„Könnte Hälfte der Patienten betreffen“: Corona kann gefährliche Blutgerinnsel auslösen

Bei der Obduktion von zwölf Covid-19-Patienten stellten Rechtsmediziner vermehrt Thrombosen und Lungenembolien fest. Vier Patienten starben direkt an deren Folgen, obwohl es vor dem Tod dafür keine Hinweise gab. Experten erklären, was diese Ergebnisse für künftige Behandlungschancen bedeuten.

In den vergangenen Wochen untersuchten Rechtsmediziner des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) rund 190 verstorbene Covid-19-Patienten. Zwölf davon betrachteten sie näher, führten Computertomographien durch. Ihr Fazit: Sieben der Patienten hatten Thrombosen, also Gerinnselbildungen, entwickelt, vier davon waren an einer Lungenembolie gestorben. Vor ihrem Tod bestand bei den Betroffenen kein entsprechender Verdacht.

Sars-CoV-2-Virus scheint demnach in den Venen zur Bildung von Blutgerinnseln zu führen, die als Lungenembolie in die großen Lungengefäße gelangen und zu einem akuten Herz-Kreislauf-Versagen führen können, heißt es in einer UKE-Mitteilung. Diese Erkenntnis könnte die Therapie von Covid-19-Patienten künftig verändern. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin und Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin des UKE, sehen darin eine Bestätigung dafür, Patienten gegebenenfalls mit blutverdünnenden Medikamenten zu behandeln.

Püschel fordert etwa, dass bei der Behandlung zunehmend und gezielt „auf das Blutgerinnungssystem und die Bildung von Thromben“ eingegangen werde. Dass also „eine intensivere Vorsorge getroffen wird dafür, dass Thrombosen und Embolien nicht entstehen.“

Ungewöhnliche viele Patienten erleiden Thrombosen und Lungenembolien

Stefan Kluge ergänzt: „Wir haben schon im klinischen Alltag gesehen, dass Covid-19 in ungewöhnlich vielen Krankheitsfällen zu Thrombosen sowie Lungenembolien bei den Patientinnen und Patienten geführt hat. Die Bestätigung haben jetzt Sektionen der Verstorbenen geliefert. Diese wichtigen Hinweise werden wir in die Behandlung der Corona-Patienten übertragen und wägen sorgfältig ab, ob Patientinnen und Patienten primär mit einem Blutverdünnungsmittel behandeln könnten“.

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Diskussion um prophylaktische Behandlung mit gerinnungshemmenden Mitteln

Die Behandlung mit Mitteln zur Blutverdünnung ist derzeit jedoch umstritten. Andere Wissenschaftler, etwa Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der Klinik München Schwabing, halten eine Diskussion zwar für sinnvoll, empfehlen aber zuerst eine weitere Untersuchung der Virusinfektion.

Patienten sollten zunächst höchstens mit einer sehr geringen Dosierung an Blutverdünnungsmitteln wie Heparin behandelt werden. Nach weiterführenden Untersuchungen, etwa durch eine Computertomographie und die Bestimmung verschiedener Parameter im Blut, könne die Dosierung erhöht werden. „Man muss davon ausgehen, dass die Gerinnungsstörungen etwa die Hälfte aller Covid-19-Patienten betreffen kann“, betont er.

Der exakte Mechanismus, welcher die Schäden in Organen und Gefäßen auslöse und so die für die Virusinfektion kritische Faktoren für die Gerinnungsneigung aktiviere, müsse jedoch noch weiter untersucht werden.

 

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„Noch zu früh, aus diesen ersten Beobachtungen therapeutische Schlüsse zu ziehen“

Dieser Meinung ist auch Matthias Kochanek, Leiter internistische Intensivmedizin für Innere Medizin an der Uniklinik Köln. Aus den bisherigen Studienergebnissen Empfehlungen für eine Behandlung mit Blutverdünnungsmitteln abzuleiten, hält er für zu früh. „Wir sehen bei uns im klinischen Alltag von Covid-19 positiven Patienten auch vermehrt Hinweise für gerinnungsfördernde Blutveränderungen. Es ist noch zu früh, aus diesen ersten Beobachtungen therapeutische Schlüsse zu ziehen. Es gilt eher, diese Muster zu erkennen und mit größeren Zahlen von Patienten zu unterlegen und gegebenenfalls auch klinische Studien durchzuführen.“

Generell alle Covid-19-Patienten mit gerinnungshemmenden Substanzen zu behandeln, hält er für nicht gerechtfertigt. „Allerdings sollte man mindestens eine strenge Thromboseprophylaxe durchführen.“

Clemens Wendtner ergänzt außerdem, dass die Blutgerinnung auf verschiedene Auslöser zurückzuführen sei. „Nachdem bekannt ist, dass auch niedrige Sauerstoffsättigungen eine Gerinnungsneigung verstärken können, ist ein Prinzip in der Behandlung von Covid-19-Patienten, eine ausreichende Sauerstoffsättigung im Blut zu erzielen“, erklärt er.

„Dies wird zum Beispiel durch sogenannte High-flow Sauerstoff-Therapien ermöglicht.“ Hierbei erhalte der Patient hohe Sauerstoffmengen von bis zu 14 Litern pro Minute. Diese werde ihm über eine Maske zugeführt, ohne dass er invasiv beatmet werden müsse.

Hamburger Studie wurde von vier Gutachtern geprüft

Die Hamburger Mediziner veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“, nach Angaben der Universität wurde sie zuvor von vier unabhängigen Gutachtern geprüft.

Die Ergebnisse der Studie hätten sich auch bei weiteren Obduktionen wiedergefunden, sagte der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel. Dass in die Studie nur vergleichsweise wenig Obduktionen eingingen, sei auch dem Zeitfaktor geschuldet, erklärte der Oberarzt des Instituts für Rechtsmedizin, Jan Sperhake. Hätte man mehr Fälle berücksichtigt, „wären wir nicht schnell genug gewesen.“

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