E-Zigaretten sind das kleinere Übel

Sie riecht schon von Weitem nach kaltem Rauch. Das weiß meine Sitznachbarin im Flugzeug wohl selbst. Sie komme nicht weg von den Zigaretten, erzählt sie, gleich nachdem sie Platz genommen hat. Dabei sehe sie es als Krankenpflegerin ständig: „Die Kippen machen die Menschen krank.“ Aber ihre Nikotinsucht sei stärker. Ob sie es schon mit E-Zigaretten versucht hat? „Nein, zu gefährlich“, sagt sie entschieden. „Wer weiß, was da drin ist.“

Diesen Satz hört man derzeit oft in Deutschland. Viele Raucher und Raucherinnen trauen sich nicht, auf E-Zigaretten umzusteigen, obwohl sich nahezu alle Forscher einig sind, dass sie weniger schädlich sind als herkömmliche Zigaretten. Schlimmer noch: Offenbar wechseln in diesen Wochen Tausende deutsche Dampfer zurück zur Tabak-Kippe – aus Angst, ihrer Gesundheit zu schaden. Manche werden das mit ihrem Leben bezahlen.

Meldungen über Todesfälle aus den USA verunsichern zu Unrecht

Panik macht sich breit – unter Verbrauchern und unter Politikern. Die Umsatzzahlen hiesiger E-Zigarettenhändler brechen ein, um 30, 40, teils 50 Prozent. Denn seit Wochen kommen aus den USA Meldungen über seltsame Todesfälle und Lungenerkrankungen von Menschen, die zuvor gedampft hatten. Irgendetwas, wohlgemerkt. Oft hatten die Betroffenen durch ihre Geräte selbst gemixte oder auf dem Schwarzmarkt gekaufte Flüssigkeiten inhaliert: gepanscht mit Chemikalien wie Vitamin-E-Azetat oder THC-Öl.

Manche Politiker hindert das nicht daran, einen Rundumschlag gegen E-Zigaretten zu starten. Indiens Regierung etwa hat sie komplett verbannt. Eine Reihe von US-Bundesstaaten haben weitreichende Verkaufsverbote verhängt, und Donald Trump will aromatisierte E-Zigaretten im ganzen Land verbieten.

Was den Schutz von Jugendlichen angeht, die zum Nikotinkonsum erst durch E-Zigaretten kommen, mag das sinnvoll sein. Ansonsten ist das vor allem Aktionismus. Denn bisher gibt es keinen Nachweis, dass einer der toten Dampfer am Konsum eines solchen Liquids mit Mango- oder Kaffeegeschmack gestorben wäre. Zum Vergleich: Über ein Verbot herkömmlicher Zigaretten redet fast niemand. Dabei zeigen nahezu alle wissenschaftlichen Studien, dass sie viel gefährlicher sind als die elektronischen Versionen.

Rund zwei Monate ist es her, dass die ersten Berichte über die mysteriösen Lungenerkrankungen aufkamen. 36 Todesfälle sind seither bekannt geworden – jeder einzelne ist traurig. Aber während dieser zwei Monate sind in den USA rechnerisch um die 80.000 Menschen an den Folgen des Tabakrauchens gestorben sind. Unter ihnen sind etwa 7000 Nichtraucher. Unschuldige, die die von Rauchern vergiftete Luft einatmen müssen. Ein Skandal.

Tabak ist das größere Übel

Natürlich sind E-Zigaretten nicht gesund. Aber Tabak ist das weitaus größere Übel. Dabei töten Marlboros, Camels oder Luckies selten spektakulär. Dafür aber ungeheuer effektiv. Mindestens acht Millionen Menschen sterben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich am Tabakrauchen – das sind mehr als dreizehnmal so viele Tote wie durch alle illegalen Drogen zusammen.

Mindestens 90 mit hoher Wahrscheinlichkeit krebserregende Substanzen enthält der Gift-Cocktail, viele entstehen durch die Verbrennung. Das Aerosol von E-Zigaretten enthält längst nicht so viele gefährliche Schadstoffe. Denn hier verbrennt nichts.

Keine Frage – Nikotin macht abhängig, E-Zigaretten schädigen die Gesundheit. Und es fehlen Studien über ihre Langzeitfolgen. Der Gesetzgeber muss alles dafür tun, Jugendliche davon fernzuhalten.

Andererseits können E-Zigaretten Millionen Rauchern helfen, wegzukommen vom todbringenden Tabak. Zudem müssen deutsche Dampfer keine abstrusen Chemikalien im Liquid fürchten. Die EU-Tabakproduktlinie untersagt den Herstellern alle möglichen potenziell gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffe, einschließlich THC-Öl und Vitamin-E-Azetat. In einigen US-Bundesstaaten hingegen gab es da Gesetzeslücken.

Das zeigt: Alle legalen Drogen müssen reguliert werden. Aber bitte differenziert, nach Gefährlichkeit. Viel sinnvoller als Verkaufsverbote für E-Zigaretten sind Maßnahmen, die das Tabakrauchen eindämmen.

Höchste Zeit, dass Deutschland endlich ein Plakatwerbeverbot für konventionelle Zigaretten beschließt – als letzter Staat der EU. Die CDU, die das bislang mit aller Macht verhindert hat, arbeitet jetzt an einem Gesetzesentwurf. Wie es heißt, soll Außenwerbung für Tabakzigaretten künftig verboten werden. Für E-Zigaretten sollen die Hersteller weiter werben dürfen – allerdings nur, wenn sich die Reklame an bereits nikotinsüchtige Erwachsene richtet.

Und wenn der Staat umstiegswillige Raucher dann genau über die Risiken und Chancen aufklärt, wird meine Sitznachbarin vielleicht eines Tages auch elektrifizieren.

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