Ansteckungsgefahr in Räumen: Mit diesem Tool berechnen Sie Ihr Corona-Risiko

Aerosole sind an jeder zweiten Corona-Infektion schuld. Das Risiko, sich über die unsichtbaren Schwebepartikel anzustecken, können Laien in der konkreten Situation aber nur schwer abschätzen. FOCUS Online hat einen Online-Rechner entwickelt, mit dem Sie Ihr individuelles Risiko berechnen können.

Gegen Tröpfchen-Übertragungen des Coronavirus helfen die inzwischen altbewährten AHA-Regeln – sprich: Abstand, Handhygiene, Alltagsmaske – sehr zuverlässig. Jede zweite Infektion mit dem Virus führen Wissenschaftler allerdings nicht auf direkten Kontakt mit Speicheltröpfchen aus Mund oder Nase von Infizierten zurück, sondern auf für das menschliche Auge unsichtbar durch die Luft wabernde Aerosole.

Vor diesen potenziell virenbeladenen Kleinstteilchen schützen die AHA-Maßnahmen nur bedingt. Masken können Menge und Radius, in dem Infizierte die Partikel beim Ausatmen verbreiten, zwar kurzzeitig verringern. Mit der Zeit verteilen sie sich jedoch zwangsläufig über den gesamten Raum. Anstecken kann sich dann auch jemand, der deutlich weiter als die anderthalb Meter Sicherheitsabstand von einem Infizierten entfernt ist oder sitzt, etwa im Büro.

Berechnen Sie Ihr Corona-Risiko über Aerosole

Die Maßnahmen-Empfehlungen im Kampf gegen die Pandemie wurden daher im Sommer um die Komponente Lüften erweitert. Nur der regelmäßige und effektive Luftaustausch hilft, das Ansteckungsrisiko in Innenräumen zu reduzieren, ist sich die Wissenschaft einig.

Anders als die Anderthalb-Meter-Abstandregel sind Aerosole und die damit verbundenen Risiken für viele aber auch ein Jahr nach den ersten Corona-Fällen in Deutschland immer noch diffus und schwer fassbar. FOCUS Online hat deshalb in Zusammenarbeit mit Martin Kriegel, Ingenieur und Professor für Gebäudetechnik am renommierten Berliner Hermann-Rietschel-Institut, den Covid-Risiko-Rechner für Innenräume entwickelt.

Der Rechner hilft alltagsnah und konkret das Risiko in einer bestimmten Situation besser einzuschätzen. Basierend auf Daten von tatsächlichen Ausbrüchen über Aerosole wurde das Modell im Herbst 2020 gemeinsam mit Wissenschaftlern des Robert-Koch-Instituts, der Charité Berlin sowie einem Berliner Gesundheitsamt aufgestellt; in den vergangenen Monaten mittels neuerer Daten stetig weiter validiert. Wir haben mit Aerosol-Experte Martin Kriegel über das Ergebnis gesprochen.

Herr Kriegel, Sie haben den Covid-Risiko-Rechner gemeinsam mit FOCUS Online entwickelt – was kann dieser Rechner im Vergleich zu bereits verfügbaren Online-Rechnern?

Martin Kriegel: Wir gehen bei dem Risiko-Rechner grundsätzlich davon aus, dass eine hochinfektiöse Person im Raum ist, und damit vom Worst-Case-Szenario. Es gibt zwar auch Personen, die nur wenige Viren ausstoßen und dadurch weniger ansteckend sind, aber aus meiner Sicht ist es besser mit dem Worst-Case-Szenario zu rechnen als mit dem Best-Case-Szenario – um das Risiko einer Ansteckung nicht fälschlicherweise zu unterschätzen. Bei den Rechnern, die schon verfügbar sind, ist das nach meiner Einschätzung nicht berücksichtigt. Das ist für mich ein großer Vorteil unseres Rechners. Ebenso stellt der Rechner die Wahrscheinlichkeit dar, überhaupt auf eine derart infektiöse Person zu treffen.

Über den Experten

privat Martin Kriegel

Martin Kriegel ist habilitierter Ingenieur und leitet das auf Energie- und Lüftungstechnik spezialisierte Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin. In Sachen Raumbelüftung zählt er zu den führenden Experten Deutschlands.

