Sechs Senioren über Corona-Krise: "Die heutige Jugend beneiden wir nicht"

Deutschland macht sich locker – zumindest ein bisschen: Bars und Restaurants sind wieder geöffnet, die Einkaufsstraßen füllen sich ebenso wie die Züge der Deutschen Bahn. Trotz fortbestehender Kontaktbeschränkungen kehrt ein Hauch Alltag zurück. Jedenfalls für die meisten von uns.

Für die Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen vollzieht sich die Rückkehr zur Normalität dagegen nur langsam. Zwar dürfen die meisten wieder Besucher empfangen, jedoch nur unter Einschränkungen. Denn ein Großteil der Corona-Toten, das zeigen diverse Untersuchungen, lebte in Altenheimen. In manchen Landkreisen liegt das Verhältnis von Corona-Toten in Altenheimen zur Gesamtzahl der Corona-Verstorbenen bei 70 bis 80 Prozent.

Wie streng die Hygienevorkehrungen für die Bewohner von Altenheimen sind, darüber wurde in den vergangenen Wochen viel berichtet. Doch wie blicken Senioren, die bereits mehrere Krisen, teils Weltkriege, erlebt haben auf den Corona-Alltag? Was empfinden sie als Belastung, woraus schöpfen sie Kraft? Und was kann die Gesellschaft ihrer Meinung nach aus dieser Krise lernen? Sechs Bewohner der Luxus-Seniorenresidenzen von Tertianum haben uns diese und weitere Fragen beantwortet.

Die Protokolle entstanden zwischen dem 04. und 13. Mai 2020, also bereits nach den ersten Lockerungsmaßnahmen.

Erika B., 93 Jahre: „Wir Alten haben Zeit und was kleine Kinder können, davor sollten wir uns nicht scheuen“

Erika B., 93 Jahre

„Trotz des Besuchsverbotes habe ich mich noch keinen Tag alleingelassen oder gar gelangweilt gefühlt. Wie das geht? Zu meinem 80. Geburtstag verordneten mir meine Kinder ein Handy. Damit konnte ich nicht perfekt umgehen (das kann ich ehrlich gesagt bis heute nicht), aber schon mein ganzes Leben lautet mein Motto: Anfangen – und dranbleiben! Nicht aufgeben, sondern immer wieder erklären lassen. Man muss Dinge solange wiederholen, bis sie zur Gewohnheit werden. Wir Alten haben Zeit und was kleine Kinder können, davor sollten wir uns nicht scheuen.

Mit meinem iPhone mache ich jeden Tag Fotos und Videos und verschicke sie. Ich vertreibe mir die Zeit mit Spielen und Rätseln, außerdem chatte ich via Whatsapp. Ich bekomme neben wichtigen Informationen auch viel Lustiges aus aller Welt zugeschickt, ganz gleich ob zur Tages- oder Nachtzeit. Denn mir ist bewusst geworden: Briefe schreiben dauert viel zu lange und Telefongespräche erreichen mich oder den anderen fast immer zur falschen Zeit. Wir wissen nicht, wie lange uns Corona beeinflusst – deswegen: keine Ausreden!“

Wolf-Dietrich Freiherr S. v. S., 85 Jahre

„Wenn man als 85-Jähriger wohlbehütet in einer Residenz für Senioren in München lebt, denkt man an eine glückliche Kindheit in Pommern zurück, die ein Jahr andauernde Flucht mit der Mutter als Zehnjähriger, die schwierige Nachkriegszeit, Jahre der Ausbildung im Hotelmanagement in Süd- und Nordamerika, das Berufsleben später in München, 1989 die Friedliche Revolution, Rückkehr und Rücknahme des Familienbesitzes in Leipzig. Freud und Leid waren stets die Begleiter.

Nach der Pandemie wird sich unsere Gesellschaft verändern müssen

Mit der eingeschränkten Freiheit, den richtigen Entscheidungen der Politik und der Gesundheitsämter kann man als älterer Mensch sicher besser umgehen, als die Menschen im heutigen aktiven Leben.

Als Kurator eines Kinderhospizes in Leipzig weiß ich schon lange, wie schlecht die aufopfernde Tätigkeit des Pflegepersonals bezahlt wird – und dass man dafür kaum Anerkennung bekommt. Corona hat uns auch hier wachgerüttelt! Nach Beendigung der Pandemie wird sich unsere Gesellschaft verändern müssen. Positives Denken und Handeln, ein wenig mehr Demut und Bescheidenheit vor dem Leben sind die beste Medizin für meine Altersgenossen in den Heimen. Mitarbeiter*innen müssen zurzeit Enormes leisten in dieser Krise – dafür sollten wir ihnen danken und geduldig Respekt zeigen.“

Fee und Ernfried v. F., Geburtsjahrgänge 1945 und 1944. Sie war Gemälderestauratorin, er Industriekaufmann.

