Mimik: Wortlose Kommunikation
Für die Kommunikation mit Mensch und manchem Tier ist sie unverzichtbar. Es lohnt sich, dem Gegenüber genauer ins Gesicht zu schauen
Schön fröhlich: Lächeln ist ein positives Signal an die Umwelt. Kein Wunder, dass wir lächelnde Menschen gerne ansehen
Auf der Postkarte an der Türe lächeln Englands Thronfolger Prinz William und seine Ehefrau Kate um die Wette. Eva Bänninger-Huber, Professorin für Klinische Psychologie an der Universität Innsbruck und Expertin für Mimikforschung, bekam die Karte von Kollegen aus Oxford. Ein spannendes Studienobjekt zur Mimik des Lächelns, wie sie findet. Denn wer genauer hinsieht, bemerkt: Die Hoheiten wirken nicht locker, sondern verkrampft. "Was die beiden an Mimik zeigen, hat mit einem echten Lächeln wenig zu tun", sagt Bänninger-Huber.
Die menschliche Mimik – jene feinen Bewegungen der Gesichtsmuskeln, die wir nutzen, um Gefühlen Ausdruck zu verleihen – ist ein Teil ihres Forschungsgebiets. Als Kommunikationssystem ist Mimik ziemlich komplex – und gleichzeitig so etwas wie die erste Sprache, die wir Menschen erlernen, sagt die Innsbrucker Psychologin.
"Mimik gehört zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln, insbesondere da, wo die Worte fehlen. Etwa zwischen Mutter und Kind." Ein Baby kann anfangs nur über Weinen, aber auch über Lächeln und andere Gesichtsausdrücke mit den Eltern kommunizieren.
Wie Mimik funktioniert
Das zweite, was der Mensch wohl bei diesen ersten Lektionen in der Muttersprache Mimik lernt: Mit dem richtigen Gesichtsausdruck kann man das Verhalten anderer Menschen steuern. Lächelt das Baby, lächelt die Mutter zurück und beschäftigt sich vermutlich intensiv mit dem Kind – zumindest für eine kurze Weile. Auch später noch ist ein Lächeln eine Art Angebot, miteinander in Beziehung zu treten.
Wie die Sprache der Mimik funktioniert, ist aber noch längst nicht im Einzelnen entschlüsselt. Erste wissenschaftliche Untersuchungen unternahm im 19. Jahrhundert Guillaume Duchenne. Mit elektrischem Strom – damals medizinisches Hightech – reizte der französische Arzt verschiedene Gesichtsmuskeln und hielt die dabei entstehenden Gesichtsausdrücke fotografisch fest.
Muskel der Freude entdeckt
Eine Erkenntnis: Für ein Lächeln, das echt wirkt, sind gleich mehrere Muskeln notwendig. Zum einen der "Zygomaticus major", der die Mundwinkel nach oben zieht. Ihn nannte Duchenne den "Muskel der Freude". Aber auch der äußere Augenringmuskel, verantwortlich für die Entstehung von Lachfältchen, ist im Einsatz.
Unter einem "Duchenne-Lächeln" verstehen Experten seither ein spontanes, echtes Lächeln. "Bei einem gestellten Lächeln sind die Augen dagegen nicht beteiligt", sagt Expertin Bänninger-Huber.
Affen ärgern für die Forschung
Nach Duchenne beschäftigte sich Charles Darwin mit der Mimik. Im Buch "Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren" beschrieb er, wie er einen Affen dazu brachte, einen beleidigten Flunsch zu ziehen: Er sei "dadurch mürrisch gemacht worden, indem man ihm eine Orange angeboten und dann weggenommen hatte".
Der Forscher wiederholte das Experiment mit seinen eigenen Kindern – und beobachtete dabei: Im Ausdruck der enttäuschten Hoffnung sind sich Mensch und Affe ähnlich wie beleidigte Verwandte.
Heute weiß man, dass Darwin mit diesem Forschungsansatz richtig lag. Hunde, Katzen oder Pferde besitzen ebenfalls ein mimisches Repertoire, das sie nicht nur zur Kommunikation mit Artgenossen, sondern auch mit dem Menschen einsetzen.
Gesichter sind keine offenen Bücher
130 Jahre nach Darwin ist man jedoch immer noch weit davon entfernt, in den Gesichtern anderer zu lesen wie in einem offenen Buch. Jörg Merten, Emotionspsychologe und außerplanmäßiger Professor an der Universität des Saarlandes, hat lange zur Mimik geforscht. Heute gibt er sein Wissen in Seminaren weiter.
