Krebs: Heilpflanzen helfen nicht immer



Viele Krebspatienten setzen neben der modernen Medizin Naturheilmittel ein, um Nebenwirkungen zu lindern. Doch unter Umständen können pflanzliche Arzneien die Krebstherapie beeinträchtigen

Aufgepasst: In manchen Fällen führt die Einnahme von pflanzlichen Arzneimitteln zu einer geringeren Wirkung der Chemotherapie

Es ist eine Diagnose, die lähmen kann. Lässt der Arzt das Wort Krebs fallen, fühlen sich Patienten hilflos. Mediziner schlagen ihnen je nach Art und Stadium der Krankheit eine Operation, eine Chemotherapie oder Bestrahlung vor – oft auch kombiniert. Alternativen? Eigentlich keine. Die Emotionen, die dann entstehen, kennt Professor Sven Becker nur zu gut: "Natürlich darf der Patient entscheiden, aber am Ende überkommt ihn vielleicht das Gefühl, er muss das machen. Er fühlt sich ohnmächtig."

Für den Direktor der Frauenheilkunde des Uniklinikums Frankfurt ist es deshalb völlig verständlich, dass der Erkrankte sich fragt: "Und was kann ich selbst gegen den Krebs tun?" Dieses Bedürfnis, aktiv zu werden, hält Becker im Prinzip für gut. So sei es dem Krebskranken möglich, ein Stück weit "sein Schicksal in die Hand zu nehmen".

Pflanzliche Mittel können mit der Krebstherapie interagieren

Schwierig, ja sogar gefährlich kann es werden, wenn Patienten ohne das Wissen des behandelnden Arztes Nahrungsergänzungsmittel oder pflanzliche Arzneimittel, sogenannte Phytopharmaka, einnehmen. Gerade Letztere können mit den circa 200 Krebsmitteln, die auf dem Markt sind, interagieren – entweder deren Wirkung abschwächen oder diese so verstärken, dass sie die Gesundheit gefährden. Zielgerichtet eingesetzt, sind Phytopharmaka dagegen durchaus in der Lage, Lücken der konven­tionellen Krebstherapie zu schließen und Nebenwirkungen der Behandlungen zu lindern.

Etwa die Hälfte aller Krebspatienten greift neben Chemotherapie oder Bestrahlung zu pflanzlichen Arznei- oder Nahrungsergänzungsmitteln, schätzt Jutta Hübner. Sie ist Professorin für Integrative Onkologie am Uniklinikum Jena und versucht, Betroffenen bei ihrer Suche nach sinnvollen Ergänzungen zur herkömmlichen Therapie zu helfen. Wenn es um die zusätzliche Einnahme von Naturheilmitteln gehe, seien "die Brustkrebspatientinnen Weltmeister", so Hübner. Dort liege die Quote bei 90 Prozent. 

Alternative Heilmethoden allein erhöhen das Sterberisiko

Meistens geht es nur darum, die teilweise starken Nebenwirkungen einer Bestrahlung oder Chemotherapie zu lindern: Übelkeit etwa, Erschöpfungszustände oder Nervenschädigungen. Nur ein kleiner Teil der Krebspatienten lehnt die konventionelle Therapie ab und setzt ausschließlich auf Phytopharmaka. "Wenn ich die Liste der Nebenwirkungen sehe, würde ich mich ebenfalls fragen: Geht das auch mit weniger?" Hübner zeigt zwar Verständnis. Doch wer die moderne ­Medizin ablehnt und nur auf angeb­liche Alter­nativen baut, spielt mit seinem Leben.

Das belegt eindrucksvoll eine aktuelle Studie der Yale School of Medicine. Bei Brustkrebspatientinnen, die ausschließlich auf alternative Heilmethoden setzten, war das Risiko, in den nächsten fünf Jahren zu sterben, fünfmal höher als bei Patientinnen, die eine herkömmliche Therapie erhielten. "Wer sich den wissenschaftlich überprüften Standards entzieht, schadet sich in den meisten Fällen", urteilt Experte Becker. 

Einnahme nach der Chemo verringert Wechselwirkungen

Um das Feld nicht falschen Heilsversprechern zu überlassen, bieten einige deutsche Kliniken inzwischen ergänzend zur Tumortherapie eine naturheilkundliche Beratung an. Mediziner Becker ist froh, dass es auch in seiner Klinik eine Naturheilkunde-Ambulanz gibt. Dort wird eruiert: Welche Tropfen, Tees oder Pflanzenextrakte können eventuell Nebenwirkungen lindern? Könnte es dabei zu Wechselwirkungen kommen? Kann beispielsweise eine Misteltherapie das Wohlbefinden des Patienten steigern?

