Erst noch ansprechbar: Der Moment, der für Schumacher alles veränderte

Vor genau fünf Jahren schlug Michael Schumacher in einem Skigebiet in Frankreich mit dem Kopf gegen einen Felsbrocken, ein paar Meter abseits der offiziellen Piste. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn mit einem Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus. FOCUS Online erinnert an den Tag, der sein Leben veränderte.

Es ist Sonntag, der 29. Dezember 2013. Um 8:13 Uhr geht die Sonne auf in dem kleinen Ort Méribel in den französischen Alpen. Langsam kriecht sie über die Bergkuppe, lässt den frischen Pulverschnee glitzern. Über Nacht hat es geschneit. Oben auf den Bergen liegen zwanzig Zentimeter Neuschnee. Auch weiter unten bedeckt eine weiße Schneeschicht das flache Dach des Chalets, in dem Michael Schumacher mit seiner Familie die Weihnachtstage verbracht hat.

Hier nach Les Trois Vallées reist Schumacher seit einigen Jahren mit seiner Frau Corinna, den Kindern Mick und Gina-Maria. Dort wollen sie auch Silvester und Neujahr feiern sowie Michaels 45. Geburtstag am 3. Januar.

Es ist das größte Skigebiet der Welt. Rund 6,5 Millionen Menschen kurven jedes Jahr die Pisten hinunter. Doch Schumacher findet hier seinen Rückzugsort. Denn das Haus, in dem er an diesem Morgen aufwacht, liegt fünf Autominuten von Blicken der wenigen Nachbarn ab – in absoluter Ruhe.

Schumacher bricht mit Freunden und Sohn zum Skifahren auf

Als Michael Schumacher nach dem Frühstück aus dem Haus tritt, ist es noch bewölkt und diesig. Das Thermometer zeigt ein paar Grad über Null. Später auf dem Berg wird der Himmel strahlend blau sein. Schumacher ist schon unzählige Male von hier aus ins Skigebiet aufgebrochen – und schon unzählige Male an der Stelle vorbeigefahren, die ihm an diesem Tag zum Verhängnis werden wird.

Eine zehnminütige Fahrt mit dem Lift bringt ihn bis zur Spitze des Bergs Saulire auf 2738 Höhenmetern. Schumacher ist ein erfahrener Skifahrer. Während seiner Zeit als Formel-1-Fahrer verbringt er traditionell jedes Jahr eine Woche mit seinen Ferrari-Teamkollegen auf der Piste, fährt dort im knallroten Skianzug den Hang hinunter statt im roten Rennanzug auf der Rennstrecke seine Runden zu drehen. Mittlerweile fährt er nur noch mit Familie und Freunden. Am 29. Dezember begleitet ihn unter anderem sein Sohn Mick. Er ist damals 14 Jahre alt.

Schumacher ist nicht nur ein guter Skifahrer, er ist auch gut ausgerüstet. An seine Stiefel schnallt er sich Leih-Ski, die in sehr gutem Zustand sind, seinen Kopf schützt er mit einem Helm. Der wird später zerbersten, ihm aber das Leben retten.

Helmkamera filmt den Sturz

Gegen 11 Uhr ist Schumacher dann auf der Piste: Die Chamois-Piste ist als mittelschwer gekennzeichnet. Die Sicht ist klar. Links und rechts rauschen andere Fahrer an ihm vorbei, ziehen ihre Spuren durch den Schnee. So wie er und Mick. Über ihren Köpfen schaukeln kleine Gondeln langsam den Berg hinauf, ringsum erstreckt sich das Bergpanorama.

An seinem Helm hat Schumacher eine "GoPro" befestigt. Mit der Actionkamera will er seine Abfahrt filmen, um sie im Kreise der Familie anzusehen. Etwa zwei Minuten vor seinem verhängnisvollen Sturz drückt er die Aufnahmetaste. Doch dazu kommt es nicht. Stattdessen wird sich die Staatsanwaltschaft Tage später das Video ansehen, wird mit Hilfe des Bildmaterials die letzten Sekunden vor seinem Unfall rekonstruieren können. dpa Die Piste in Meribel: Hier verunglückte Schumacher

Schumi prallt mit Kopf gegen einen Felsbrocken

Wieso Schumacher an diesem Tag den markierten Abschnitt verlässt und in das Geröllfeld zwischen der Chamois-Piste und der Biche-Piste gerät, wird man vielleicht nie erfahren. Die Unfallstelle befindet sich acht Meter von der offiziellen Strecke entfernt. Es ist ein eher flacher Bereich.

Schumachers Managerin wird später sagen, er habe abgebremst und einem gestürzten Freund aufgeholfen. Andere Quellen behaupten, er habe einem Kind geholfen. Die Staatsanwaltschaft bestätigt das nicht. Sicher ist: Schumacher schrammt er über einen Stein, der unter der frischen Schneedecke verborgen liegt. Vielleicht, als er gerade wenden will, um weiterzufahren.