Außerdem basiert der Rechner auf tatsächlichen realen Daten von Ausbrüchen über Aerosole, die einerseits aus der Literatur stammen und andererseits direkt vom RKI und einem Berliner Gesundheitsamt gesammelt wurden. Das heißt unser Modell ist validiert mit realen Daten aus der Praxis.

Man hat also konkret geguckt: Wie viele Leute haben sich in einer Situation im Raum aufgehalten? Wie groß ist der Raum gewesen? Wie wurde gelüftet? Wer war die infizierte Person? Wer hat sich angesteckt, usw. Das ist ein sehr komplexer Vorgang. Dass andere Rechner auf solch umfangreichen, realen Daten basieren, ist mir nicht bekannt. Insgesamt spiegelt der Rechner das Ansteckungsrisiko über Aerosole daher aus meiner Sicht sehr realistisch wider.

Bitte halten Sie die AHA+L-Regeln sowie die gültigen gesetzlichen Bestimmungen zu jeder Zeit ein – unabhängig vom hier errechneten Aerosol-Infektionsrisiko. Unsere Berechnung haben wir in zwei Teile gegliedert: Anhand der 7-Tages-Inzidenz des RKI für Ihren Stadt- oder Landkreis und der Anzahl der Personen, die Sie treffen möchten, berechnen wir einerseits die Wahrscheinlichkeit dafür, dass mindestens ein Mitglied Ihrer Gruppe infektiös ist. Anhand Ihrer Angaben zu Raumgröße, Lüftungsverhalten, Aktivitäten im Raum, getragener Mund-Nasen-Schutze und der Personenanzahl errechnen wir andererseits das Risiko dafür, dass Sie sich über Aerosole mit Sars-CoV-2 anstecken, falls sich eine infektiöse Person mit Ihnen im Raum befindet. Mehr Informationen zur Berechnung finden Sie hier.

Hinweis: Bei Nutzern, die über Facebook auf diese Seite kommen, ist der Rechner aktuell leider nicht abrufbar. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Grundsätzlich war die Datenlage in puncto Aerosole lange Zeit eher dürftig. In einem früheren Gespräch sagten sie, man wisse zum Beispiel weder abschließend, wie viele Aerosole ein Infizierter im Schnitt ausstößt noch wie viele Aerosole eine gesunde Person überhaupt einatmen muss, damit sie sich ansteckt. Gibt es da inzwischen mehr Erkenntnisse?

Kriegel: Leider gibt es da kaum Neues. Am Anfang gab es sehr grobe Schätzungen, wobei man sich an Sars-CoV-1 orientiert hat. Das hat man inzwischen etwas geschärft, aber insgesamt ist die für uns relevante medizinische Datenlage immer noch nicht gut, was für mich und mein Fachgebiet auch ein bisschen frustrierend ist. Aber genau deswegen basiert unser Rechner auch nicht auf diesen wenig vorhandenen medizinischen Untersuchungen, sondern baut retrospektiv auf Ausbruchsdaten auf. Insgesamt ist die Datenlage dennoch dürftig. Durch gute Übereinstimmungen zwischen Berechnungen und tatsächlichen Ausbrüchen scheint der Rechner aber sehr gut zu funktionieren.

Aus wissenschaftlicher Sicht bräuchte es in der Masse aber viel mehr systematische Befragungen und auch Genom-Bestimmungen der Viren, damit man wirklich nachvollziehen kann, wie die Übertragungswege stattfinden. Der Aufwand dafür ist riesig und wahrscheinlich momentan nicht zu bewältigen.

Ein ernüchternder Befund nach mehr als zwölf Monaten Corona-Ausnahmezustand.

Kriegel: Ja, auch wenn ich es nachvollziehen kann, dass die Zuständigen gerade anderweitig ausgelastet sind. Aber man muss sich wirklich überlegen, wie man das in Zukunft besser machen kann – und ob es nicht hilfreich wäre, zum Beispiel eine Taskforce einzurichten, die die Übertragungswege einiger Ausbrüche systematisch nachverfolgt, um daraus zielgerichtete Maßnahmen ableiten zu können.

