Bürokratieabbau statt 50-Cent-Vergütung
Lieferengpass-Gesetz, Entbürokratisierung und eine Novelle des VOASG: Den Apotheken stehen einige spannende Entwicklungen ins Haus. Was planen die Grünen für die Offizinen und wie stehen sie zur Forderung nach einer Anpassung des Apothekenhonorars? Darüber sprach die DAZ mit der Grünen-Berichterstatterin für Apothekenthemen, Paula Piechotta.
DAZ: Frau Piechotta, wo sehen Sie aktuell im Apothekensektor die größten Baustellen?
Piechotta: Das gesamte Gesundheitswesen hat einen unheimlich hohen Reformstau. Das betrifft auch den Apothekensektor. Ihn weiterzuentwickeln, zählt nicht zu den drängendsten Problemen in der Gesundheitspolitik, aber es ist eines von vielen. Vor allem das Thema Lieferengpässe müssen wir jetzt schnell angehen. Dazu liegt ja bereits der Entwurf eines Generika-Gesetzes auf dem Tisch.
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Ein Baustein bei der Bewältigung der Lieferengpässe sind die erleichterten Abgaberegeln für Apotheken bei der Belieferung von Rezepten. Laut Entwurf des Lieferengpass-Gesetzes sollen sie allerdings nur für solche Fälle entfristet werden, in denen das betreffende Medikament auf einer neu zu schaffenden Liste des BfArM steht. Reicht das aus Ihrer Sicht?
Grundsätzlich wollen wir in dieser Legislaturperiode die überflüssige Bürokratie im Gesundheitswesen angehen, darunter fallen auch viele Regelungen aus dem Bereich des Lieferengpass-Managements. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die ganz großen Aufgaben Priorität haben und das ist vor allem die Stabilisierung der GKV-Finanzen, die Pflegeversicherung und die Krankenhausreform.
Die Grünen hatten kurz vor der Veröffentlichung der Eckpunkte zum Lieferengpass-Gesetz aus dem BMG einen eigenen Vier-Punkte-Plan vorgelegt. Darin fordern sie unter anderem mehr Eigenständigkeit für die Apotheken, wenn es um die Herstellung von Arzneimitteln geht, die nicht verfügbar sind. Dazu findet sich im Entwurf des BMG nichts – werden Sie sich im parlamentarischen Verfahren für die Punkte aus ihrem Plan einsetzen?
Was vorliegt, ist ja zunächst einmal nur ein Entwurf. Daran wird sich im parlamentarischen Verfahren noch einiges ändern. Daher bin ich keineswegs beunruhigt, vor allem, weil die gesetzlichen Krankenkassen beim Thema Rezepturen bereits im Dezember sehr großzügige Regelungen veranlasst haben. Man muss auch nicht alles in ein Gesetz verpacken, immerhin haben wir in Deutschland eine starke Selbstverwaltung.
Unterstützen Sie auch die weitergehenden Pläne des BMG, speziell etwa die 50-Cent-Honorierung für Apotheken, die wegen spezieller Engpässe Rücksprache mit dem Arzt oder der Ärztin halten müssen?
Das war keine grüne Forderung und darüber werden wir mit dem Ministerium sicher noch diskutieren. Wir halten es insbesondere mit Blick auf die GKV-Finanzen für zielführender, Bürokratie abzubauen, als neue Zuschläge für neue bürokratische Anforderungen einzuführen. Solch ein Zuschlag würde dagegen neuen administrativen Aufwand mit sich bringen. Damit ist niemanden geholfen. Stattdessen sollten wir generell die Frage stellen, wann der Rückruf der Apotheke beim Arzt wirklich nötig ist und wann man darauf verzichten kann. Wir müssen weg davon, im Gesundheitswesen immer mehr Geld auszugeben und am Ende sind trotzdem alle unzufriedener als davor.
Bis September muss das BMG einen ersten Entwurf vorlegen, wie es Bürokratie im Gesundheitswesen abbauen will. Was können Sie sich diesbezüglich für die Apotheken vorstellen?
