Trotz Lockdown rollt die 3. Corona-Welle: Virologe erklärt, wie das passieren konnte
Trotz Lockdown sinken die Corona-Zahlen in Deutschland nicht mehr. Kanzlerin Angela Merkel spricht angesichts der britischen Mutation B.1.1.7 bereits vom Beginn der dritten Welle. Bei FOCUS Online erklärt Virologe Martin Stürmer, warum die aktuellen Maßnahmen jetzt offenbar nicht mehr ausreichen.
Eine Zeit lang schien es, als würden wir die Pandemie mit den aktuellen harten Lockdown-Maßnahmen wieder in den Griff bekommen. Die Zahl der Neuinfektionen sank in den vergangenen Wochen deutlich. Doch seit ein paar Tagen stagnieren die Zahlen, steigen in manchen Teilen Deutschlands sogar wieder an. "Wir haben es mit einer dritten Welle zu tun", kommentierte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Situation angeblich in einer CDU/CSU-Fraktionssitzung am Dienstag.
Schuld an dem erneuten Infektionsanstieg ist insbesondere die Corona-Mutation B.1.1.7. Die „britische Variante“ gilt als infektiöser als das bisherige Sars-CoV-2-Virus. Die Variante wurde im Dezember 2020 erstmals in Großbritannien nachgewiesen. Am 24.12.2020 berichtete das Land Baden-Württemberg erstmals über einen Nachweis der Linie B.1.1.7, inzwischen sind Fälle in fast allen deutschen Bundesländern und große Ausbrüche mit der Variante bekannt.
Dritte Welle: B.1.1.7-Mutation könnte länger ansteckend sein
Forscher der Universität Harvard stellten jetzt sogar die These auf, dass B.1.1.7 länger infektiös ist als andere Varianten. Damit habe das Virus den Wissenschaftlern zufolge mehr Potential, andere Personen anzustecken. In ihrer Studie untersuchten die Experten um Stephen Kissler 65 Spieler der amerikanischen Basketball-Liga NBA. Sie waren alle mit Sars-CoV-2 infiziert, sieben von ihnen mit der britischen Variante B.1.1.7.
Die Spieler unterzogen sich täglich einem PCR-Test. So gelang es den Wissenschaftlern, die Viruslast an jedem Tag zu bestimmen. Außerdem ermittelten sie, über wie viele Tage diese ihren Höchstwert erzielte. Eine hohe Viruslast gilt als Indikator für Infektiösität.
Das Ergebnis: Der Spitzenwert der Viruslast war bei beiden Varianten vergleichbar hoch. Allerdings blieben die Werte bei den mit B.1.1.7-Infizierten im Schnitt 13,3 Tage bestehen – und damit durchschnittlich um 5,3 Tage länger.
Daraus schlossen die Forscher: Die Mutation ist nicht ansteckender, weil mit ihr Infizierte eine generell höhere Viruslast haben. Sondern deshalb, weil sie länger eine hohe Viruslast haben und andere Personen damit über einen längeren Zeitraum mit dem Virus anstecken können.
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Längere Quarantäne bei B.1.1.7 notwendig?
Da diese Studie relativ klein ist und nur die Daten von sieben mit der Variante B.1.1.7 Infizierten betrachtete, gilt die Untersuchung vorerst nur als erstes Indiz für eine längere Ansteckungsfähigkeit der Infizierten. Dennoch könnte es sich bei der verlängerten Infektiösität um eine mögliche Ursache der höheren Ansteckungsrate handeln, so die Wissenschaftler. Sie erklären: „Sollten sich die Ergebnisse durch weitere Daten bestätigen, könnte eine längere Isolationszeit als die derzeit empfohlenen 10 Tage nach Auftreten der Symptome erforderlich sein, um Sekundärinfektionen durch diese Variante wirksam zu unterbrechen.“
Auch ohne die Dauer der Infektiösität zu betrachten, gehen internationale Wissenschaftler von einem höheren Ansteckungsrisiko bei B.1.1.7 aus. Die britische Mutante ist nach RKI-Schätzungen um mindestens 35 Prozent ansteckender als die herkömmliche. Sie gilt als „Variant of Concern“ (VOC), vor Weihnachten schätzten britische Forscher ein um 50 bis 70 Prozent erhöhtes Risiko. Neuere Studien gehen inzwischen von 43 bis 82 Prozent aus, während die britische Gesundheitsbehörde nur eine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit von 25 bis 40 Prozent angibt.
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Additiver Effekt sorgt dafür, dass Zahlen wieder ansteigen
Diese erhöhte Ansteckungswahrscheinlichkeit soll laut internationalen Forschern dafür sorgen, dass sich das Virus schneller verteilt. So schnell, dass auch unsere Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Verbreitung zu stoppen. Dabei handelt es sich um einen additiven, beziehungsweise subtraktiven Effekt, wie Virologe Martin Stürmer im Gespräch mit FOCUS Online erklärte.
Denn wenn man sich die Infektionen durch die alte Variante unabhängig von denen durch die neue Variante ansieht, ergibt sich folgendes Bild:
- Der Anteil der „alten“ Infektionen sinkt nach und nach. Hier funktionieren die Lockdown-Maßnahmen, die Zahlen sinken.
- Der Anteil der „neuen“ Infektionen steigt aber stattdessen. Die Mutationen sind ansteckender, je mehr davon vorkommen, umso wahrscheinlich sind größere Ausbrüche. Hier scheinen die Maßnahmen nicht auszureichen.
- Nach und nach heben sich diese Kurven gegenseitig auf und steuern auf ein „Plateau“ zu. Es entsteht eine Nullsumme.
Die große Gefahr, die damit einhergeht: Die Nullsumme könnte zu einer Plussumme werden. Heißt: Der Anteil der Mutationen steigt weiter so stark an, dass er die sinkenden Ursprungsinfektionen einholt. Die Folge: Die Fallzahlen steigen insgesamt wieder an. Dann ist der erneute Corona-Wendepunkt und die Umkehr des bislang noch positiven Trends erreicht. Eine dritte Welle beginnt; genau danach sieht es aktuell aus.
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Dritte Welle? Mutanten machen schon mehr als 20 Prozent der Infektionen aus
In der vergangenen Woche gab das Robert Koch-Institut den Anteil von B.1.1.7 mit rund 22 Prozent aller Infektionen an. Im Vergleich zu den im ersten Bericht vom 5. Februar angegebenen knapp sechs Prozent ist dies ein deutlicher Anstieg. Ein ähnliches Wachstum wurde bereits in anderen Ländern, wie Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich, beobachtet.
„Der Anstieg des Anteils der Variante B.1.1.7 auf 20 Prozent ist nicht verwunderlich oder überraschend“, erklärt dazu Roman Wölfel, Oberstarzt und Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr München. „Eine Zunahme war auf Basis der Faktenlage zu erwarten, da die neue Variante um einen gewissen Wert ansteckender ist als ihre Vorgänger. Sie wird daher früher oder später die Vorherrschaft in den Infektionen übernehmen.“
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