Für PCR-Test-Mangel haben Erfinder geniale Lösung – doch in Berlin antwortet ihnen niemand
Um zu verhindern, dass uns die PCR-Tests ausgehen, soll künftig der Zugang zu den Virus-Nachweisen beschränkt werden. Doch ist das wirklich notwendig? Mehrere Ökonomen haben ein cleveres Modell entwickelt, mit dem wir unsere Testkapazitäten viel effizienter nutzen könnten als bisher – doch in der Politik stoßen die Erfinder bislang auf taube Ohren.
Angesichts rasant steigender Infektionszahlen werden die PCR-Tests in Deutschland knapp. Der Beschluss der Bund-Länder-Runde vom Montagabend kommt daher wenig überraschend: Zukünftig sollen vorrangig Personen getestet werden, bei denen der Infektionsstatus eine wichtige Rolle spielt – also etwa Beschäftigte im Gesundheitswesen. Doch ist das wirklich nötig?
Der Ökonom Hanno Beck von der Hochschule Pforzheim hat zusammen mit seinen Kollegen Elmar Wolfstetter (Humboldt-Universität Berlin) und Aloys Prinz (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) ein Konzept erarbeitet, mit dem wir unsere PCR-Testkapazitäten viel effizienter nutzen könnten. Wie diese Methode genau funktioniert, welche Grenzen sie hat und warum die geniale Idee von der Politik bislang ignoriert wird, lesen Sie im FOCUS-Online-Interview mit Hanno Beck.
FOCUS Online: Die Zahlen sind erschreckend: Wien führt wöchentlich mehr PCR-Tests durch als ganz Deutschland. Wie kann das sein? Sind wir wirklich so langsam?
Hanno Beck: Offenbar hat man es in den vergangenen zwei Jahren versäumt, größere Testkapazitäten aufzubauen. Das scheint schlicht ein organisatorisches Versäumnis gewesen zu sein, würde ich sagen.
Finden Sie es peinlich, dass uns unser Nachbarland – beziehungsweise eine Stadt aus dem Nachbarland – in Sachen PCR-Testung so weit voraus ist?
Beck: Schon, aber ich glaube, es ist der falsche Weg, zu beklagen, dass das peinlich ist. Die richtige Vorgehensweise wäre, zu fragen: Was machen die anders als wir, was können wir von Österreich lernen? Genauso geht man ja auch in der Wissenschaft vor, man guckt sich an, was andere besser machen und nennt das dann „Best Practice“.
„Mit unserem Modell könnten wir die PCR-Test-Kapazitäten effizienter nutzen“
Gibt es für Deutschland denn eine Möglichkeit, bei den PCR-Tests aufzuholen?
Beck: Die gäbe es tatsächlich. Zumindest haben meine Kollegen und ich zusammen ein Modell erarbeitet, mit dem wir unsere vorhandenen PCR-Test-Kapazitäten deutlich effizienter nutzen könnten als bisher.
Das müssen Sie jetzt genauer erklären.
Beck: Es geht darum, mit weniger PCR-Tests mehr positive Fälle zu identifizieren. Die Grundidee wird in Deutschland schon angewandt: das sogenannte „Poolen“. Das heißt, Sie haben zum Beispiel zehn Leute, die Sie testen wollen und nehmen von allen eine Probe. Diese Proben testen Sie aber nicht alle einzeln, sondern jeweils beispielsweise fünf Proben zusammen. So entstehen zwei „Pools“.
Wenn einer der Pools negativ ist, dann wissen Sie, dass die fünf Leute, deren Probe in diesem Pool sind, alle negativ sind und dass Sie sich nicht weiter um diese Personen kümmern müssen. Wenn der andere Pool positiv ist, müssen alle, die zu dieser Konstellation gehören, noch einmal getestet werden, um festzustellen, wer alles positiv ist. Das ist das grundsätzliche Pool-Verfahren, das bereits in Deutschland angewandt wird. Der Vorteil ist klar: Wenn ein ganzer Pool negativ ist, dann müssen dessen „Mitglieder“ nicht weiter getestet werden.