Am Morgen haben sich die Wintersportfans in Les Trois Vallées noch über den frischen Schnee gefreut. Denn in dieser Saison hat es nur wenig geschneit. Doch gerade die neue Schneeschicht ist gefährlich. Sie ist nicht tief genug, um die gefährlichen Felsen unter sich zu begraben, die zwischen den beiden Pisten lauern. Aber gerade tief genug, um sie verschwinden zu lassen. Schumacher kann den Stein nicht sehen, aber auch nicht einfach darüber hinwegfahren.

Er verliert das Gleichgewicht, wird 3,5 Meter durch die Luft geschleudert. Mit der rechten Schädelseite prallt er auf einen zweiten Felsbrocken, der 10,4 Meter entfernt liegt. Was die Staatsanwaltschaft später in diesen nackten Zahlen ausdrücken wird, muss für den ehemaligen Formel-1-Fahrer der schlimmste Moment in seinem Leben gewesen sein: wenn plötzlich der Boden unter den Füßen fehlt, sich die Welt auf den Kopf dreht, die Kontrolle über den eigenen Körper verloren geht.

Sein Helm zerbricht bei dem Sturz. Schumacher erleidet ein schweres Schädel-Hirn-Trauma.

Unfallstelle abseits der Piste erschwert die Rettung

Seine Begleiter wählen den Notruf. Berg- und Mittelstation sind nicht weit entfernt, wenige Minuten später treffen die Bergretter ein. Sie finden Schumacher halb sitzend, halb stehend. Er ist bei Bewusstsein, macht aufgeregte Gesten, ist ansprechbar, aber verwirrt.

Die Notärzte rufen die Gebirgsgendarmerie Savoyen zu Hilfe. Denn die Erstversorgung gestaltet sich abseits der Piste im tiefen Schnee schwierig. Außerdem können sie Schumacher nicht vorsichtig genug vom Unfallort abtransportieren, brauchen dafür dringend einen Helikopter.

Dass sofort ein Hubschrauber losfliegen kann, ist Glück im Unglück. Denn während der Saison finden meist mehrere Einsätze gleichzeitig statt, sind manchmal alle Hubschrauber der Gebirgsgendarmerie Savoyen unterwegs, weil sie für mehrere Skigebiete zuständig sind.

Helikopter bringt Schumacher ins Krankenhaus

Als der Rettungshubschrauber in einer dichten Wolke aus aufgewirbeltem Schnee an der Unfallstelle landet, haben die Ersthelfer den Ort bereits mit gekreuzten Skiern abgesteckt. Gegen 11.30 Uhr hebt er wieder ab, um Schumacher ins 13 Kilometer entfernte Krankenhaus nach Moûtiers zu bringen. Schumacher kollabiert während des Fluges. Der Helikopter muss notlanden, damit er beatmet werden kann.

In Moûtiers versuchen die Ärzte dann, ihn zu stabilisieren. Dort fällt die Entscheidung: Schumacher muss 71 Kilometer weiter nach Grenoble gebracht werden. Die Klinik ist Frankreichs größtes und modernstes Traumazentrum und auf Kopfverletzungen spezialisiert. Um 12.45 Uhr trifft Schumacher dort ein. Er wird zwei Mal operiert, sofort nach seiner Einlieferung sowie am nächsten Tag. Die Ärzte können den Innendruck des Schädels mindern, entfernen in einem zweistündigen Eingriff einen Bluterguss in der linken Hirnseite. Doch Schumacher schwebt weiter in Lebensgefahr.

Seit September 2014 ist Schumacher in Glandt – seiner Wahlheimat

Seinen Geburtstag verbringt er nicht wie geplant mit seiner Familie in dem verschneiten Chalet am Berghang, sondern in einem Krankenzimmer im fünften Stock der neurologischen Intensivstation in Grenoble – im künstlichen Koma. Dort verbringt er auch den Geburtstag von Tochter Gina-Maria, den von Frau Corinna und den von Sohn Mick.

Im April 2014 zeigt Schumacher erstmals "Momente des Bewusstseins und des Erwachens", so seine Managerin Sabine Kehm. Zwei Monate später wird er entlassen, kommt zunächst in eine Reha-Klinik nach Lausanne. Im September 2014, neun Monate nach seinem Sturz, kehrt Schumacher schließlich zurück in seine Wahlheimat Gland in der Schweiz. Dort wird er ab sofort zuhause von Ärzten und Pflegern betreut. Details zu seinem Genesungsprozess sind seitdem kaum bekannt. Wie es Schumacher geht, weiß nur ein kleiner Kreis.


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