Einmal war unter den Teilnehmern eine Frau, die lernen wollte, an der Mimik zu erkennen, ob Männer es ernst mit ihr meinen. "Die Wissenschaft muss solche Hoffnungen leider enttäuschen", sagt Merten.
Gefühle trüben das Urteil
Zwar gebe es mittlerweile gute Möglichkeiten, die menschliche Mimik in ihrer Bewegungsabfolge zu beschreiben. Die Interpretation sei allerdings nach wie vor "ein sehr schwieriges Geschäft".
Denn auch wenn jeder weiß, dass man von sich selbst nicht auf andere schließen sollte, passiert genau das beim Versuch, Gesichtsausdrücke zu lesen. Will jemand anhand der Mimik beurteilen, wie der Gesprächspartner sich fühlt, hängt die Einschätzung vor allem von der eigenen Gefühlslage ab.
Kategorisierung von Gesichtsausdrücken
In den 1970er-Jahren wurde in den USA eine Methode entwickelt, um Gesichtsausdrücke objektiver zu erfassen. Alle sichtbaren Bewegungen der mimischen Muskulatur werden dabei Einheiten zugeordnet, sogenannten Action Units. Das "Facial Action Coding System" FACS umfasst zig verschiedene solcher Bewegungseinheiten, vom Heben der Augenbraue bis zum Kussmund. So lassen sich Bewegungen im Gesicht beschreiben wie mit einer Art Alphabet.
Die Grundlagen von FACS kommen heute in vielen Bereichen zum Einsatz, bei denen es um Mimik geht. In der Wirtschaft zum Beispiel soll das Codiersystem helfen, in geschäftlichen Verhandlungen mehr über die Absichten des Gegenübers zu erfahren.
In der Filmindustrie hilft Software auf Basis von FACS dabei, die Mimik von Comic-Figuren möglichst lebendig zu gestalten. Basierend auf FACS sollen außerdem Algorithmen trainiert werden, damit etwa Roboter menschliche Mimik besser erkennen und deuten können.
Kommunikation mit Demenz
An der Universität Bamberg wird es dazu eingesetzt, um Patienten mit Alzheimer-Demenz medizinisch besser zu versorgen. "Mimik bleibt Demenzkranken noch lange erhalten, auch dann, wenn sie sich sprachlich nicht mehr gut ausdrücken können", sagt Stefan Lautenbacher, Professor für Physiologische Psychologie.
Doch für Pflegekräfte sind solche Signale nicht immer zu verstehen. Zum Beispiel wenn Zahnschmerzen das Zähneputzen zu einer Tortur machen. "Die Patienten ziehen dann Grimassen, sind unruhig und versuchen vielleicht auch, die Pflegekraft wegzustoßen", erklärt Experte Lautenbacher.
Stummer Hilferuf bei Schmerz
Doch statt eines Schmerzmittels bekommen die Patienten etwas zur Beruhigung. Damit wirken sie vielleicht ruhiger, leiden aber weiter. Eine "schreckliche Vorstellung", findet Lautenbacher. Mit einem internationalen Forscherteam hat er deshalb einen Fragebogen für Pflegekräfte entwickelt, um unter anderem die mimischen Signale für Schmerz besser
interpretieren zu können.
Sieben Bewegungseinheiten im Gesicht kommen bei Schmerzen besonders häufig vor. Zum Beispiel das Zusammenziehen der Augenbrauen oder zusammengebissene Zähne. Doch erst gemeinsam mit anderen Gesichtsbewegungen ergibt sich daraus das mimische Signal für Schmerz.
"Das ist ein bisschen wie bei Scrabble. Wir haben die Buchstaben, aber wir müssen noch herausfinden, was sie in unterschiedlichen Kombinationen bedeuten", so Lautenbacher.
Zusammen mit dem Fraunhofer Institut in Erlangen arbeiten Psychologen und Informatiker jetzt an einem System, das die Gesichtsausdrücke dementer Patienten analysiert. Mithilfe künstlicher Intelligenz soll es die Anzeichen von Schmerz richtig erkennen – auch dann, wenn gerade kein Pfleger in der Nähe ist.
Grenzen künstlicher Intelligenz
Doch unsere Mimik bringt Maschinen schnell an ihre Grenzen. Dazu genügen schon ein paar Falten. "Ein Mensch hat überhaupt kein Problem zu erkennen, ob Falten durch einen Gesichtsausdruck entstehen – oder überhaupt nichts mit der Mimik zu tun haben, sondern dort sind, weil es sich um einen älteren Menschen handelt", sagt Lautenbacher. Einen Roboter würde das ziemlich verwirren. Menschen lesen in menschlichen Gesichtern wohl immer noch am besten.
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