "Hier in Neuseeland ist es kalt, nass und schlammig. Ohne moderne Hosen würde ich meinen Hintern nicht in den kalten, nassen Schlamm stecken wollen, also würde ich [in Ermangelung eines Stuhls] viel Zeit in der Hocke verbringen. Das Gleiche gilt für den Gang zur Toilette. Die gesamte Physiologie ist auf diese Haltungen ausgelegt."

Umso schädlicher ist es für den Körper, wenn man diese eigentlich ureigenen Bewegungsmuster in Vergessenheit geraten lässt. "Jedes Gelenk in unserem Körper hat Synovialflüssigkeit in sich. Das ist das Öl in unserem Körper, das den Knorpel mit Nährstoffen versorgt, sagt  Bahram Jam, ein Physiotherapeut und Gründer des Advanced Physical Therapy Education Institute (APTEI) in Ontario. "Zwei Dinge sind nötig, um diese Flüssigkeit zu produzieren: Bewegung und Kompression. Wenn also ein Gelenk nicht seinen vollen Bereich durchläuft – wenn Hüfte und Knie nie über 90 Grad hinausgehen – sagt der Körper 'ich werde nicht benutzt' und beginnt zu degenerieren und stoppt die Produktion von Synovialflüssigkeit."

Hocken gilt als primitiv

Dass in westlichen Nationen das Hocken verschwand, hat viel mit dem Design der modernen Toiletten zu tun. Zuvor existierten hier Tausende von Jahren Erdlöcher, Plumpsklos und Nachttöpfe, welche die Hocke erforderten. Doch im Laufe der Zeit setzten sich die bequemen und vermeintlich hygienischeren Sitztoiletten durch.

Dabei sind die spülbaren Hocktoiletten, die man heutzutage in Asien findet, nicht weniger hygienisch als ihre westlichen Pendants. Und es ist bekannt, dass Hocken zu besserem, entspannterem Stuhlgang führt. Diese Erkenntnis führte zuletzt zum Boom von Produkten wie etwa dem Lillipad. Diese erhöhten Plattformen verwandeln quasi eine westliche Toilette in eine zum Hocken.

Doch es ist nicht nur das körperliche Unbehagen, welches die Hocke aus unserem Alltag verdrängte. "Es gilt als primitiv und von niedrigem sozialen Status, irgendwo zu hocken", sagt Jam. "Wenn wir an jemanden denken, der hockt, sehen wir einen Bauern in Indien vor uns, einen afrikanischen Dorfbewohner oder einen dreckigen Fußboden in einer Stadt. Wir denken, dass wir uns darüber hinweg entwickelt haben, aber in Wirklichkeit haben wir uns davon entfernt."

Alternative zum Sitzen

Sollten wir nun also die teuer erworbenen und sorgsam auf uns eingestellten Bürostühle entsorgen und stattdessen bei jeder Gelegenheit hocken? Sicherlich nicht. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift. Wer übermäßig viel Zeit in der Hocke verbringt – also viele Stunden am Tag – leidet statistisch häufiger unter Knie- oder Arthroseproblemen. Aber wenn man sich regelmäßig zwischen Sitzen und Hocken entscheiden kann, sollte man immer mal wieder Letzterem den Vorzug geben.

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