Gerade während sehr intensiver Behandlungsphasen empfiehlt Becker jedoch, sich mit Naturheilmitteln zurückzuhalten. "Ich versuche, den Zeitpunkt der Einnahme hinter die Chemotherapie zu legen, da so Wechselwirkungen am besten vermieden werden." Manche pflanzlichen Extrakte können aber auch während der Behandlung gegeben werden. So reduziert zum Beispiel Ingwer laut einer großen US-Studie deutlich die Übelkeit, die bei einer Chemotherapie auftreten kann. Bei eher geringen Beschwerden kann er eine Option sein.

Bei starker Übelkeit helfen herkömmliche Medikamente gut, sogenannte 5-HT3-Antagonisten. Wegen möglicher Wechselwirkungen dürfen sie keinesfalls mit Ingwer kombiniert werden. Studien belegen ebenfalls, dass Salben mit Ringelblume (Calendula) hilfreich sind, um Hautschäden aufgrund von Bestrahlungen zu reduzieren. Mit der Traubensilberkerze lassen sich möglicherweise Hitzewallungen lindern, die Brustkrebspatientinnen während einer Hormontherapie plagen.

Johanniskraut verringert die Wirksamkeit von Medikamenten

Von manchen Pflanzen dagegen sollten Tumorpatienten unbedingt die Finger lassen. Liegt eine Depression vor, wird gerne zu Johanniskraut gegriffen. Professor Hans-Peter Lipp rät ab. Der Chefapotheker des Uniklinikums Tübingen hat die Studienlage gesichtet und weiß, bei welchen Phytopharmaka es zu Wechselwirkungen mit Zytostatika kommen kann. In der Regel erkennt der Organismus Arzneimittel als Fremdkörper. Über Pumpen-Systeme oder Enzyme in der Leber und im Darm baut er die fremden Stoffe wieder ab.

Pharmazeut Lipp: "Wir wissen aber, dass Johanniskraut die Menge der Enzyme stark erhöht. Die Ausscheidung bestimmter Krebsmittel wird stark beschleunigt." Dickdarm-Patienten, die das Zytostatikum Irinotecan und Johanniskraut gleichzeitig einnahmen, hatten nur die Hälfte der arzneilich aktiven Substanz SN-38 im Blutplasma. Das stellten Forscher aus Holland fest. "Wenn wir hier 50 Prozent sehenden Auges verlieren, ist der Erfolg der Therapie infrage gestellt", warnt Lipp.

Vorsicht bei Grüntee, Sonnenhutwurzel und Ginseng

Seit Urzeiten wird grünem Tee eine heilende Wirkung nachgesagt. Patienten, die an einer der häufigsten Tumor­arten des Knochenmarks (multiples Myelom) leiden, sollten jedoch auf den übermäßigen Genuss des Getränks verzichten. Diese Patienten bekommen häufig den Wirkstoff Bortezomib verschrieben, ein borhaltiges Medikament. "Die Gerbstoffe des grünen Tees fangen das Bor ab, und somit kann die Wirksamkeit der Substanz verloren gehen", sagt Lipp.

Viele Krebskranke wollen ihr Immunsystem stärken, um den Krebs zu besiegen. Bei der Sonnenhutwurzel (Echinacea) gebe es jedoch eine ähnliche Tendenz in Verbindung mit Krebsmitteln wie bei Johanniskraut, wenn auch "deutlich schwächer", erklärt Apotheker Lipp. Bei Ginseng-Präparaten hat ihn der veröffentlichte Fallbericht einer Patientin aufgeschreckt, die den Wirkstoff Imatinib genommen hatte, der bei lymphatischer Leukämie gegeben wird. "Zunächst hat­te sie ihn gut vertragen, dann kam der Ginseng hinzu, und irgendetwas passierte mit der Leber."

Ergänzende Therapie unbedingt mit dem Arzt absprechen

Im Zweifelsfall gelte es, eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen. Eine allgemeine Immunstimulation sei wohl in vielen Fällen gar nicht hilfreich, da manche Krebszellen das Immunsystem blockieren. "Da bringen dann auch Echinacea-Präparate nichts", sagt Lipp. Für weniger problematisch halten Ärzte die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen und Spurenelementen. Da der Mensch aber in der Regel seinen Bedarf über die Nahrung deckt, sagt Onkologin Hübner: "Nichts nehmen, wenn kein Mangel vorliegt." Eine Blutspiegel-Messung sei unabdingbar.

Grundsätzlich gilt: Ohne Rücksprache mit den behandelnden Ärzten sollten Krebspatienten keine zusätz­lichen Mittel einnehmen. Es gehe nicht darum, etwas zu verbieten, betont Becker. Sondern darum, schäd­liche Wechselwirkungen zu verhindern. Er appelliert an die Patienten: "Bitte sagen Sie uns, was Sie zusätzlich einnehmen."

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