Wissenschaft und Politik machen gerade besonders die ansteckenderen neuen Sars-CoV-2-Varianten Sorgen. Was bedeuten die Mutationen für die Aerosol-Gefahr?

Kriegel: Das müsste im Prinzip bedeuten, dass es kürzer dauert, bis ich mich anstecke. Man braucht dafür immer eine bestimmte Dosis. Ich kann sehr wenige infektiöse Partikel im Raum haben, wenn ich mich aber lange genug im Raum aufhalte, stecke ich mich trotzdem an. Diese Dosis aus Virenlast und Zeit ist entscheidend. Und wenn ein Virus ansteckender ist, dann reicht eben eine geringere Dosis aus: Wenn ich mich vorher zwei Stunden in einem bestimmten Raum aufhalten konnte, ohne mich anzustecken, ist es jetzt zum Beispiel nur noch eine Stunde.

Lüften ist das Hauptinstrument gegen die Aerosolpartikel. Gibt es Faustregeln fürs richtige Lüften? Wie schätze ich die Luftqualität bei mir zuhause oder im Büro richtig ein?

Kriegel: Das ist grundsätzlich schwierig, in fenstergelüfteten Räumen ist die Luftqualität schwer abzuschätzen. Aber alle 20 Minuten für fünf Minuten Lüften ist ein sinnvoller Richtwert. Und: Je mehr Menschen sich im Raum aufhalten, desto öfter sollte man lüften.

Die Berechnung des Ansteckungsrisikos, falls sich eine infektiöse Person mit Ihnen im Raum befindet, beruht auf der Annahme, dass alle Anwesenden Erwachsene sind. Zudem gehen wir davon aus, dass alle Personen den Raum gleichzeitig mit Ihnen betreten und dass sich die Aerosole der ansteckenden Person sofort gleichmäßig im ganzen Raum verteilen. 

Grundlage für die Berechnung des Ansteckungsrisikos innerhalb eines Raumes ist die Studie Predicted Infection Risk for Aerosol Transmission of SARS-CoV-2 der TU Berlin, der Charité, des Robert-Koch-Instituts und des Berliner Gesundheitsamtes. Ergänzt wird sie durch Untersuchungen des Hermann-Rietschel-Instituts (HRI) der TU Berlin zum Einfluss des Tragens einer Maske. Wir danken Martin Kriegel, Leiter des HRI, und seinem Team ganz herzlich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit! 

Die Annahmen zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass sich eine infektiöse Person im Raum befindet, basieren auf der 7-Tages-Inzidenz, die das Robert-Koch-Institut (RKI) für den jeweiligen Stadt- oder Landkreis angibt, in dem sich die von Ihnen angegebene PLZ befindet. Hierfür greifen wir auf die Datenschnittstellen von Opendatasoft.com und des RKI. Weiteren Einfluss hat die Dunkelziffer: Den Faktor 6, um den die Zahl der insgesamt Infizierten größer ist als die dem RKI gemeldete, haben wir aufgrund von Aussagen des RKI-Präsidenten Lothar Wieler festgelegt. Ebenfalls Einfluss gefunden hat die Dauer der Infektiosität bei symptomatischen und nicht-symptomatischen Corona19-Infizierten. Wir haben diese Dauer für infektiöse mit Covid-19-Symptomen auf 11 Tage festgelegt, für nicht symptomatische Infizierte auf 7 Tage. Grundlage ist die in The Lancet veröffentlichte Studie SARS-CoV-2, SARS-CoV, and MERS-CoV viral load dynamics, duration of viral shedding, and infectiousness: a systematic review and meta-analysis. 

Unser Risiko-Rechner berechnet das Ansteckungsrisiko sowohl für das bisher bekannte Sars-CoV-2-Virus als auch die zunächst in England stark verbreitete Mutation B 1.1.7, die nun in Deutschland mehr und mehr Infektionen verursacht. Daraus berechnen wir anhand einer immer wieder aktualisierten Häufigkeitsverteilung der beiden Virentypen einen gewichteten Mittelwert.

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