Tot-Impfstoffe oft mit giftigen Chemikalien hergestellt

Kampf gegen Infektionskrankheiten: Impfstoffe sollen jetzt chemikalienfrei hergestellt werden

Bei der Produktion von lebenswichtigen Impfstoffen werden oft giftige Chemikalien eingesetzt. Deutsche Forscher haben nun jedoch eine neuartige Technologie entwickelt, die stattdessen Elektronenstrahlen nutzt. Diese Methode ermöglicht es erstmals, Tot-Impfstoffe chemikalienfrei, schnell und reproduzierbar anzufertigen.

Schutz vor ansteckenden Krankheiten

Impfungen sind ein äußerst effektives Mittel gegen verschiedene Infektionskrankheiten. Doch noch immer ist es ein schwieriges Unterfangen, Impfstoffe herzustellen. Denn bei den Tot-Impfstoffen müssen die Krankheitserreger abgetötet werden, ohne deren Struktur zu verändern. Dies geschieht bislang meist mit giftigen Chemikalien. Eine neuartige Technologie von Forschern der Fraunhofer-Gesellschaft nutzt stattdessen Elektronenstrahlen – und ermöglicht erstmals, Tot-Impfstoffe chemikalienfrei, schnell und reproduzierbar anzufertigen.

Vakzine lösen eine Immunantwort des Körpers aus

Welche Schutzimpfungen angeraten sind, wird in Deutschland von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) festgelegt.

Impfungen gegen Kinderlähmung, Diphtherie, Keuchhusten und Tetanus gehören schon seit Jahrzehnten zum Standard-Programm beim Kinderarzt.

Wie die Fraunhofer-Gesellschaft in einer Mitteilung erklärt, handelt es sich bei vielen Vakzinen um Tot-Impfstoffe – die Krankheitserreger darin wurden also abgetötet und können dem Körper des Patienten somit nichts mehr anhaben.

Dennoch lösen sie eine Immunantwort aus: Der Körper erkennt sie als fremd und startet die Immunreaktion, indem er entsprechende Antikörper ausbildet und sich vor der Krankheit schützt.

Reste der giftigen Chemikalien verbleiben im Impfstoff

Zur Herstellung der Impfstoffe werden die Krankheitserreger in großer Zahl gezüchtet und dann durch Chemikalien abgetötet. Meistens kommt hier das giftige Formaldehyd zum Einsatz – stark verdünnt, damit es dem Menschen später bei der Impfung nicht schadet.

Allerdings bringt die niedrige Konzentration auch Nachteile mit sich: Das Gift muss meist mehrere Tage bis Wochen auf die Krankheitserreger einwirken, was sich ungünstig auf die Struktur der Erreger und auf die Reproduzierbarkeit der Impfstoffproduktion auswirkt.

Muss es schnell gehen, wie zum Beispiel bei der Influenza-Impfung, greift man zu höheren Dosen an Formaldehyd. Hier muss aber eine aufwändige Filtration folgen. Dennoch verbleiben Reste der giftigen Chemikalien im Impfstoff.

Elektronenstrahlen töten Erreger ab

Laut dem Fraunhofer-Institut können Pharmakonzerne künftig Tot-Impfstoffe herstellen, die keinerlei Reste von Chemikalien enthalten – und das zudem schnell und reproduzierbar.

Besonderes Potenzial sehen Wissenschaftler in der Herstellung von Impfstoffen, die bisher nicht durch eine chemische Inaktivierung produziert werden konnten.

Experten der Fraunhofer-Institute für Zelltherapie und Immunologie IZI, für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP sowie für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB haben das entsprechende Verfahren entwickelt.

„Statt die Krankheitserreger mittels Chemikalien zu inaktivieren, nutzen wir niederenergetische Elektronenstrahlen“, erklärt Martin Thoma, Gruppenleiter am Fraunhofer IPA.

Die beschleunigten Elektronen brechen die DNA der Erreger entweder über direkte Stöße auf, oder aber erzeugen Sekundärelektronen, die dann wiederum zu Doppel- oder Einzelstrangbrüchen führen.

Die DNA der Krankheitserreger wird durch die Elektronen also regelrecht zerschreddert, während die äußere Struktur der Erreger intakt bleibt. Dies wiederum ist wichtig, um einen effektiven Immunschutz auszulösen.

Techniken wurden neu entwickelt

Die Herausforderung dabei: Die Elektronen dringen nicht allzu tief in die Suspension mit den Krankheitserregern ein – für eine homogene Dosisverteilung sollte der Flüssigkeitspegel nicht höher sein als 200 Mikrometer.

Die entsprechenden Techniken gab es bislang nicht, sie wurden am Fraunhofer IPA neu entwickelt.

Die erste Methode: Eine Rolle wird kontinuierlich mit der Erregersuspension benetzt, bestrahlt und die dann inaktivierte Flüssigkeit in ein steriles Gefäß überführt. Es gibt also zwei Flüssigkeitsreservoirs: Eines mit aktiven und eines mit inaktiven Erregern – verbunden über die sich drehende Rolle.

„Dabei handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, der sich ausgezeichnet für die Produktion von Impfstoffen hochskalieren lässt“, erläutert Thoma.

Der zweite Ansatz eignet sich vor allem für kleinere Volumina, wie sie etwa in der Forschung und der Impfstoffentwicklung verwendet werden. Hierbei befindet sich die Lösung mit den Erregern in Beuteln, die mittels eines patentierten Verfahrens durch die Elektronenstrahlung geführt werden.

Kooperation war die Projektbasis

Ein solches Projekt erfordert unterschiedliche Expertisen, die die vier beteiligten Institute optimal abdecken. Die Forscher am Fraunhofer IZI waren unter anderem für die Kultivierung der verschiedenen Erreger zuständig – etwa einen für die Vogel- und Pferdegrippe.

„Zudem haben wir nach der Bestrahlung gemeinsam mit den Kollegen vom Fraunhofer IGB untersucht, ob diese vollständig inaktiviert wurden und somit einen effektiven Impfschutz bieten“, sagt Dr. Sebastian Ulbert, Abteilungsleiter am Fraunhofer IZI und Initiator des Projekts.

Das Know-how hinsichtlich der Elektronen-Bestrahlung brachten die Wissenschaftler des Fraunhofer FEP ein.

Sie entwickelten eine Anlage, die die niederenergetischen Elektronen exakt dosiert – schließlich soll das Erbgut der Erreger zwar zuverlässig zerstört werden, ihre Struktur muss jedoch erhalten bleiben, damit das menschliche Immunsystem die passenden Antikörper bilden kann.

Das Verfahren funktioniert bereits, und das nicht nur im Labormaßstab:

„Im Herbst 2018 haben wir am Fraunhofer IZI eine Forschungs- und Versuchsanlage in Betrieb genommen. Mit dem kontinuierlichen Modul – also der mit Flüssigkeit benetzten Rolle – können wir momentan vier Liter Impfstoff pro Stunde herstellen“, so Ulbert.

Das ist schon sehr nah an den Industriemaßstäben: So lassen sich bei einigen Impfstoffen beispielsweise aus 15 Litern Erreger-Suspension eine Million Impfstoffdosen herstellen. Auch Gespräche mit Industriepartnern laufen bereits.

Bis erste mit Elektronenstrahlen hergestellte Impfstoffe in die klinische Prüfung kommen, wird es aber mindestens noch zwei bis vier Jahre dauern. (ad)

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