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"Man kann die Zahl der Personen, die man testen muss, dramatisch reduzieren"
Doch Sie wollen dieses Pool-Verfahren noch effizienter machen.
Beck: Genau. Dabei spielt das sogenannte „binäre Testen“ eine wichtige Rolle. Die Grundidee ist ganz simpel: Sie nehmen von jeder Person mehrere Proben und verteilen sie auf verschiedene Pools. Das bedeutet beispielhaft: Wenn Sie drei Personen haben, wandern in Pool 1 Proben der Personen 1, 2 und 3. In Pool 2 aber legen Sie nur Abstriche der Testpersonen 2 und 3, nicht aber von Person 1. Wenn Pool 1 nun positiv ist, Pool 2 aber nicht, dann muss Person 1 die positive Person sein.
Die Grundidee ist, dass Sie mehrere Proben von verschiedenen Leuten nehmen und diese dann gemäß einem Algorithmus auf mehrere Pools verteilen. Nicht jede Probe ist dabei in jedem Pool enthalten. Per Ausschlussverfahren können Sie so sagen, welche Personen nicht getestet werden müssen. Nicht immer kann man das auf genau einen Probanden herunterisolieren. Aber man kann die Zahl der Personen, die man testen muss, wenn ein Pool positiv ist, dramatisch reduzieren.
Das klingt einleuchtend, wenn es relativ wenige Tests gibt, die tatsächlich positiv sind. Wenn die Rate an positiven Fällen aber sehr hoch ist – funktioniert das Verfahren dann noch so reibungslos?
Beck: Grundsätzlich funktioniert der Algorithmus immer. Aber klar: Wenn Sie eine Positivrate von 100 Prozent haben, dann hilft Ihnen kein cleveres Testverfahren mehr. Je höher die Positivrate, desto weniger effizient ist das Verfahren.
Das gilt allerdings auch für das normale Pool-Modell, dem die Methode nach wie vor überlegen ist. Und man muss auch sehen: Wenn wir dann wirklich bei 80 oder 90 Prozent an positiven Tests sind, dann steht in Frage, ob wir überhaupt noch testen müssen.
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„Das meiste könnten Computerprogramme erledigen"
Zusammenfassend bedeutet das aber: Mit dem Modell, das Sie und Ihre Kollegen vorschlagen, könnten wir unsere PCR-Test-Kapazitäten effizienter nutzen?
Beck: Ja, unbedingt. Das ist auch der größte Vorteil dieses Verfahrens. Da es sich um einen recht einfachen Algorithmus handelt, könnte man das auch mit Computern kodieren, sprich, automatisiert abwickeln. Bei kleinen Gruppen wäre auch eine Bearbeitung von Hand möglich.
Das heißt konkret: Wenn Sie 20 Personen haben, haben Sie 20 Zahlen, dann bilden Sie 5 Pools und ordnen die Betroffenen entsprechend zu. Es gibt im Internet sogar Rechner, die normale Zahlen in Binärcodes umwandeln. Die binäre Kodierung – also die Abfolge aus Nullen und Einsen – ist einfach die Regel, nach der Personen bestimmten Pools zugeordnet werden. Die Position, an der die 1 steht, symbolisiert die Pools, in die die Probe gelegt wird.
Ein zeitlicher Mehraufwand käme damit also nicht auf uns zu?
Beck: Nein. Wie gesagt, das meiste könnten Computerprogramme erledigen.
Was treibt einen Ökonomen wie Sie an, zusammen mit anderen Kollegen so eine Idee auszuarbeiten?
