Dieselfahrverbote: Grenzwerte zu hoch? Nun schießen Lungenärzte gegen eigene Kollegen

Ein Positionspapier von mehr als hundert Pneumologen zu Diesel-Fahrverboten hat viele Bürger verunsichert. Ihre Aussage: Die Stickoxid-Grenzwerte entbehrten einer wissenschaftlichen Grundlage und seien viel zu hoch, Nun meldet sich die Pneumologen-Gesellschaft zu Wort. Und erklärt genau das Gegenteil der Kollegen. Die Behauptungen im Fakten-Check.

Die Experten hatten in ihrem Positionspapier in Zweifel gezogen, dass bei Feinstaub- oder bei Stickoxid-Emissionen tatsächlich eine Gefahr bestehe, die Maßnahmen wie Fahrverbote und andere Einschränkungen sachlich rechtfertigen würden. Damit haben sie zahlreichen Darstellungen von Behörden, politischen Lobbyverbänden sowie vieler Medien und Nachrichtenagenturen widersprochen.

Das Positionspapier, von dem die Rede ist, wurde federführend von dem Lungenexperten Dieter Köhler verfasst, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Mit seinen umstritten Thesen zieht der Lungenfacharzt bereits seit einigen Monaten durch die Medien. Zuletzt sorgte seine Auftritt bei "Hart aber fair" für Aufsehen, am Sonntag ist er bei Anne Will eingeladen. Klar ist: Seine Aussagen werden von Gegnern von Fahrverboten etwa dankbar aufgegriffen.

Die Behauptung:

Politiker und auch Vertreter der Autobranche behauptet nun, eine ganze Armada von Wissenschaftlern habe sich gegen die aktuellen Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub ausgesprochen. Damit werde die Diskussion um den Diesel endlich auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Wissenschaftlichen Studien würden bisher nicht von unabhängigen Forschern ausgewertet.

Doch ein Faktencheck zeigt, dass trotz der beeindruckenden Expertenzahl, die das Positionspapier unterschrieben hat, die eindeutige Mehrheit andere Ansichten vertritt.

Die Fakten:

Das Positionspapier von Köhler wurde bereits Anfang Januar an 3800 DGP-Mitglieder verschickt. Unterzeichnet haben es bisher jedoch lediglich 112 der Mitglieder – also weniger als 3 Prozent der angefragten Lungenexperten. Das muss per se noch nicht bedeuten, dass Köhlers Position falsch ist. Es deutet aber darauf hin, dass eine sehr große Mehrheit der Lungenexperten in Deutschland seine Ansicht nicht teilt.

Das Fazit:

Die offizielle Position der in der DGP vereinten Kollegen vertritt exakt das Gegenteil von ihrem Ex-Chef Köhler. In einem Dossier, das vom November 2018 stammt, kam der Verband zu folgender Einschätzung: "Negative Gesundheitseffekte treten auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte auf." Für die deutsche Bevölkerung sei derzeit "kein optimaler Schutz vor Erkrankungen, die durch Luftverschmutzung verursacht werden, gegeben". Deshalb sei "eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich. " Was also sogar noch verschärfte Richtlinien bedeutet in Vergleich zu jenen, die der Gesetzgeber festgelegt hat.

Weiterer Verband gegen Positionspapier von Ex-DGP-Chef

Der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP), der 1200 Lungenärzte in Deutschland vertritt, sieht das ähnlich. "Eine Bagatellisierung der Auswirkungen von Luftschadstoffen gefährdet die Bemühungen, Risiken und Gefahren von Luftverschmutzung zu minimieren!", warnt BdP-Vorsitzender Frank Heimann in einer Mitteilung.

Der Verband führte unter seinen Mitgliedern eine Blitzumfrage durch, an der 435 Pneumologen teilnahmen. Das Ergebnis wird wie folgt zusammengefasst:

  • "Für 91 % der befragten Pneumologen ist es selbstverständlich, dass zum Schutz der Patientinnen und Patienten und der Gesamtbevölkerung die Luftbelastung so weit wie möglich herabgesetzt werden sollte.
  • 85% der Pneumologen stimmen der WHO zu, die kürzlich den Klimawandel und die Luftverschmutzung zu den größten globalen Bedrohungen erklärt hat.
  • 86 % der Befragten stimmen zu, dass eine Diskussion über die Methodik von Studien zur wissenschaftlichen Evidenz von Luftschadstoffen nicht zu einer Bagatellisierung der Auswirkungen von Luftverschmutzung führen darf.
  • 77 % sind der Meinung, dass Stickoxide Marker für schlechte Luft sind: Sie sind Indikatoren für Belastungen der Atemluft und stehen stellvertretend auch für die übrigen, oft wesentlich gefährlicheren Schadstoffe."

Nichtsdestotrotz zeigt die Umfrage auch, wie ambivalent das Thema diskutiert wird. Während 47 Prozent den politisch beschlossenen Grenzwerten zustimmen, lehnt eine knappe Mehrheit von 53 Prozent die Grenzwerte ab. Dies zeige, wie sehr die Grenzwerte auch unter Pneumologen umstritten seien. Die Ablehnung resultiere jedoch daraus, dass Grenzwerte "immer noch zu hoch" seien  "und weiter verschärft werden" müssten.

"Bei dieser Antwort der Pneumologen zeigt sich, wie in der gesamten Gesellschaft, eine Uneinigkeit über den richtigen Weg zu sauberer Atemluft", teilt der Verband mit. So sei in den schriftlichen Antworten unter anderem kritisiert worden, dass die Grenzwerte unzureichend begründet oder falsch seien und an der politischen Entscheidungsfindung gezweifelt werde.

Vorwurf von Lobbying fällt auf Köhler zurück

Der von seinen Kollegen nun gescholtene Dieter Köhler hatte in einem Begleitschreiben zu seinem kontroversen Positionspapier behauptet, dass er "keiner Interessengruppe angehöre". Zusammen mit seinen Ko-Autoren fordert er "eine Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher".

Neben Köhler zeichnen auch drei weitere Autoren für das Positionspapier verantwortlich, darunter der Karlsruher Ingenieurwissenschaftler Thomas Koch. Laut dessen offizieller Vita entwickelte Koch zehn Jahre lang Motoren für Daimler. Aufrufe von Wissenschaftlern seien "ein beliebtes Lobbyinstrument", kritisierte Lobbycontrol – ein Verein, der sich für mehr Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen einsetzt.

Hintergrund

In Deutschland gilt ein Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das California Air Resources Board (Carb) – die Behörde für die Überwachung der Luft in Kalifornien – ist überzeugt, dass Stickoxide schon bei längerfristig anhaltenden Konzentrationen von mehr als 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft schädlich sind. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kommt anhand der vorliegenden Studien ebenso zu dem Schluss, dass Stickoxide auch bei geringen Mengen krank machen können. Laut Umweltbundesamt können Stickoxide etwa Zellen in der Lunge angreifen und Entzündungsprozesse auslösen.

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