Chorea Huntington: Neuer Therapieansatz
Ärzte erproben eine Therapie der unheilbaren Nervenkrankheit. Erste Ergebnisse wecken die Hoffnung, dass sie gelingen könnte
Wie ausradiert: Bei Chorea Huntington gehen Nervenzellen im Gehirn zugrunde
Die Frau wirkt etwas fahrig: Beim Sprechen wiegt ihr Kopf leicht hin und her, die Augenbrauen tanzen eine Spur zu stark. Wenn sie läuft, irritieren ihre Arme ein wenig, die sich auf seltsame Weise mitbewegen. Nichts, was eindeutig darauf hinweisen würde, dass die 39-Jährige unheilbar krank ist, dass in ihrem Gehirn nach und nach wichtige Schaltzentralen zugrunde gehen.
Die Patientin aus dem Lehrvideo leidet an der Huntington-Krankheit, auch Chorea Huntington oder früher "Veitstanz" genannt, einer Erbkrankheit. Betroffene geben sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an ihre Kinder weiter. Die Folge ist ein Nervensterben – vor allem in Hirnregionen, die Bewegungen koordinieren. Normalerweise bricht das Leiden im mittleren Lebensalter aus, führt zu Pflegebedürftigkeit und schließlich zum Tod. Bisher gibt es nur Medikamente, die einige Symptome eine Zeit lang lindern, doch keines, das den zerstörerischen Prozess stoppt.
So entsteht die Krankheit
Bei Chorea Huntington ist aufgrund eine Gendefkts die Boten-RNA für das Nerveneiweiß Huntingtin fehlerhaft. Die Eiweißfabrik stellt nach der fehlerhaften Bauanleitung ein defektes Nerveneiweiß her. Dieses verklumpt in den Hirnzellen und zerstört sie
Sollten sich die Hoffnungen von Professor Bernhard Landwehrmeyer erfüllen, wird sich das ändern. "Möglicherweise können Patienten mit unserer Behandlung ein ganz normales Leben führen." Der Neurologe der Universitätsklinik Ulm testet gerade gemeinsam mit britischen Medizinern die sogenannte Antisense-Oligonukleotid-Therapie. Das Verfahren wird bereits an Huntington-Patienten erprobt.
Therapie mit Aussicht
Die Erwartungen seien übertroffen worden, verkündete die Studienleiterin Professorin Sarah Tabrizi vom University College London im April auf dem Jahreskongress der US-amerikanischen Akademie für Neurologie in Los Angeles. Zwar habe man bislang nur die Verträglichkeit der Methode überprüft, doch hätten sich dabei bereits deutliche Hinweise auf ihre Wirksamkeit ergeben: Um bis zu 60 Prozent ließ sich das krank machende Eiweiß im Gehirn von Huntington-Patienten senken.
Ursache des Nervenzelltods im Kopf: eine fehlgebildete Variante des Eiweißes Huntingtin. Dem liegt ein defektes Gen zugrunde (siehe Grafik). Der Fehler lässt sich nicht beheben, doch die Antisense-Oligonukleotid-Therapie kann verhindern, dass das schadhafte Gen abgelesen wird. Das bremst die Bildung des giftigen Zellprodukts.
Das Problem: Huntington-Kranke produzieren auch normales Huntingtin.Die Nervenärzte müssen also einen Kompromiss finden zwischen ausreichender Minderung des defekten Huntingtins und Erhaltung seiner intakten Variante. Das scheint möglich: "Die aktuelle Verträglichkeitsstudie hat keine gravierenden Nebenwirkungen gezeigt", sagt Bernhard Landwehrmeyer. "Wir wissen aus Tierexperimenten, dass die erreichte Reduktion des krankhaften Eiweißes ausreicht, um die Beweglichkeit zu verbessern."
Das soll die Therapie bewirken
Das RNA-Medikament bindet an die defekte Stelle der Boten-RNA für Huntingtin. Dadurch kann die Eiweißfabrik die Boten-RNA nicht ablesen. Es entsteht kein defektes Huntingtin. Die Nervenzelle bleibt intakt
Auswirkungen bisher nicht absehbar
Welchen klinischen Effekten dies beim Menschen entspräche, lasse sich aber noch nicht sagen, betont Professor Josef Priller von der Berliner Charité. "Es handelt sich um einen Analog-Schluss, den klinische Studien erst noch belegen müssen", so der Huntington-Spezialist und stellvertretende Direktor der Klinik für Psychiatrie. Dennoch stimmten ihn die Ergebnisse äußerst hoffnungsvoll. Die europäische Arzneimittelagentur hat dem Medikament kürzlich den "Prime"-Status erteilt: Die Behörde will die Forscher bei den weiteren Studien unterstützen, um eine möglichst schnelle Zulassung zu ermöglichen.
Allerdings gilt es noch einige Fragen zu klären. Etwa ob genug Antisense-Medikament in die hauptsächlich betroffenen Strukturen des Großhirns gelangt. Um dies zu gewährleisten, spritzten die Forscher das Medikament ihren Probanden in den Wirbelkanal. Eine Prozedur, die alle paar Wochen wiederholt werden müsste, da die Wirkung des Mittels nicht dauerhaft anhält. "Es ist sicher noch zu früh, um konkrete Erwartungen zu wecken", relativiert Landwehrmeyer, gibt sich aber gleichwohl optimistisch: "Unsere Daten zeigen, dass das Prinzip funktioniert."
Was Experten ebenfalls zuversichtlich stimmt: Gegen zwei andere seltene Erbleiden gibt es seit Kurzem zugelassene Antisense-Medikamente. "Falls wir auch eine ursächliche Therapie gegen Huntington hätten, würde sich die Frage der genetischen Testung völlig neu stellen", ergänzt Landwehrmeyer. Bislang wolle in den betroffenen Familien nur eine Minderheit wissen, ob die Krankheit bei ihnen im Lauf des Lebens ausbricht. Könnte man das Nervensterben aber aufhalten, besäße die frühe Diagnose eine ganz andere Konsequenz, und die Betroffenen hätten berechtigte Hoffnung.
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