Fee und Ernfried v. F., 75 und 76 Jahre, Ehepartner

„Wir sind beide in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Damals war für uns die Welt in Ordnung, auch wenn sie aus heutiger Sicht als „Mangelwirtschaft“ wahrgenommen wird. In Erinnerung an diese vergangenen Zeiten fallen uns „Alten“ die heutigen Einschränkungen wahrscheinlich leichter als den jüngeren Generationen.

Belastend für uns ist – sofern man davon reden kann – höchstens der Mangel an Bewegungsfreiheit. Keine Reisen, keine Ausflüge, keine Konzert- und Museums-Besuche. Es bleiben nur Spaziergänge oder kleine Rad-Touren an der Isar entlang – aber immerhin! Freude macht uns, dass wir ansonsten noch das Leben genießen können und dass wir endlich wieder Zeit für ältere, noch ungelesene Zeitschriften sowie Bücher haben.

Corona zeigt uns, dass in unserem heutigen Leben nicht alles selbstverständlich ist und wir uns wieder auf wesentliche Dinge konzentrieren sollten. Die jüngeren Generationen sollten sich auch überlegen, ob man alle Moden und jeden Konsum mitmachen muss. Müssen es wirklich zwei, drei Fernreisen mit dem Flieger pro Jahr sein?

Die heutige Jugend beneiden wir nicht. Wir hinterlassen ihnen ein ganzes Paket an Problemen.

Im Gegensatz zu unserer vorhergehenden Generation, die zwei Weltkriege mit ihren fatalen Auswirkungen erlebte, hatten wir rückblickend eigentlich eine schöne und gute Zeit. Wirtschaftlich ging es stets aufwärts, trotz verschiedener Weltkrisen und drohender (Atom-)Kriege. Vielleicht hatten wir uns aber da schon zu sehr dem „Materiellen“ verschrieben, ohne genügend Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen.

Die heutige Jugend beneiden wir nicht. Ich muss eingestehen, wir hinterlassen ihnen ein ganzes Paket an Problemen: Renten, Umwelt, reichlich regionale Konflikte. So sollte uns und der Jugend diese Krise eine Mahnung sein, nicht mehr so weiter zu machen wie bisher. Wir und die Jugend müssen uns für die Umwelt und gegen die diversen kriegerischen und oft irrationalen Konflikte einsetzen. Frieden und Gerechtigkeit muss die Devise der Zukunft sein!“

Corona

Viren – so funktionieren die leblosen Lebewesen

Ingrid K., 83 Jahre

„Als Kriegskind weiß ich, was Not ist. In unserer Seniorenresidenz gibt es jedoch keinen Hunger, kein Frieren. Angst? Natürlich. Wir alle sind nur Gast auf Erden. Unser Wohlstand erlaubt uns die tolle medizinische Forschung und den Fortschritt. Doch der Wohlstand ist für alle da.

Als „Stammmutter“ einer großen Familie habe ich noch immer regen Kontakt mit der Jugend. Ich bin täglich in den sozialen Medien unterwegs und lache mit Alt und Jung. Und irgendwie ist dann alles nicht mehr ganz so dramatisch. Was die Gesellschaft aus dieser Krise lernen kann? Nie zu anspruchsvoll sein. Wichtig sind soziales Denken und Eigenverantwortung. Man sollte nicht immer nach dem Staat schreien. Und in Krisen einfach zusammenhalten.“

Christina V., 84 Jahre

„Die aktuellen Alltagseinschränkungen übersteht man meiner Meinung nach am besten durch einen strukturierten Tagesablauf. Mich belastet es, meinen Sohn und die Enkel nicht besuchen zu können. Den Kontakt zu halten mit Eltern, Geschwistern, Kindern, Freunden und Bekannten ist der Stützpfeiler in unruhigen Zeiten!

In diesen Tagen zeigt sich wieder, dass man mutig sein muss und versuchen sollte, die richtigen Entscheidungen zu treffen. In Krisenzeiten sollte man sich an die glücklichen Stunden erinnern, denn davon kann man zehren, wenn die Lebensstruktur sich verschlechtert und Einschränkungen erforderlich sind. Die Gedanken können wandern und reisen!“

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