Corona-Lockerung: Deutsche haben wieder mehr Kontakt – das sind die Folgen
Oma und Opa erkennen bald ihre Enkelinnen und Enkel nicht mehr und wer alleine wohnt, hat inzwischen alle Serien auf Netflix durchgesuchtet – und kämpft täglich aufs Neue gegen aufkommende Langeweile.
Während der eine Teil der Menschen, der in systemrelevanten Berufen arbeitet, an das Ende der Leistungskapazität getrieben wird, versinkt der große Rest zunehmend mehr in einem ungeduldigen Dämmerzustand.
Die Deutschen sehnen sich trotz Coronavirus nach dem Normalzustand zurück – und erste Bundesländer reagieren darauf.
Ob „endlich“ oder „voreilig“ bleibt dabei allerdings die Frage: Werden durch das drängende Bedürfnis nach mehr Kontakt vielleicht zu viele Konsequenzen in Kauf genommen?
Die Deutschen werden wieder geselliger
Laut ‚SPIEGEL‘-Umfragen sinkt die Bereitschaft der Deutschen zunehmend, sich an die verhängte Kontaktsperre zu halten.
Inzwischen sind es schon wieder rund 60 Prozent der Befragten, die angaben, sich in den vergangenen sieben Tagen mindestens einmal mit Freunden oder Bekannten getroffen zu haben.
Ende März lag der Anteil noch bei nur 30 Prozent.
Dabei gilt grundsätzlich weiterhin, dass soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert werden sollten und auch die Verordnung, dass man höchstens zu zweit unterwegs sein darf, ist weiterhin aktiv. Ausgenommen davon sind Familienmitglieder und Personen, die gemeinsam in einem Haushalt leben.
An letzterer Verordnung allerdings hat am Wochenende bereits das erste Bundesland heftig gerüttelt. In Sachsen-Anhalt dürfen sich nun wieder bis zu fünf Personen treffen – ein gerechtfertigtes Entgegenkommen der Politik oder purer Leichtsinn?
Welche Lockerungen gibt es?
Nicht nur Sachsen-Anhalt prescht in Bezug auf Lockerungen der Corona-Beschränkungen vor.
Erst heute gab zum Beispiel auch Niedersachsen bekannt, dass unter bestimmten Auflagen ab Montag die Gastronomie wieder geöffnet werden soll.
Dass in der Gesellschaft der Wunsch nach Normalität immer größer wird, bleibt der Regierung offensichtlich nicht verborgen.
In zwei Tagen, am Mittwoch, wollen die Bundesländer daher gemeinsam überlegen, wie ein gemeinsamer Kurs für eine allmähliche Aufhebung der Sicherheitsmaßnahmen gefunden werden kann.
Neben grundsätzlichen Ermüdungsanzeichen in der Gesellschaft in Bezug auf die verhängten Maßnahmen übt dabei vor allem auch die Wirtschaft Druck aus, die die Sicherheitsbeschränkungen gelockert sehen möchte.
Und auch andere Bundesländer positionieren sich bereits im Vorfelde der Verhandlungen deutlich. So droht Nordrhein-Westfalen notfalls einen Alleingang an, sollte die Bund- und Länder-Runde keine einheitlichen Öffnungskurs für die Kitas beschließen.
Vielleicht könnte das alltägliche Leben also schon bald wieder etwas unkomplizierter aussehen.
Aber ist das wirklich ein Grund zur Freude?
Das Risiko des R-Faktors
Damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, ist es überaus wichtig, dass sich das Coronavirus möglichst kontrolliert ausbreitet.
Dafür ist die Reproduktionszahl R entscheidend, also die Zahl der Menschen, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt.
Fällt diese größer als eins aus, verbreitet sich das Virus exponentiell und wird dadurch unkontrolliert.
Ohne Eindämmungsmaßnahmen liegt der R-Faktor vom Coronavirus bei circa 2 bis 3.
Durch die vielen Sicherheitsvorkehrungen konnte der Wert in Deutschland allerdings deutlich gesenkt werden.
Am Sonntag lag nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) der Reproduktionsfaktor sogar nur noch bei 0,74. Das bedeutet, dass zehn Infizierte im Durchschnitt etwa 7 weitere Personen anstecken.
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Mehrkontakt: Spiel mit dem Feuer
Allerdings: Erhöht sich der Wert nur minimal, steigt auch die Zahl der Infizierten sofort wieder so stark an, dass das Gesundheitssystem an sein Limit kommt.
Schon bei einem Reproduktionsfaktor von 1,3 gäbe es im Juni nicht mehr genug Intensivbetten, so Kanzlerin Merkel in einem Interview mit der ‚Zeit‘.
Bei 1,2 käme das Gesundheitssystem im Juli an die Belastungsgrenze, bei 1,1 im Oktober.
Zudem rechnen Experten trotz des aktuell optmistisch anmutenden Eingrenzung der Ansteckungen mit einer hohen Dunkelziffer von nicht erfassten Fällen.
Die Dunkelziffer sowie der grundsätzlich instabile Charakter des R-Faktors lassen ein erleichtertes Aufatmen in Bezug auf die Corona-Krise immer noch nur eingeschränkt zu.
Es bleibt also eine riskante Entscheidung der Landesregierungen am Mittwoch, bei der die Konsequenzen des Lockdowns für die Gesellschaft mit denen der Pandemie abgewogen werden müssen.
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Quellen
- SPIEGEL: „Lockerung der Corona-Beschränkungen Deutsche suchen wieder Kontakt“, abgerufen am 04.05.2020: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-lockdown-lockerungen-deutsche-suchen-wieder-kontakt-a-40a7c181-1ab8-4d4b-bca5-bf8f4ace27ea
- Die Zeit: „Corona-Lockerungen: Ist das jetzt der klügste Ausweg?“, abgerufen am 04.05.2020: https://www.zeit.de/wissen/2020-04/corona-lockerungen-tests-infektionsketten-schulen-friseure-kontaktverbot
- FAZ: “ Streit über Corona-Maßnahmen : Bundesländer wollen Lockerung des Kontaktverbots durchsetzen“, abgerufen am 04.05.2020 https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/corona-krise-bundeslaender-wollen-lockerung-des-kontaktverbots-16753068.html
- MoPo: „Coronavirus: Aktuelle Reproduktionszahl und RKI-Fallzahlen“, abgerufen am 04.05.2020: https://www.morgenpost.de/vermischtes/article228995569/RKI-Fallzahlen-Wachstum-immer-langsamer-aktuelle-Corona-Reproduktionszahl.html
Larissa Hellmund
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