Die Entbürokratisierung des Gesundheitswesens wollen wir ganz grundlegend angehen. Vor diesem Hintergrund wäre es unseriös, jetzt schon einzelne Punkte aufzuzählen, die ich mir persönlich zwar vorstellen kann, die aber letztlich im parlamentarischen Verfahren möglicherweise nicht durchsetzbar sind. Wir werden uns als Koalition damit beschäftigen, sobald die ganz großen Projekte, die in diesem Halbjahr noch anstehen, in ausreichender Weise aufs Gleis gesetzt sind.
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Ihr Parteikollege Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat bereits angedeutet, dass im Zuge der Entbürokratisierung auch das Thema Nullretax auf den Tisch kommen könnte. Dürfen sich die Apothekerinnen und Apotheker Hoffnung machen, dass es damit bald ein Ende hat?
Auch das werden wir in den Gesprächen ausloten müssen. In diesen Zeiten müssen wir sehr genau hinschauen, was möglich ist und was wir tun können, damit unser Gesundheitssystem weiterhin so leistungsstark bleibt wie bisher.
Wie stehen Sie zu den Forderungen der Apotheken nach einem höheren Fixum?
Aktuell fordern so ziemlich alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen mehr Geld, von der Pflege über die therapeutischen Berufe bis hin zu den Ärztinnen und Ärzten. Die Positionen, die die Verbände formulieren, sind schlüssig und ich kann alle Akteure verstehen, auch die Apothekerinnen und Apotheker. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber auch anschauen, wie wir alle gemeinsam dazu beitragen können, dass das GKV-System stabil bleibt, denn das ist die Grundlage für uns alle, damit wir unsere Patientinnen und Patienten versorgen können. Mit Blick auf das große Defizit in den Kassen der GKV bin ich sehr vorsichtig, was Versprechungen betrifft.
Mehr Geld soll es laut Koalitionsvertrag für das Erbringen pharmazeutischer Dienstleistungen geben. Wie bewerten Sie deren Einführung, die aktuell eher schleppend anläuft?
Natürlich wünsche ich mir, dass die Einführung der pharmazeutischen Dienstleistungen an Fahrt aufnimmt und wir das Angebot ausbauen können. Ich stehe hinter der Idee und wir werden schon allein aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels nicht darauf verzichten können, die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker in Zukunft stärker als bisher in die gesamte medizinische Versorgung mit einzubeziehen. Einen Vorgeschmack haben wir während der Pandemie bekommen, als Apotheken Testzentren errichtet haben. Mein Eindruck war, dass solche Testzentren, die an Apotheken angegliedert waren, solider gearbeitet haben als die von vielen anderen Anbietern. Das hat gezeigt, wie dynamisch Apotheken auf Situationen reagieren können und neue Angebote qualitativ hochwertig umsetzen können. Ich bin sehr gespannt darauf, ob die Apotheken in ländlichen Gebieten, wo die Hausärztinnen und -ärzte knapp werden, Verantwortung übernehmen und breite Gesundheitsangebote machen werden – speziell auch pharmazeutische Dienstleistungen.
Welche Formen der Weiterentwicklung der Apotheken können Sie sich in diesem Kontext vorstellen?
Wir stehen vor der Herausforderung, immer mehr medizinische Leistungen für eine immer älter werdende Bevölkerung anbieten zu müssen. Jeder Akteur, der uns hilft, Gesundheitsversorgung besser und effizienter zu machen, ist vor diesem Hintergrund ein guter Akteur. Und gerade bei den Pharmazeutinnen und Pharmazeuten rufen wir aktuell noch viel zu wenig der vorhandenen Expertise ab. Gerade in den ländlichen Regionen werden wir es zunehmend erleben, dass sich die starren Grenzen zwischen den einzelnen Gesundheitsberufen und deren Kompetenzen auflösen. Dort wird man nicht mehr neidisch auf den anderen schauen, der eine Leistung erbringt, die man selbst abrechnen könnte, sondern wir werden froh sein, die Versorgung gemeinsam aufrechterhalten zu können. Bei mir in Sachsen sind etwa in den grenznahen Gebieten zu Polen die Vorbehalte der Ärzteschaft gegenüber der Delegation ärztlicher Leistungen nicht ansatzweise so stark ausgeprägt wie andernorts – auch, weil dort der Fachkräftemangel besonders spürbar ist. Für die Apothekerinnen und Apotheker ergeben sich daraus auch Chancen. Vor allem im Bereich Polymedikation und Vermeiden von Wechselwirkungen sehe ich viel Potenzial.
