Zum Komponieren geboren – trotz tauber Ohren
Musik kann uns berühren und Emotionen auslösen – und für viele ist es faszinierend, wie zauberhafte Klänge in einer Notenschrift darstellbar sind. Fast unvorstellbar ist es, dass ein Komponist taub ist und nicht hören kann, welche Töne gespielt werden. So wie Ludwig van Beethoven, um den es heute geht.
1802 schrieb Ludwig van Beethoven in seinem Heiligenstädter Testament: „Sobald ich tot bin und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, […] damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde […]“. Zu jenem Zeitpunkt war der Komponist 32 Jahre alt und dabei, sein für ihn wichtigstes Sinnesorgan zu verlieren. Heute würde die Diagnose lauten: Schwerhörigkeit mit Hochtonverlust und Sprachverständlichkeitsverlust, Tinnitus, Recruitment (Verzerrungen) und Hyperakusis (Überempfindlichkeit für Schall), vermutlich zurückzuführen auf den Verlust äußerer Haarzellen. Nach Beethovens Tod wurde im Sektionsprotokoll vermerkt, dass sein Hörnerv deutlich zu dünn gewesen sei, zusammengeschrumpft und marklos. Von Haarzellen wusste man damals noch nichts, ebenso wenig von Hörimplantaten, die die auditive Wahrnehmung des Genius zumindest verbessert hätten. So blieben Beethoven nur Tee, Mandelöl-Ohrentropfen und lauwarme Donaubäder – und die Kunst. So sehr er auch mit seinem Schicksal haderte, die Jahre bis 1812 gelten als die produktivsten seines Lebens. In dieser Zeit hat er acht seiner neun Sinfonien abgeschlossen – unterstützt durch ein Hörrohr und ein Holzstab, den er an seinem Flügel befestigt hatte, um Vibrationen zu empfinden. 1814 trat er ein letztes Mal öffentlich als Pianist auf. Ab 1818 wurde mit ihm nur noch schriftlich kommuniziert. Überliefert sind rund 400 Konversationshefte über tägliche Gespräche. 1824 dirigierte er mit Unterstützung ein Konzert, musste aber am Ende zum Publikum gedreht werden, weil er den Applaus nicht hörte. Man vermutet, dass zu diesem Zeitpunkt auch seine inneren Hörsinneszellen ihre Funktion verloren hatten. Und doch vollendete Beethoven in jenem Jahr seine 9. Sinfonie, die noch heute zu den bekanntesten Werken der Klassik zählt. Im Finalsatz werden gleichberechtigt zum Orchester auch Gesangssolisten und ein gemischter Chor eingesetzt. Auch wenn Giuseppe Verdis vernichtendes Urteil lautete, das Finale sei „schlecht gesetzt“, schrieb „Beethovens Neunte“ schließlich als erste sogenannte Sinfoniekantate Musikgeschichte. Textgrundlage war übrigens eine Ode von Friedrich Schiller.
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