ZeroCovid ist Fantasie: Jetzt glaubt selbst Australien nicht mehr an Covid-Ausrottung

Lange haben Australien und Neuseeland versucht, das Coronavirus komplett auszumerzen – doch dann kam die Delta-Variante. Warum Australien nun nicht mehr an den Sieg über das Virus glaubt und warum die Nachbarn von der Insel dennoch an der Strategie festhalten wollen.

Es war ein schöner Traum, den Australien und Neuseeland seit Beginn der Corona-Pandemie verfolgten. Das Virus gar nicht erst ins Land lassen, den Übeltäter austilgen und so normal wie möglich weiterleben: So lautet das Modell der Inselstaaten.

Der Preis für die Null-Covid-Strategie: Komplette Abschottung, geschlossene Grenzen, strengste Quarantäneregeln für die wenigen Einreisenden und immer neue, kurzfristig angeordnete Lockdowns für ganze Landesteile bei weniger als einer Handvoll Neuinfektionen. Im Gegenzug verfügten die Bürger viele Monate lang über beneidenswerte Freiheiten.

"Es ist unmöglich, Delta zu eliminieren"

Mit der Ausbreitung der Delta-Variante muss zumindest Australien nun seine Taktik überdenken. "Es ist unmöglich, Delta zu eliminieren", räumte Gladys Berejiklian, Regional-Premierministerin des besonders gebeutelten Bundesstaates New South Wales, vergangene Woche ein. Bisher sei die Region mit der Metropole Sydney erfolgreich darin gewesen, andere Mutanten unter Kontrolle zu bringen. "Aber die Delta-Variante ist ein Wendepunkt – und jeder Bundesstaat in Australien wird früher oder später damit leben müssen."

Bundesstaaten wie Queensland oder Western Australia, die bisher glimpflicher durch die jüngsten Wellen gekommen sind, warnte Berejiklian: "Die denken noch, dass sie in einer Fantasie leben können, im Zero-Covid-Land, aber das geht nicht." Es sei wichtig, die Realität so schnell wie möglich zu akzeptieren. Auch ihr Amtskollege Daniel Andrews aus dem Bundesstaat Victoria gab zu, Null-Covid sei "nicht mehr länger eine realistische Strategie". 

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Impfen, impfen, impfen statt NoCovid

Sein Bundesstaat mit der Millionenstadt Melbourne hatte mehr als jeder andere mit vielen kleineren Ausbrüchen zu kämpfen und befindet sich bereits zum sechsten Mal im Lockdown. Die Fallzahlen bewegen sich dennoch weiter auf einem – für australische Verhältnisse – hohen Niveau. Auch New South Wales, seit zehn Wochen im strikten Lockdown, hat den Höhepunkt der jüngsten Welle noch nicht erreicht.

Die Parole lautet nun: Impfen, impfen, impfen. Gleichzeitig wollen die Behörden die Corona-Zahlen so niedrig wie irgend möglich halten. "So können wir Zeit gewinnen, bis genug Menschen geimpft sind", sagte Andrews. Ziel ist eine Herdenimmunität, da auch Australien langsam dämmert, dass die Grenzen nicht für immer dicht bleiben können.

Einige Regionalpremiers wehren sich noch, überhaupt an eine Öffnung zu denken. Berejiklian betonte, das sei realitätsfern. "Ich weiß nicht, wie lange sich Bürger in anderen Bundesstaaten das Leben in einer solchen 'bubble' (Blase) noch gefallen lassen. Nicht für immer", warnte sie. Mehrmals kam es bereits zu Protesten gegen die Corona-Politik mit Dutzenden Festnahmen.

Schleppend anlaufende Impfkampagne

Die Impfkampagne stand zunächst nicht hoch auf der Prioritätenliste der Regierung – zu sicher war man sich, das Virus auch ohne Vakzine eine Zeit lang in Schach halten zu können. Impfstoffe wurden erst spät und nicht in genügendem Umfang besorgt. Hinzu kam eine chaotische Kommunikation speziell im Hinblick auf den Astrazeneca-Impfstoff und mögliche Nebenwirkungen. Nach dem Auftreten von Blutgerinnseln bei jüngeren Bürgern darf das Vakzin jetzt nur noch über 60-Jährigen gespritzt werden.

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  • Trotz allem: Ein starkes Argument für die Null-Fall-Strategie ist, dass sie vielen das Leben gerettet und schwere Krankheitsverläufe und Long-Covid-Symptome verhindert hat. Australien (25 Millionen Einwohner) hat bis heute nur etwa 65.000 Fälle und 1000 Todesfälle verzeichnet. Das kleine Neuseeland mit fünf Millionen Bürgern registrierte weniger als 4000 Infektionen und nicht einmal 30 Tote.

    Warum Neuseeland weiter auf die Null-Fälle-Strategie setzt

    Nach einem längeren Lockdown zu Beginn der Pandemie war Neuseeland 18 Monate lang zu einer beneidenswerten Normalität zurückgekehrt – samt voller Stadien und Konzerten mit Zehntausenden maskenlosen Besuchern. Nach der Bestätigung eines einzigen lokal übertragenen Falls in der Großstadt Auckland rief Ministerpräsidentin Jacinda Ardern am 18. August umgehend einen landesweiten Lockdown aus. Innerhalb weniger Stunden waren die Straßen von Dunedin bis Whangarei wie leer gefegt, Geschäfte und Cafés geschlossen und die Kinder im Homeschooling. Guo Lei/XinHua/dpa Neuseelands Ministerpräsidentin Jacinda Ardern

    Die Zahlen stiegen dennoch zunächst, zeitweise lagen sie bei mehr als 80 Neuinfektionen pro Tag. Mittlerweile sind sie aber wieder auf etwa 20 tägliche Fälle gesunken, so dass die Regeln am Mittwoch weitgehend gelockert wurden. Lediglich die Millionenmetropole Auckland, das Epizentrum des jüngsten Ausbruchs, bleibt vorerst im Lockdown. Mit dem Impfen hat sich aber auch Neuseeland Zeit gelassen: Bisher sind nur etwa 25 Prozent der Einwohner vollständig immunisiert.

    Große Mehrheit befürwortet radikalen Corona-Kurs

    Experten sind überzeugt, dass gerade der extrem schnell ausgerufene, harte Lockdown ein weiteres Mal Schlimmeres verhindert hat. Die Bürger wünschen sich laut einer in der Zeitung "New Zealand Herald" veröffentlichten Umfrage von Ende August auch weiterhin mit großer Mehrheit eine Null-Covid-Strategie.

    "Der Abwärtstrend bei den Fallzahlen ist vielversprechend. Wenn wir so weitermachen, wie wir es derzeit tun, haben wir ausgezeichnete Chancen, diesen Ausbruch zu eliminieren", sagte Michael Plank, Statistiker an der Universität von Canterbury in Christchurch. "Aber es gibt noch viel zu tun: Wie die Erfahrung in Australien zeigt, wird sich die Delta-Variante die ganze Hand schnappen, wenn wir ihr den kleinen Finger reichen."

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