Bacteriocine – nachhaltig, günstig und eine Alternative zu Antibiotika?
Forscher:innen der Universität Ulm haben jetzt ihre Arbeit veröffentlicht, mit der sie einen etablierten biotechnologischen Ansatz weiterentwickelt haben, um auf Basis von Industrieabfällen eine ganze Reihe von antimikrobiellen Wirkstoffen produzieren zu können.
Wenn man aus „Müll“ eine Alternative zu Antibiotika herstellen kann und das auch noch günstiger und ressourcenschonender, dann darf man wohl von einer vielversprechenden Zukunftstechnologie sprechen. Christian Riedel, Professor am Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie der Universität Ulm, und sein Team haben genau das in einem Verbund mit Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Norwegen, Dänemark, Österreich und Spanien nun erforscht und im Fachmagazin „Metabolic Engineering“ veröffentlicht.
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In dem Artikel mit dem Titel „Establishing recombinant production of pediocin PA-1 in Corynebacterium glutamicum“ beschreiben sie, wie sie das bereits biotechnologisch genutzte Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum modifiziert haben, um das antimikrobiell wirksame Bacteriocin Pediocin PA-1, ein Peptid, in hochreiner Form und bereits in großtechnischem Maßstab herzustellen.
„Die so hergestellten Bacteriocine könnten als Antibiotika-Alternative zur Bekämpfung bakterieller Krankheitserreger eingesetzt werden“, schreiben die Forscher:innen. Pediocin PA-1 ist dabei besonders wirksam gegen die Lebensmittelkeime Listeria monocytogenes und Listeria innocua, die als unerwünschter Erreger in Milchprodukten lebensgefährliche Listeriosen verursachen können. Das Bacteriocin wird so auch bereits in der Lebensmittelindustrie zur Haltbarmachung eingesetzt.
Enormes medizinisches Potenzial
Bacteriocine hätten enormes medizinisches Potenzial, so die Forscher:innen. Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen gälten sie als vielversprechende Alternativen zur Behandlung von Infektionen durch humanpathogene Bakterien. „Für die klinische Anwendung solcher Bacteriocine braucht es neuartige, großtechnische Verfahren, die es möglich machen, die Effizienz der Produktion und die Reinheit des Stoffes massiv zu verbessern“, erklärt Riedel den Forschungsansatz.
Die Produktion von Pediocin PA-1 ist dabei aber nur als ein Muster der Möglichkeiten der Biotechnologie-Plattform zu verstehen. „Es ist das Ziel, auch andere Bacteriocine oder Antibiotika herstellen zu können“, sagt Riedel. „Wir sind gegenwärtig dabei, weitere C. glutamicum-Stämme zu generieren, um andere Bacteriocine zu produzieren“, erklärt er.
Dass man zunächst mit gentechnischen Methoden die Erbinformation für Pediocin PA-1 in die Bakterien einschleuste, hat auch mit der Besonderheit zu tun, dass C. glutamicum selber nicht von dessen antimikrobieller Wirkung betroffen ist. Die Wirkstoffklasse IIa will man dementsprechend zunächst weiter etablieren. „Es scheint vor allem für Bacteriocine der Klasse IIa gut zu funktionieren, da diese meist über Mannose-Phosphotransferase-Systeme als Rezeptor funktionieren. Diese Mannose-Phosphotransferase-Systeme fehlen C. glutamicum, die Produzenten sind daher resistent gegen das Produkt“, sagt Riedel.
Die Klasse IIa umfasst dabei eine der größten Gruppen von Bacteriocinen, also gegen verschiedene Mikroorganismen toxisch wirkender Peptide. Viele stammen ursprünglich aus Milchsäurebakterien. Ihre biologisch-ökologische Funktion ist dabei, den sie produzierenden Bakterien Vorteile für Lebensraum und Nahrungsressourcen gegenüber konkurrierenden Arten zu verschaffen. Das in der Lebensmittelindustrie verwendete Nisin oder das als Antibiotikum in der Erforschung befindliche Duramycin gehören unter anderem zu den Bacteriocinen. Wissenschaftler vermuten, dass rund 99 Prozent aller Bakterienarten Bacteriocine produzieren – viele davon sind sehr spezifisch toxisch gegen bestimmte Bakterienarten. Die Möglichkeiten der medizinischen Anwendung werden daher als enorm eingeschätzt.
In dem Projekt der Ulmer Forscher sollen die Klasse IIa-Bacteriocine langfristig auch nicht die Grenze für produzierbare Substanzen bilden. „Das EU-Projekt, in dem wir die Arbeiten zu Pediocin durchgeführt haben, sieht vor, die C. glutamicum-Produzenten modular zu konstruieren. Das heißt, jeweils einzelne Genmodule für Produktion, Verwertung, nachhaltiger Substrate, Resistenz und so weiter zu haben. Diese könnte man dann zum Beispiel auch mithilfe der CRISPR/Cas-Genschere relativ einfach austauschen“, erklärt der Professor.
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