Burn-Out-Experte verrät die Geheimwaffe, die uns vor Erschöpfung schützt: Selbstwertschätzung.

Erschöpft fühlt sich jeder hin und wieder mal, vor allem in Krisenzeiten. Wann wird daraus ein Burn-Out?

Bei der Unterscheidung zwischen normaler Erschöpfung und einem Burn-Out ist die Regenerationsfähigkeit entscheidend. Wenn ich müde von der Arbeit bin, aber nach dem Wochenende oder nach dem Urlaub wieder Energie und Motivation habe, dann ist das ein ganz normaler Zustand. Sobald ich es aber nicht mehr schaffe, in meiner Freizeit zu regenerieren, sollte ich wachsam werden.

Das Burn-Out-Syndrom beschreibt einen Erschöpfungszustand, der eng mit dem eigenen Beruf in Verbindung steht. Gibt es denn Branchen, die davon besonders betroffen sind?

Als ich vor 25 Jahren angefangen habe, mit Burn-Out-Betroffenen zu arbeiten, waren die meisten von ihnen in sozialen Berufen tätig. Das hat sich fundamental geändert. Heute haben wir Klienten aus allen Berufsgruppen und Einkommensschichten. Eine Einschränkung gibt es aber trotzdem: Menschen, die eher körperliche als geistige oder emotionale Arbeit leisten, klopfen deutlich seltener bei uns an. Das liegt auch daran, dass der klassische Bürojob heutzutage oftmals mit ständiger Erreichbarkeit und Home-Office verbunden ist, während der angestellte Holzfäller wirklich Feierabend hat, sobald er die Axt ablegt.

Was Leistungsdruck und Digitalisierung mit Burn-Out zutun haben

Warum hat sich das Krankheitsbild in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich so ausgebreitet?

Die Fälle von Burn-Out nehmen seit der digitalen Revolution tatsächlich immer weiter zu. Es ist heute normal, dass wir durch unser Smartphone ständig erreichbar sind. Und wenn Sie sich einmal am Bahnhof umschauen: Die meisten Leute haben ständig den Blick auf den Bildschirm gerichtet. Dadurch fehlt uns die Zeit, mal abzuschalten und die Gedanken schweifen zu lassen, unser Gehirn ist ständig mit neuem Input konfrontiert und steht dadurch dauerhaft unter Strom. Hinzukommt der Leistungsdruck, den uns die Gesellschaft häufig auferlegt.

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Ist das der einzige Grund?

Natürlich spielt auch die steigende Akzeptanz von psychischen Erkrankungen eine Rolle. Lange Zeit galten psychische Erkrankungen als gesellschaftliches Tabu. Es ist deutlich einfacher, sich über Rückenschmerzen zu beklagen. Ich kann sagen „Mir geht es gut, aber mein Rücken macht Probleme“. Der Rücken gehört zu mir, er ist ein Teil von mir, aber das bin nicht ich. Versuchen Sie den gleichen Satz einmal mit der Psyche: „Mir geht es gut, aber meine Psyche macht Probleme“. Das geht nicht so einfach! Meine Psyche, das bin ich. Und wenn meine Psyche ein Problem hat, dann habe ich das Problem – sie ist eben nicht nur „mein Rücken“, von dem ich mich distanzieren könnte.

Erschöpfung: Wenn der Lebenslauf zum Sprint wird

Ständige Erreichbarkeit und gesellschaftlicher Leistungsdruck gehören für die meisten Menschen zum Alltag. Trotzdem endet das Ganze nicht für jeden im Burn-Out. Welche Menschen klopfen an Ihre Tür?

Die häufigsten Beratungsanfragen kommen aus zwei Hauptgruppen. Das sind einmal Berufsanfänger, die zwischen fünf und sieben Jahre lang im Job sind. Die andere Gruppe hat schon deutlich mehr Berufsjahre hinter sich; die Betroffenen sind meist im Alter zwischen 45 und 58. Und wenn wir uns die Arbeitswelt anschauen, ergibt das durchaus Sinn. Unser Lebenslauf ist ein Marathon. Es gibt aber Leute, die rennen von Anfang an drauf los und verschätzen sich in der zu bewältigenden Distanz. Das heißt, sie gehen mit sehr hohen Ansprüchen an sich selbst zur Arbeit und geben Vollgas – sodass diese Menschen oft nach wenigen Jahren schon ausgebrannt sind. Manchmal passiert es aber eben auch, dass Menschen schon jahrzehntelang arbeiten – im ‚Marathon-Bild‘ bei Kilometer 30 sind – und dann merken: Mist, da kommen ja trotzdem noch viele Jahre auf mich zu. Wer dann mit seinen Ressourcen nicht sparsam genug war, der kollabiert schnell unter der Mischung aus Erschöpfung und Druck.

