Warum junge Menschen in den USA mutwillig "Bakterien-Smoothies" trinken und damit lebensbedrohlichen Durchfall riskieren

Er wusste, wenn er diesen Shot trinkt, dann wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Klo enden. Er wusste auch, dass er es wohl mit einem Durchfall zu tun bekommen würde, der lebensbedrohlich werden könnte. Denn dieser trübe, salzige Trunk war mit Bakterien versetzt, welche die Ruhr verursachen können. Jake Eberts wusste das alles – und trank trotzdem. Es folgten, so der 26-Jährige, die schlimmsten acht Stunden seines Lebens. 

Hinter der Aktion, die klingt wie eine Mutprobe bei Jackass, steckt seriöse Forschungsarbeit. Eberts gehört zu einer Gruppe von insgesamt 16 jungen, gesunden US-Amerikanern, die im Rahmen einer 12-tägigen Studie der Universität Maryland in Kauf nahmen, selbst krank zu werden, um anderen damit das Leben zu retten. Wochen bevor die Probanden den Shigellen-Bakterien-Trunk zu sich nahmen, waren sie zweimalig geimpft worden – die einen mit einem in der Entwicklung befindlichen Impfstoff, die anderen mit einem Placebo. Was dann passierte, dokumentierte Eberts detailreich auf seiner Twitter-Seite.

Etwa 40 Stunden, nachdem er seinen "Bakterien-Smoothie", wie er die Flüssigkeit bezeichnet, zu sich genommen hatte, setzten die Krämpfe ein. Er litt unter Schüttelfrost. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich schnell. Er bekam Fieber und Durchfall, blutigen Stuhl. Jeder Gang zur Toilette sei eine Herkulesaufgabe gewesen. "Bei jeder Bewegung im Badezimmer, wenn ich aufstehen wollte, um mir die Hände zu waschen oder ein Papierhandtuch zu holen, musste ich mich wieder auf den Boden legen und fünf Minuten lang einfach nur dasitzen", berichtet Eberts dem "Insider".

Gefährliche Durchfallerkrankung

Shigellen gehört zu den Enterobakterien. Sie können die Infektionskrankheit Shigellose verursachen. Die Übertragung erfolgt, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI), "fäkal-oral durch Kontakt- oder Schmierinfektion im Rahmen enger Personenkontakte, zum Beispiel im Kindergarten oder im gemeinsamen Haushalt, oder durch kontaminierte Lebensmittel, (Trink-)Wasser oder Gebrauchsgegenstände. […] Shigellen können schon bei einer minimalen peroral aufgenommenen Dosis (unter 100 Keime) klinische Symptome auslösen."

Eine Infektion betrifft in erster Linie den Darm. Die Symptome treten meist 12 bis 96 Stunden nach der Infektion auf. Der klassische Krankheitsverlauf, der aber nicht häufig beobachtet werde, beginnt meist mit Fieber, Kopfschmerzen und Bauchkrämpfen, gefolgt von wässrigem Durchfall und blutig-schleimigen Ausscheidungen. Letzteres entspreche dem klinischen Bild der Ruhr, auch Shigellenruhr genannt.

Die Diagnose


Jede Woche plagt ihn Durchfall. Der Arzt findet eine seltsame, ringförmige Verkalkung neben dem Magen

Die Regel seien laut RKI leichte Verlaufsformen mit wässrigen und weichen Stuhlgängen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Ältere oder Mangelernährte, seien "häufiger von schweren bis fulminanten Verläufen betroffen". Jährlich sterben Hunderttausende auf der Welt in Folge einer Shigellen-Infektion. Sie gilt als zweitgefährlichste Durchfallerkrankung nach dem Rotavirus. Die Shigellose kommt weltweit vor, allerdings gehäuft in wärmeren Ländern. Nach Deutschland werden die meisten Shigellosen von Reisenden mitgebracht, oftmals haben diese sich in Ländern wie Türkei, Ägypten, Marokko und Indien infiziert. Zwischen den Jahren 2001 bis 2019 fiel die Zahl der Shigellose-Erkrankungen hierzulande laut Statista von 1611 auf 627 Fälle.

„Ich fühlte mich miserabel“

Einen zugelassenen Impfstoff gegen das Bakterium gibt es bislang nicht. Aber ein Forscherteam des Instituts Pasteur in Frankreich arbeitet seit mehreren Jahren daran, dies zu ändern. Der Impfstoff wurde zunächst in Israel getestet, bevor nun die Studie in Maryland mit Erwachsenen sowie eine weitere in Kenia mit kleinen Kindern startete.  

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Um herauszufinden, wie wirksam das entwickelte Vakzin und die Immunreaktion ist, wurden den Studienteilnehmern in Maryland Blut-, Kot- und Urin-Proben entnommen, die Antikörperzahl gemessen. Wilbur Chen, der die Studie an der Universität von Maryland leitet, hofft, dass der Impfstoff einen 70-prozentigen Schutz vor schweren Erkrankungen bietet. Werde nicht mindestens eine Schutzrate von 50 Prozent erreicht, so Chen zu "Insider", "dann denke ich, dass wir einen Impfstoff haben, der leider wirklich versagt". 

Jake Eberts erlitt eine der schwersten Durchfallerkrankungen innerhalb der Studie. Ihm mussten Flüssigkeitsinfusionen verabreicht werden, später bekam er auch ein Antibiotikum. Danach verbesserte sich sein Gesundheitszustand allerdings binnen weniger Stunden wieder. "Ich war erschöpft und fühlte mich miserabel", sagte er. Angst aber habe er keine gehabt. "Ich wusste, dass dies etwas ist, wofür ich unterschrieben habe, und dass es vorübergehen wird, und dass ich nicht sterben werde oder so." Und: Er würde es wieder tun. Allerdings nur im Wissen, dass es einem guten Zweck diene und für Geld. Denn Eberts wurde für seine Teilnahme bezahlt. "Ich will mich hier nicht als Mutter Teresa aufspielen – ich hätte das nicht umsonst gemacht", sagte er. Die Teilnahme an der Impfstoffstudie brachte ihm umgerechnet etwa 6600 Euro ein.


Quelle: Insider,  RKI, Statista

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