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Muss der Druck erst so groß werden, damit sich das Gesundheitswesen bewegt?
Die Beharrungskräfte im Gesundheitswesen sind sehr ausgeprägt. Die Probleme, die wir jetzt haben, sind alle nicht neu, auch mit Lieferengpässen haben wir schon lange zu kämpfen. Aber es gibt im Gesundheitswesen sehr viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Die hohe Komplexität macht das System schwer beweglich. Und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem der Druck so hoch ist, dass all die aufgeschobenen Reformen in relativ kurzer Zeit nachgeholt werden müssen, damit das Gesundheitssystem weiter funktionieren kann. Das hätte deutlich sanfter ablaufen können, wenn man sich in den vergangenen 16 Jahren frühzeitiger um die Probleme gekümmert hätte.
Wie erleben Sie in diesem Zusammenhang die Apothekerschaft? Eher als Verhinderer oder als Gestalter?
Da muss man differenzieren zwischen den Apothekerinnen und Apothekern, die man vor Ort trifft, und den Verbänden. Beim Impfen etwa haben wir bei vielen Apothekerinnen und Apothekern eine große Offenheit erlebt. Aber diese Möglichkeit wurde am Ende nicht geschaffen, weil die ABDA sich so sehr dafür eingesetzt hätte.
Wie sollte das angekündigte VOASG 2.0 Ihrer Meinung nach aussehen? Welche Komponenten gehören unbedingt hinein?
Wir müssen stärker als bisher berücksichtigen, dass es sehr unterschiedliche Bedingungen für Apotheken gibt. Mittlerweile haben wir eine große Spreizung bei der Einkommenssituation zwischen den großen Betrieben und deren Filialen auf der einen Seite und den kleinen Apotheken mit deutlich weniger Umsatz auf der anderen Seite. Was uns sicher nicht weiterbringt, ist, Geld mit der Gießkanne über alle hinweg zu verteilen. Wir müssen schauen, an welchen Standorten wir tatsächlich Apotheken brauchen und dort die Versorgung sicherstellen. Zudem sollten wir nochmals über den Botendienst sprechen – denn dort, wo die Inanspruchnahme groß ist, etwa im Saarland und in Rheinland-Pfalz, findet sich weder eine besonders überalterte Gesellschaft, noch ist die durchschnittliche Entfernung bis zur nächsten Apotheke außergewöhnlich groß. Da scheint es ein gewisses Missverhältnis zwischen Bedarf und Versorgung zu geben, dem wir uns widmen sollten.
Wie könnte man denn die einzelne versorgungsrelevante Apotheke unterstützen, der es wirtschaftlich nicht gut geht?
Worauf es am Ende hinauslaufen wird, ist schwer zu sagen, weil es im Koalitionsvertrag nicht detailliert festgehalten ist. Mir ist es wichtig, erstmal in die Debatte zu kommen. Nicht in jeder Region in Deutschland mangelt es an Apotheken. In den Großstädten finden sich oft mehrere auf engstem Raum. Es kann nicht die Aufgabe der Gesundheitspolitik sein, jede einzelne dieser Apotheken zu erhalten. Wichtig ist, die Flächendeckung zu sichern, auch wenn man zunächst definieren muss, was genau darunter zu verstehen ist.
Frau Piechotta, vielen Dank für das Gespräch!
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