Wie geht es nach der Diagnose Burn-Out weiter?

Burn-Out entsteht oft durch das Zusammenspiel aus einer persönlichen Disposition und äußeren Rahmenbedingungen. Wir suchen also im Umfeld des Klienten nach Ansatzpunkten, die wir ändern können und gehen auf Ursachenforschung im Inneren. Dabei versuchen wir zum Beispiel, gemeinsam neue Blickwinkel auf die Situation zu entwickeln und herauszufinden, warum der Patient sich selbst ausbeutet.

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Gehen wir nochmal einen Schritt zurück: Was kann ich tun, um gar nicht erst bei Ihnen in der Burn-Out-Fachberatung zu landen?

Der wichtigste Punkt bei der Prävention ist Selbstwertschätzung. Damit meine ich nicht das viel beworbene Selbstwertgefühl, sondern die ganz praktische Tat. Es geht darum, wie ich mit mir selbst umgehe, wie ich über mich selbst spreche und denke. Mein Terminkalender verrät viel darüber, ob ich mich selbst wertschätze oder nicht, ebenso meine Erreichbarkeit via Telefon. Ich habe in all den Jahren nicht einen einzigen Burn-Out-Kandidaten in der Beratung gehabt, der sich selbst wertgeschätzt hat. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn ich mit mir selbst umgehe, wie mit einem guten Freund, dann senke ich das Risiko für diese Erkrankung enorm.

Worauf es bei gelebter Selbstwertschätzung ankommt

Und wie kann Selbstwertschätzung in der Praxis aussehen?

Selbstwertschätzung fängt schon bei gesunder Ernährung und regelmäßigen Sporteinheiten an. Wenn ich meinen Körper schätze, dann tue ich ihm natürlich auch etwas Gutes. Auch regelmäßige Auszeiten und das aktive Setzen von Grenzen gehören dazu. Der springende Punkt ist, dass all das den meisten Menschen rein kognitiv klar ist. Selbst Burn-Out-Betroffene wissen meistens sehr genau, was ihnen theoretisch helfen würde. Sie setzen es aber einfach nicht um. Und das liegt nicht an Bequemlichkeit, sondern meistens an Emotionen, die dem gewünschten Verhalten im Wege stehen. „Nein“ sagen bedeutet zum Beispiel oft, dass ich jemand anderen vor den Kopf stoßen muss. Hier schaltet sich dann gerne die Angst vor Ablehnung ein.

Unsere Emotionen stehen uns also gerne mal im Weg und hindern uns daran, uns selbst Gutes zu tun. Trotzdem müssen wir aktiv werden, um uns besser zu fühlen. Wie kann ich diesen Teufelskreis durchbrechen?

Perfektionismus zum Beispiel finden wir überall im Leben. Ich habe mir deshalb angewöhnt, meine Wohnung auch mal nicht aufzuräumen, wenn Freunde kommen. Das senkt den Druck bei den Freunden enorm, denn dadurch haben sie das nächste Mal nicht das Gefühl, aufräumen zu müssen, wenn ich zu Besuch komme. Und das kann man auf alle Lebensbereiche ausweiten. Niemand von uns ist immer perfekt, wie haben Ecken und Kanten – ebenso wie unaufgeräumte Wohnungen, schlechtes Wetter im Urlaub oder mieses Essen im Restaurant. Wir sollten es uns abgewöhnen, immer nur die Highlights zur Schau zu stellen! Es wäre doch unglaublich erleichternd, wenn wir unsere Mitmenschen auch öfter so sehen könnten, wie sie wirklich sind.

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Die Infiziertenzahlen steigen, Firmen gehen pleite, Menschen sind isoliert – wie sollen wir damit umgehen?

Soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook machen uns das nicht gerade leicht. Und auch sonst liegt der Fokus in Deutschland oft auf Leistung. Es interessiert oft vor allem, welche Tätigkeit wir ausüben. Wissen wir denn überhaupt, wer wir sind?

In unserer Gesellschaft ist es fast normal, sich durch seinen Beruf zu definieren. Zum Problem wird das Ganze dann, wenn der Job unsere gesamte Identität bestimmt. Leider passiert das viel zu oft. Und wenn die Arbeit dann wegbricht, weil man zu erschöpft ist oder einfach keine Motivation mehr hat, dann steht man ganz schnell vor dem Nichts. Wir sollten uns deshalb fragen, ob wir diesen gesellschaftlichen Konsens so mitgehen wollen oder ob wir uns nicht doch lieber durch mehr definieren sollten als unseren Job.

Quelle: Burn-Out-Fachberatung

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