Verstärkt ein Strohhalm die Wirkung von Alkohol?
Essen und Trinken hat – wenn es gut läuft – immer auch mit Genuss zu tun. Schon im Kindesalter sind bunte Strohhalme ein anerkanntes Mittel, um die Geburtstagsparty aufzupeppen und zum Experiment anzuregen. Im Erwachsenenalter begegnen uns die Trinkhilfen vor allem in Cocktailbars, wo kindisches Geblödel allerdings mit empörten Blicken bestraft wird. Dass die Abende meist dennoch feucht fröhlich enden, liegt auch an den Strohhalmen. Denn durch sie wird man besonders schnell betrunken, so die Theorie.
Die bekannteste Erklärung des Phänomens besagt, dass der Alkohol, fröhlich durch den Halm gesaugt, länger mit der Mundschleimhaut in Kontakt kommt. Das habe einen entscheidenden Vorteil: Der Alkohol kann über die Schleimhaut im Mund direkt ins Blut gelangen. Im Magen spalten Enzyme sonst einen Teil des Stoffs. Die Portion, die weiter bis in den Dünndarm wandert, muss außerdem zur Giftkontrolle durch die Leber. Nur was hier nicht aussortiert wird, gelangt über den Blutkreislauf in den gesamten Körper und ins Gehirn, wo der Rausch entsteht.
Irene Berres, Julia Merlot:
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Flaches Glas, große Wirkung
„Wissenschaftliche Studien zur Frage, ob durch den Strohhalm trinken schneller betrunken macht, gibt es nicht“, sagt Michael Musalek, Ärztlicher Direktor des Anton Proksch Instituts in Wien, einer der größten Suchtkliniken Europas. Doch die Anatomie spricht gegen die gängige Strohhalmtheorie. Über die Mundschleimhaut könne der Körper nur geringe Mengen Alkohol aufgenehmen, so Musalek.
Das zeigen die Größenverhältnisse: Die Schleimhaut im Mund ist nur 0,02 Quadratmeter groß. Die Dünndarmschleimhaut, über die der Alkohol nach dem Schlucken in den Kreislauf befördert wird, ist mit bis zu 200 Quadratmetern 10.000-mal größer – fast so groß wie ein halbes Basketballfeld. „Der Effekt, den man über die Aufnahme durch die Mundschleimhaut erzielt, ist deshalb zu vernachlässigen“, sagt Musalek.
Doch es gibt einen anderen Wirkmechanismus, der den Strohhalm als Blaumacher entlarvt – zumindest indirekt. „Beim Trinken spielt die Ästhetik eine wichtige Rolle“, erklärt Musalek. Eine Maß zu trinken, könne beispielsweise ganz schön schwierig sein, da das Glas schwer, groß und unhandlich ist. „Da muss man aufpassen, dass nicht die Hälfte am Mund vorbeiläuft.“ Dementsprechend trinke man langsamer. Dass die Glasform die Trinkgeschwindigkeit beeinflusst, zeigt auch eine Studie aus dem Jahr 2012.
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Britische Forscher ließen knapp 160 Testpersonen in jeweils zwei Experimenten Bier aus Weizengläsern oder Bierkrügen trinken. Die Weizenglastrinker leerten ihr Bier 60 Prozent schneller als die mit einem Bierkrug. Die Forscher erklären sich das Phänomen so, dass die Trinker bei einem Weizenglas schlechter einschätzen konnten, wann es halb leer ist. Die Testpersonen hätten erst später das Gefühl gehabt, die Hälfte geschafft zu haben. Dementsprechend hätten sie das Glas häufiger angesetzt.
Betrunken von Wasser
Auch beim Trinken mit dem Strohhalm ist die Geschwindigkeit das Entscheidende. „Das Saugen macht das Trinken leicht und erzeugt ein angenehmes Gefühl im Mund“, erklärt Musalek. Deshalb nehme man häufig gleich mehrere Schlucke hintereinander. „Man trinkt ebenfalls rascher und wird dadurch schneller betrunken.“ Zusätzlich gefördert wird das Trinktempo durch den hohen Zuckergehalt der Cocktails, die typischerweise mit Strohhalm serviert werden. Der Zucker übertüncht den Geschmack des hochprozentigen Alkohols und verleitet zum Weitertrinken.
Übrigens: Die Psychologie hat einen gehörigen Anteil an der Rauschwirkung von Alkohol. Wer überzeugt ist, Alkohol zu trinken, fühlt sich auch eher betrunken. In einem Experiment aus dem Jahr 2003 etwa versorgten Wissenschaftler knapp 150 Studenten mit Freigetränken. Der einen Hälfte der Gruppe wurde gesagt, dass sie Wodka Tonic trinkt, der anderen, dass sie Tonic ohne Alkohol im Glas hat – in Wahrheit bekam keine Gruppe Alkohol. Dennoch verhielten sich die vermeintlich Alkohol trinkenden Studenten angeheitert: Die Jungs begannen mit einer der Wissenschaftlerinnen zu flirten, die Mädels giggelten vor sich hin. Sogar in einem Erinnerungstest schnitt die vermeintliche Alkoholgruppe deutlich schlechter ab.
„Ab welcher Menge genau Alkohol schädlich ist, kann man nicht pauschal sagen“, erklärt Musalek. Verzögern lässt sich der Rausch, indem man ausreichend isst. Dann bleibt dem Körper mehr Zeit, den Alkohol schon im Verdauungstrakt auseinanderzunehmen. Schneller nimmt der Darm Alkohol dagegen auf, wenn Kohlensäure in einem Getränk enthalten ist. „Grundsätzlich gilt, dass jeder Rausch Schäden anrichten kann“, sagt Musalek. Der Experte empfiehlt daher, alkoholische Getränke bewusst zu genießen. „Dann spürt man die narkotisierende Wirkung rechtzeitig“, sagt er. „Man wird müde und verzichtet automatisch auf das zweite Glas.“
Fazit: Trinken durch einen Strohhalm macht allein nicht schneller betrunken. Allerdings erhöht es in der Regel die Trinkgeschwindigkeit und berauscht dementsprechend schneller. Also lieber ein paar Pausen einlegen und den Cocktailabend dafür umso länger genießen.
Anmerkung der Redaktion: In früheren Versionen dieses Artikels, war die Angabe zur leberschädigenden Menge Alkohol missverständlich formuliert. Wir haben die Angaben konkretisiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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