Beck: Meine Kollegen und ich begreifen unseren Job nicht als Elfenbeinturm-Wissenschaft. Ökonomie ist eine praxisnahe, angewandte Wissenschaft. Mein Steckenpferd ist es, ökonomische Ideen auf den Alltag zu übertragen. Der Anfangsgedanke für unseren PCR-Test-Vorschlag kam von Kollege Wolfstetter, der das ursprüngliche Pool-Verfahren bereits kannte und dann gelesen hat, dass die PCR-Tests knapp werden. Ökonomen sind im Grunde Problemlöser. Leider ist es aber oftmals so, dass man mit den Ideen nicht durchdringt.
"Einen Anruf vom Ministerium haben wir nicht bekommen"
Wie meinen Sie das? Haben Sie Ihre Idee denn den Behörden unterbreitet?
Beck: Naja, wir haben sie ans Wirtschaftsministerium geschickt mit der Bitte, zu prüfen, ob das eine gute Idee wäre. Jetzt warten wir ab. Das erste Mal, dass wir Lösungsvorschläge zu Problemen, die in der Pandemie auftreten, machen, ist es nicht. Vor ein paar Wochen haben wir eine Idee präsentiert, wie man dem Betrug mit PCR-Tests entgegenwirken kann. Das wurde zwar von den Medien aufgegriffen – einen Anruf vom Ministerium haben wir allerdings nicht bekommen.
„Der Politik würde es gut stehen, zu sagen: Wir haben uns geirrt“
Finden Sie das nicht schade? Sie bieten Lösungen für viel diskutierte Pandemie-Probleme an, die dann im Nichts versickern.
Beck: Ich habe da mehrere Vermutungen, woran das liegt. Man stellt sich vor, dass man den Verantwortlichen schreibt und dann sofort die Reaktion kommt „Ja super!“. Aber in der Realität ist es ganz anders. Die Behörden sind schwerfällig, meist dauert es sehr lange, bis sich eine Idee durchsetzt.
Dazu kommt, dass unsere Idee für Menschen, die nicht viel mit Mathematik am Hut haben, teilweise schwer zu verstehen ist. Das habe ich gemerkt, als ich den PCR-Test-Vorschlag einem Freund beim Abendessen erklärt habe. Und selbst, wenn die Idee verstanden wurde, kommt noch etwas anderes erschwerend dazu. Würden unsere Politiker sagen, „So ist es besser, wir machen es jetzt anders“, dann würden sie im Umkehrschluss auch eingestehen, dass sie es vorher schlecht gemacht haben.
Wissen Sie, wir sind jetzt in einer Situation, wie man sie vorher noch nicht erlebt hat. Ich finde, da würde es der Politik gut stehen, zu sagen: „Okay, wir haben es so gemacht, auf Basis des damaligen Wissensstandes war es das Beste, was wir tun konnten. Aber wir haben uns da geirrt.“ Meiner Meinung nach ist es völlig in Ordnung, auch mal zu sagen, dass man sich getäuscht hat.
Was halten Sie vom Beschluss der Bund-Länder-Runde, PCR-Tests künftig priorisiert durchzuführen?
Beck: Ich denke, uns wird gar nichts anderes übrigbleiben. Das macht in meinen Augen schon Sinn, wobei natürlich wieder der Streit losgehen wird, wer genau jetzt bevorzugt getestet wird und wer nicht. Aber wenn Sie zu wenige Tests haben, müssen Sie eben gucken, wo Sie sie am sinnvollsten einsetzen. Deswegen ja auch unser Vorschlag: Dass man die Test-Knappheit zumindest ein bisschen reduzieren kann.
Fänden Sie es denn sinnvoller, erstmal mit Ihrem Pool-Modell zu testen und dann zu priorisieren?
Beck: Ich denke, ich würde beides machen, Priorisierung und Pool. Dass man sagt, wir priorisieren, testen aber mit unserer Pool-Methode. Vielleicht hätten wir am Ende sogar noch Tests übrig.
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FOCUS Online/Wochit „Das ist wirklich ein Problem“, sagt Virologin Brinkmann zur neuen PCR-Strategie
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